Frage an Wolfgang Tiefensee von Werner W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Tiefensee,
sicher haben Sie sich Gedanken zum ESFS gemacht und sich ein Urteil gebildet. Daher meine Frage, wie werden Sie abstimmen und welche Überlegungen sind dafür maßgebend?
MfG Willeke
Sehr geehrter Herr Willeke,
ich habe mit der SPD-Bundestagsfraktion dem Rettungsschirm Ende September 2011 zugestimmt. Die Linie der SPD ist dabei eindeutig.
Nicht wir müssen uns korrigieren. Die schwarzgelbe Koalition ist es, die auf unsere Forderungen einschwenken muss. Seit dem ersten Griechenland-Paket sagen wir: Rettungsschirme mit Krediten
reichen nicht. Sie sind notwendig in der akuten Krise, aber nicht hinreichend, um die Ursachen dauerhaft zu bekämpfen. Seit anderthalb Jahren fordern wir die Gläubigerbeteiligung und den Schuldenschnitt. Schwarz-Gelb hat das viel zu lange bekämpft und öffnet sich jetzt viel zu zögerlich.
Die derzeitige Krise bedroht Europa nicht nur als Wirtschaftsstandort, sondern auch als Wertegemeinschaft und funktionsfähige Demokratie. Als größtes Land der EU und mit der stärksten Wirtschaftskraft ausgestattet trägt Deutschland eine besondere Verantwortung für die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses.
Das große europäische Einigungswerk darf nicht gefährdet werden. Nur mit einem starken Europa lässt sich die Globalisierung gestalten und nur in einem starken Europa kann die deutsche Wirtschaft weiter wachsen. Wir stimmen daher dem Gesetzentwurf zur Aufstockung und Ausweitung des Euro-Rettungsschirms zu. Schnelles und flexibles Reagieren auf die kritische Situation in einigen Mitgliedstaaten ist zur Stabilisierung
der gesamten Eurozone notwendig. Es darf zu keiner weiteren Destabilisierung des gesamten europäischen Währungsraums mit unabsehbaren politischen Folgen kommen. Künftig kann die „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“ (EFSF) unter strengen Auflagen und Konditionen einem Euro-Mitgliedstaat auch vorbeugende Kredite bereitstellen, Darlehen zur Refinanzierung ihrer Banken gewähren sowie bei Gefahren für die Finanzstabilität im Euroraum Anleihen eines Euro-Mitgliedstaates auf dem Primär- oder Sekundärmarkt kaufen. Der von der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stehende Gewährleistungsrahmen wird von 123 Mrd. Euro auf nunmehr knapp 211 Mrd. Euro erhöht. Diese Schritte sind notwendig, reichen jedoch nicht aus, um Europa dauerhaft aus der Krise zu führen.
Wir fordern darüber hinaus unter anderem:
- Jeder Mitgliedsstaat des Euro-Währungsgebietes muss sich verpflichten, eine Schuldenregelung einzuführen, die gewährleistet, dass die Neuverschuldung konsequent begrenzt wird. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist zu verbessern und für die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets zu verstärken.
- Sparen allein reicht nicht aus. Wir fordern einen „Wachstumspakt Europa“. Wir wollen besonders für Staaten, bei denen sich wegen einer Rezession weitere Refinanzierungsschwierigkeiten abzeichnen oder die von makroökonomischen Ungleichgewichten negativ betroffen sind, zusätzliche, gezielte Wachstumsimpulse durch Förderung von Zukunftsinvestitionen aus Mitteln der Gemeinschaft, die die eigenen Investitionsanstrengungen ergänzen. Dazu muss der Mittelabfluss der bestehenden europäischen Strukturhilfemittel vereinfacht werden, die der betreffende Staat erhält. Die Mittel, die aus dem Aufkommen einer Finanztransaktionssteuer zur Verfügung stehen, können bei der
Investitionsfinanzierung helfen.
- Zu einer koordinierten Wirtschaftspolitik gehören europäische Mindeststandards: Flächendeckende Mindestlöhne orientiert am
durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen im jeweiligen Mitgliedstaat sowie eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung mit einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer und Mindeststeuersätzen auf Kapitalerträge und Gewinne.
- Die Gläubiger sind grundsätzlich an der Sanierung zu beteiligen, wenn die Gesamtverschuldung eines Staates so hoch ist, dass er sie dauerhaft nicht mehr aus eigener Kraft bedienen kann. In Europa muss der Grundsatz gelten: Risiko und Haftung gehören zusammen.
- Wir wollen die Finanzmärkte in ihre Schranken verweisen. Erforderlich ist ein Verbot schädlicher Finanzmarktgeschäfte mit Derivaten und Leerverkäufen sowie des spekulativen Handels mit Kreditausfallversicherungen. Die Aufsichtsbehörden sind darüber hinaus mit weitgehenden Kompetenzen auszustatten, um bei einer Gefährdung der Finanzmarktstabilität weitere risikobehaftete Geschäfte aussetzen zu können. Kreditausfallversicherungen darf nur derjenige besitzen, der auch Eigentümer der entsprechenden Forderung ist. Wir brauchen außerdem eine strenge Regulierung des hochfrequenten Computerhandels. Es ist zudem zu prüfen, ob durch die regulatorische Trennung von Investment- und Privatkundengeschäft für europäische Kreditinstitute die Finanzmarktstabilität gestärkt werden kann. Rating-Agenturen müssen streng beaufsichtigt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Wolfgang Tiefensee