Beim Thema Korruptionsbekämpfung läuft es hierzulande ähnlich wie im Film “Und täglich grüßt das Murmeltier”: Beim Aufwachen stellt man fest, dass alles beim Alten ist.
So war es zuletzt Mitte März, als die Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO) Deutschland wieder einmal an die bekannten Versäumnisse erinnerte. Zahlreiche Forderungen seien von den hiesigen Behörden nicht umgesetzt worden, kritisierte die GRECO in ihrem jüngsten Bericht.
Es gab aber auch anerkennende Worte. So habe die Bundesregierung eine konkrete “Orientierungshilfe für hochrangige Entscheidungsträger” erstellt, die sich mit Fragen der Integrität befasst, lobte GRECO. Mit anderen Worten: Was Regierungsmitglieder dürfen und was nicht, ist nun in einem übersichtlichen Dokument aufgeschrieben. Deutschland habe damit die Empfehlung “in zufriedenstellender Weise umgesetzt”, attestierten die Korruptionsexpert:innen.
Der Europarat wundert sich, dass das Dokument nicht veröffentlicht wurde
Allerdings: Öffentlich zugänglich ist die "Orientierungshilfe" nicht. Die Bundesregierung solle das nachholen, “um die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welches Verhalten von hochrangigen Entscheidungsträgern erwartet werden kann", verlangte GRECO.
Das Dokument trägt den Titel “Orientierungshilfe zu den Rechtsverhältnissen der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretärinnen und Parlamentarischen Staatssekretäre des Bundes” und liegt abgeordnetenwatch.de vor. Das Innenministerium hat es auf Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) herausgeben müssen. Zusammen mit FragDenStaat veröffentlichen wir die "Orientierungshilfe" inklusive Anlagen.
Einkünfte aus Kapitalvermögen: zulässig
Welches Verhalten von den Regierungsmitgliedern erwartet wird, wissen die Betroffenen seit mehr als einem Jahr. Am 15. Dezember 2021 schickte Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) seinen kurz zuvor vereidigten Kabinettskolleg:innen einen Brief. Er erinnerte daran, dass sie “besonderen Integritätsstandards” unterlägen. Es gehe darum, Konflikten zwischen den Staats- oder Allgemeinwohlinteressen sowie den privaten Interessen vorzubeugen. Ausführlich nachzulesen sei dies in der “Orientierungshilfe”, die das Innenministerium von Nancy Faeser zuvor verschickt hatte.
Die “Orientierungshilfe" behandelt unter anderem die folgenden Punkte:
- Aufsichtsratsposten: unzulässig bei auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen (Bundestag bzw. Regierung können jedoch im Einzelfall eine Ausnahme beschließen)
- Vorstandsposten: unzulässig bei auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen
- Beruf neben dem Ministeramt: unzulässig
- Einkünfte aus Kapitalvermögen, Vermietungen und Verpachtung: zulässig
- Schriftstellerische Tätigkeit: ohne Honorar zulässig, sofern es in Ausübung des Amtes erfolgt. Ohne Bezug zum Amt ebenfalls zulässig – dann “ist in Eigenverantwortung über die Annahme und Verwendung eines Honorars zu entscheiden.”
- Teilnahme an Podiumsdiskussionen, Veröffentlichungen in Massenmedien, Vorträge: zulässig, sofern ohne Honorar
- Geschenke: zulässig, sofern mit Bezug zum Amt. Ab einem Wert von 150 Euro ist ein Geschenk meldepflichtig, bei Überschreiten dieser Bagatellgrenze ist es abzugeben.
- eigenes Gewerbe: unzulässig. Geschäftsanteile dürfen aber grundsätzlich besessen werden.
Aufgeben müssen Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretär:innen ein eigenes Unternehmen aber nicht, sondern "lediglich durch eine Vertreterin oder einen Vertreter führen lassen." Als Beispiel wird eine Anwaltskanzlei genannt. "Auf Briefköpfen und Türschildern der Kanzlei kann weiterhin auf die Zugehörigkeit hingewiesen werden."
Bei Einladungen ins Stadion ist auf "entsprechende Kleidung" zu achten
Das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und in die Regierung seien für eine effektive und effiziente Politikgestaltung von grundlegender Bedeutung, heißt es unter dem Punkt "Leitlinien und Regelungen zur Integrität und Vermeidung von Interessenkonflikten". Erarbeitetes Vertrauen könne unter anderem durch Korruptionsfälle in der Regierung schnell verspielt werden. Darum unterlägen Mitglieder der Bundesregierung und Parlamentarische Staatssekretär:innen "aufgrund der Bedeutung ihrer Staatsämter besonders hohen Integritätsstandards".
So gibt es zum Beispiel klare Regeln für die "Annahme von Eintrittskarten". Sofern eine Veranstaltung in einer dienstlichen Funktion besucht wird, handele es sich zwar nicht um eine mögliche Vorteilsannahme. "Wichtig ist, dass Eintrittskarten nicht von einem privaten Sponsor bezahlt werden." Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretär:innen "sollten nicht in der Lounge eines Sponsors sitzen, sondern im Bereich der bereitgestellten Ehrenplätze." Es solle äußerlich erkennbar sein, dass der Besuch in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit erfolge. "Hierzu gehören entsprechende Kleidung und ggf. das Fernhalten von Familienmitgliedern und Freunden aus unmittelbarer Nähe zum Tribünenplatz."
Lebensnah ist auch ein Beispiel zum Thema Verschwiegenheit im Amt. "Bei der immer mehr an Bedeutung gewinnenden Nutzung von sozialen Medien ist die Pflicht der Amtsverschwiegenheit stets zu beachten."
[Dokument "Orientierungshilfe zu den Rechtsverhältnissen der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretärinnen und Parlamentarischen Staatssekretäre des Bundes" im Volltext. Zum Ansehen muss es ggfs. zunächst über den Schalter aktiviert werden]