Flüssiggas: Kanzleramt und Finanzministerium schwächten Klimaschutz in LNG-Gesetz ab | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Flüssiggas
Kanzleramt und Finanzministerium schwächten Klimaschutz in LNG-Gesetz ab
2040 sollte Schluss sein mit klimaschädlichem Flüssiggas – das sah ein Gesetzentwurf von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor. Doch Energiekonzerne dürfen nun deutlich länger LNG importieren. Interne Unterlagen belegen, wie es dazu kam: Kanzleramt und Finanzministerium weichten das Gesetz in zwei wichtigen Punkten auf.
Ende März 2022 beschloss der Koalitionsausschuss von SPD, Grüne, und FDP, den Bau von LNG-Terminals voranzutreiben. Dies war Teil des Umbaus der deutschen Energieversorgung, die der russische Angriffskrieg in der Ukraine nötig gemacht hatte. Nur zwei Monate später stimmte der Bundestag dem LNG-Beschleunigungsgesetz zu.
Doch interne Unterlagen legen Streitpunkte innerhalb der Bundesregierung offen. abgeordnetenwatch.de hat Dokumente auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes erhalten. Die Grünen-geführten Ministerien für Wirtschaft und Klimaschutz sowie für Umwelt hatten einen klimafreundlicheren Entwurf vorgelegt, das Kanzleramt von Olaf Scholz (SPD) und das Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) konnten ihn jedoch in zwei wichtigen Punkten abschwächen.
Ende April 2022. Seit einem Monat schicken sich Wirtschafts- und Umweltministerium Entwürfe des LNG-Beschleunigungsgesetzes hin und her. Die Häuser von Robert Habeck und Steffi Lemke schlagen darin vor, “dass der Betrieb der Anlage mit flüssigem Erdgas spätestens am 31. Dezember 2040 einzustellen ist”.
Nun steht die sogenannte Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung an, bei dem die anderen Ministerien den Entwurf zu sehen bekommen. Es soll schnell gehen. Die Ressorts haben lediglich drei Tage für Anmerkungen oder Änderungsvorschläge, wie aus einer Mail des Wirtschafts- und Klimaschutzministerium vom 29. April hervorgeht (Betreff: “EILT SEHR”).
Veto des Kanzleramts
Das Kanzleramt meldet sich kurz vor Ablauf der gesetzten Frist bei Habecks Fachleuten zurück und erbittet eine Stellungnahme. Es geht um den Stichtag 31. Dezember 2040, auf den sich Wirtschafts- und Umweltministerium geeinigt haben.
Der zuständige Referatsleiter aus dem Kanzleramt fragt, welche Auswirkungen dieses Datum „auf die Bereitschaft von Unternehmen” für die Investition in LNG-Infrastruktur haben könnte. Auch Forderungen ausländischer Regierungen bringt das Kanzleramt ins Spiel: Die niederländische Regierung habe sich dem Kanzleramt gegenüber über die Frist “ausgesprochen kritisch geäußert”. Hintergrund ist ein LNG-Terminal in Brunsbüttel, bei dem die beiden Regierungen kooperieren.
Am nächsten Morgen schickt das Wirtschaftsministerium dem Kanzleramt seine Argumente. Die Befristung auf das Jahr 2040 bestehe, um den „nationalen Zielen im Klimaschutz zu entsprechen“. Mit dem Klimaschutzgesetz ist verbindlich festgelegt, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein muss.
Das Kanzleramt zeigte sich von den Argumenten aus dem Wirtschaftsministerium wenig beeindruckt. Am 4. Mai 2022 schreibt der Referatsleiter, dass auf Seiten des Kanzleramts Leitungsvorbehalt bestehe – eine Art Veto, mit der ein Gesetzesverfahren ausgesetzt wird, bevor es ins Kabinett kommen kann. Er gehe davon aus, dass es über den Vorbehalt “einen Austausch bei der heutigen Kabinettssitzung gibt”.
In der Pressekonferenz im Anschluss an die Kabinettssitzung bestätigt Klimaschutzminister Habeck, dass er den Gesetzentwurf mit seinen Kollegen beraten habe.
Das Kanzleramt wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Doch klar ist: Die Regierungszentrale setzte sich mit seinen Bedenken durch. Denn in dem Entwurf vom nächsten Tag, dem 5. Mai, der abgeordnetenwatch.de vorliegt, ist vom Jahr 2040 keine Rede mehr. Stattdessen heißt es nun, “dass der Betrieb der Anlage mit verflüssigtem Erdgas spätestens am 31. Dezember 2043 einzustellen ist”. So wird es später auch im Bundestag beschlossen werden. Die Verlängerung kommt den Energiekonzernen entgegen. Sie haben nun drei Jahre mehr Zeit, um verflüssigtes Erdgas einführen zu können.
Doch das war nicht die einzige Abschwächung des Gesetzes.
Aus "grün" wird "klimaneutral" – ein entscheidender Unterschied
In ihrem ursprünglichen Entwurf hatten das Wirtschafts- und das Umweltministerium festgeschrieben, dass Terminals auch nach dem Stichtag betrieben werden können – aber nur, wenn das Flüssiggas mit Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird, also sogenannter “grüner Wasserstoff”.
abgeordnetenwatch.de
Von einem Tag auf den anderen ändert sich das LNG-Gesetz in zwei wichtigen Punkten. Vorausgegangen waren Verhandlungen in der Bundesregierung, in denen das Wirtschaftsministerium nachgeben musste.
Doch diese Definition wurde nach Verhandlungen mit dem Bundeskanzleramt und dem Finanzministerium aufgeweicht. Im beschlossenen Gesetz heißt es nun, dass ein Weiterbetrieb mit “klimaneutralem Wasserstoff” zulässig ist. Das klingt zunächst nach keinem wesentlichen Unterschied.
Doch “klimaneutraler Wasserstoff” ist nicht gleich “grüner Wasserstoff” – im Gegenteil. Als klimaneutral gilt zum Beispiel auch sogenannter blauer Wasserstoff, der aus Erdgas und mit fossiler Energie erzeugt wird, wenn das entstandene CO2 unterirdisch eingelagert wird. Die unterirdische Speicherung von CO2 wird vor allem von der FDP vorangetrieben.
Das Finanzministerium von Christian Lindner wollte sich auf Anfrage nicht zu seiner Rolle im Gesetzgebungsverfahren äußern.