Was passiert in den Hinterzimmern des Regierungsviertels, wenn Lobbyist:innen und Politiker:innen unter sich sind? Eine Recherche von abgeordnetenwatch.de und ZDF gibt Einblicke in die verschlossene Welt des Lobbyismus.
Eineinhalb Jahre lang haben Undercover-Reporter:innen im Regierungsviertel recherchiert. Sie gaben sich als vermeintliche Lobbyist:innen aus und trafen Abgeordnete sowie ehemalige Politiker:innen, die heute als Berater:innen arbeiten. (Lesen Sie hier die gesamte Recherche: Das Lobbyismus-Experiment)
Das sind die fünf wichtigsten Ergebnisse der Recherche:
Erstens: Mit einer guten Geschichte lässt sich jedes Lobby-Anliegen bei Abgeordneten platzieren
Wenige Stunden nach ihrer Anfrage hatten die Undercover-Reporter:innen ihren ersten Termin im Bundestag: Ein Abgeordneter bot ihnen per Mail ein Treffen in seinem Büro an.
Die Reporter:innen hatten sich bei ihm und anderen Abgeordneten zuvor als Lobbyist:innen einer Agentur vorgestellt, die für einen angeblichen Kunden aus Großbritannien arbeitet. Dieser wolle in Deutschland eine Fabrik bauen und Arbeitsplätze schaffen, so lautete die Erzählung.
In den Gesprächen mit den Abgeordneten zeigte sich, dass die Geschichte mit den Jobs ein Türöffner war: Mehrere Politiker:innen zeigten großes Interesse und schlugen sogar konkrete Gewerbegebiete vor.
Tatsächlich, so der ehemalige Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, der die Journalist:innen mit seiner Expertise unterstützte, nutzten Lobbyist:innen das Arbeitsplatzargument, um weitere Wünsche bei den Abgeordneten zu platzieren.
Die vermeintlichen Lobbyist:innen wollten das Interesse der Abgeordneten ebenfalls nutzen, um etwas anderes an sie heranzutragen: den Wunsch nach einem millionenschweren Förderprogramm der Regierung, von dem der Kunde massiv profitieren könnte.
Zweitens: Wer der anonyme Kunde der Lobbyist:innen ist, wollte niemand wissen
Die Undercover-Reporter:innen teilten den Abgeordneten nur in groben Zügen mit, wer der vermeintliche Kunde sei: ein mittelständischer E-Zigaretten-Hersteller aus Großbritannien.
Sie baten ihre Gesprächspartner:innen um Verständnis dafür, dass sie dessen Namen vorerst nicht nennen könnten. Die Planungen für die Firmenansiedlung befänden sich in einem sehr frühen Stadium. Zudem seien mehrere Standorte in der engeren Auswahl. Welche, solle vertraulich bleiben.
Diese Aussage wurde von den Abgeordneten akzeptiert. Niemand bestand darauf, die Identität des Kunden zu erfahren.
Dennoch erwiesen mehrere Abgeordnete den vermeintlichen Lobbyist:innen einen Gefallen (s. nächster Punkt).
Drittens: Abgeordnete ließen sich für Lobby-Interessen einspannen
Schon beim ersten oder zweiten Treffen waren Abgeordnete bereit, den vermeintlichen Lobbyist:innen einen Gefallen zu tun.
Eine Abgeordnete stellte sich als Schirmherrin für eine Lobbyveranstaltung im Bundestag zur Verfügung. Mit ihrem Namen auf der Einladung hätten die Lobbyist:innen bei anderen Abgeordneten für ein „Parlamentarisches Frühstück“ werben können, wenn sie die Veranstaltung durchgeführt hätten.
Ein Abgeordneter mailte noch während des Treffens in seinem Büro einen unveröffentlichten Entwurf seiner Fraktion.
Derselbe Abgeordnete holte Informationen von der Bundesregierung ein: Er reichte eine Schriftliche Anfrage ein, die er die Lobbyist:innen vorformulieren ließ.
Ein Abgeordneter fragte ebenfalls im Interesse der Lobbyist:innen bei der Regierung nach. Er reichte im Namen seiner Fraktion eine Kleine Anfrage ein, die die Lobbyist:innen vorformuliert hatten.
Die Bundesregierung beantwortete sowohl die Kleine Anfrage als auch die Schriftliche Anfrage. Solche Informationen über Positionen und Pläne der Regierung können für Lobbyist:innen hilfreich sein, um ihre Strategien anzupassen.
Die fehlende Distanz zu den vermeintlichen Lobbyist:innen zeigte sich auch an einem anderen Beispiel: Zwei Abgeordnete ließen sich von ihnen zum Mittagessen in ein Restaurant einladen.
Viertens: Ein Termin mit einem Minister/einer Ministerin lässt sich kaufen
Die vermeintlichen Lobbyist:innen sprachen auch mit drei ehemaligen Politikern, die heute als Berater tätig sind – zwei Ex-Minister und ein ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär. Bei den Treffen, von denen zwei per Videokonferenz stattfanden, erkundigten sie sich, ob die Gesprächspartner einen Termin bei einem Minister oder einer Ministerin der Ampelkoalition vermitteln könnten.
Alle drei stellten Kontakte in Aussicht:
Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) gab zu verstehen, dass er nach wie vor gute Kontakte zur Bundesregierung habe. Ein Treffen mit dem ihm bekannten Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) könne er zwar nicht versprechen. Aber mit seinem Parlamentarischen Staatssekretär werde es klappen.
Der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch (Grüne), der inzwischen für eine Lobbyagentur tätig ist, sagte, er kenne Lauterbach. Kontakte zum Gesundheitsministerium sowie zum Umweltministerium habe er. Im Falle einer Beauftragung würde er sie nutzen.
Ex-Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, der die Undercover-Reporter im China Club am Brandenburger Tor empfing, sagte sinngemäß, es sei eigentlich noch nie passiert, dass ihm als ehemaliger Minister ein amtierender Minister ein Gespräch verweigert habe. Niebel wurde von einem Geschäftspartner begleitet, der eine Lobby-Agentur betreibt. Der gab gegenüber den vermeintlichen Lobbyisten:innen zu verstehen: Wenn der Kunde einen Minister sprechen wolle, werde man das hinbekommen.
Nach den Gesprächen schickten die Ex-Politiker bzw. ihre (Partner-)Agenturen konkrete Angebote. Die Vermittlung eines Treffens mit einem Minister oder einer Ministerin wird darin jedoch nicht explizit erwähnt. Die Tagessätze der drei Ex-Politiker liegen zwischen 2.500 und 3.000 Euro.
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Die drei ehemaligen Politiker erklärten auf Anfrage, sie würden sich jederzeit an alle gesetzlichen Vorgaben halten. Schlauch ließ über eine Anwaltskanzlei außerdem mitteilen, dass das Angebot ausschließlich allgemein zugängliche Recherchearbeit umfasse (Desk-Research). Erst in einem hiervon “getrennt verlaufenden künftigen eventuellen zweiten Schritt” habe die Agentur angeboten, mit den für E-Zigaretten zuständigen Vertretern der Bundesregierung in Kontakt zu treten.
Fünftens: (Fast) alle Lobby-Gespräche blieben der Öffentlichkeit verborgen
Zwischen September 2023 und Februar 2024 sprachen die Undercover-Reporter:innen mit sechs Abgeordneten, mit zwei von ihnen gab es ein Folgetreffen. Die Gespräche fanden in Bundestagsbüros, in einem Bundestagsrestaurant, in der Parlamentarischen Gesellschaft, in einem Steakhaus sowie per Videokonferenz statt.
Nur einer der Termine wurde im Nachhinein transparent: Der SPD-Abgeordnete Alexander Bartz veröffentlichte das Treffen auf seiner Internetseite unter der Rubrik „Transparenz“ – auf freiwilliger Basis.
Auch die von den Ex-Politikern in Aussicht gestellten Kontakte zu einem Minister oder einer Ministerin wären nicht transparent geworden, wenn sie stattgefunden hätten.
Der Grund: Im Gegensatz zu Ländern wie Irland und Frankreich existiert in Deutschland keine Transparenzpflicht für Kontakte zwischen Politiker:innen und Lobbyist:innen.