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Frage von Holger S. •

Frage an Wolfgang Tiefensee von Holger S. bezüglich Wirtschaft

Lieber Herr Tiefensee,

ich nehme Frau Merkels "Verhandlungsergebnis" zum ausgeweiteten Rettungsschirm an diesem Wochenende zum Anlass, einmal ganz explizit zu fragen, ob Sie glauben, daß Schweden, Tschechen, Dänen, Norweger und Briten tatsächlich schlechtere Europäer sind. Diese haben ihre nationalen Währungen behalten und fahren sehr gut damit. Wenn Sie demnächst im Bundestag wieder zustimmen sollen zur neuen alternativlosen EURO-Rettung, dann möchte ich doch bitten, daß Sie alle endlich aufwachen in Ihrem bequemen Berliner Raumschiff. Ohne Gegenleistung der Schuldnerländer werden diese "gerettet" mit Milliarden Steuergeldern und niemand im Bundestag scheint endlich auf die Barrikaden zu gehen gegen das Alternativlos-Argument. Auch Ihre Partei nicht. Wissen Sie denn eigentlich, wie das Geldsystem funktioniert? Ist die Entscheidungsvorlage für die Abstimmung denn wiklich fundiert?
Sie leisten sich im Bundestag monatelange Debatten um 3,- Euro-HartzIV mehr oder weniger und winken dann Milliarden an Bürgschaften und Hilfen ohne echte Gegenleistungen/Sicherheiten an einem Nachmittag durch. So wird das ganze Parlament eine Farce und damit ist weder Europa noch dem sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gedient.... (fassungslos).

Achso - zurück zu meiner Frage: Sind Schweden, Tschechen, Dänen, Norweger und Briten tatsächlich schlechtere Europäer, weil sie Euro und Europa auseinanderzuhalten wissen?

Viele Grüße

Holger Schack

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Schack,

ich danke Ihnen für Ihre Frage vom 12. März 2011.

Deutschland profitiert wie kein anderes Mitglied der Europäischen Union von der Einführung des Euro: Im Jahr 2010 lag der Anteil der Exporte aus der Bundesrepublik Deutschland in andere Mitgliedsstaaten der EU laut Statistischem Bundesamt bei 64 Prozent. Deutschland als mitführende Exportnation ist demnach auf einen starken Euro angewiesen. (Hilfs-)Maßnahmen zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung zu ergreifen liegt im Eigeninteresse unseres Landes, um Schaden für die deutsche Wirtschaft und den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern.

Diese Währungsstabilität darf nicht verloren gehen. Für einen stabilen Euro sind stabile Mitgliedsstaaten die Voraussetzung. Eine exorbitante Staatsverschuldung von EU-Mitgliedsstaaten gefährdet die Währungsstabilität. Folge: Die Finanzmärkte gewähren den stark verschuldeten Mitgliedsstaaten - wie Griechenland und Irland - keine marktüblichen Zinssätze mehr bei der Aufnahme neuer Kredite. Mehr noch: die Finanzmärkte spekulieren - auch infolge von Herabstufungen durch die internationalen Rating-Agenturen (die im Übrigen auch einer Reform bedürfen, was jedoch nur im internationalen Konsens realisierbar sein wird), auf den Wertverlust des Euro - was z.B. enorme Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft und den Verlust von Arbeitsplätzen mit sich bringen würde. Staatsanleihen werden somit zur Ramschware deklassiert.

Dass dies auch die Folgen nationaler Probleme sind, bestreite ich nicht. Die Ursache exorbitanter Staatsverschuldung von Mitgliedsstaaten wie Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien liegt insbesondere in der jeweils national unsoliden Haushaltspolitik. Das mangelnde Vertrauen der Finanzmärkte in die Fähigkeit der Schuldner, ihre Kredite zu tilgen, verschärft die Schuldenkrise zusätzlich. Kredite sind für diese Länder jedoch notwendig, um ihre Ausgaben im laufenden Finanzhaushalt zu decken. Dies ist ein Teufelskreislauf, der unbedingt durchbrochen werden muss.

Die EU-Mitgliedsstaaten dürfen nicht in die Haushaltspolitik eines anderen Mitgliedsstaates eingreifen. Deshalb setzt die Hilfe im Rahmen des "Euro-Rettungsschirms" bei dem Vertrauen in die Finanzpolitik des in die finanzielle Krise geratenen Staates an. Wir müssen es den überschuldeten Ländern ermöglichen, günstigere als die ihnen angebotenen Kredite aufzunehmen, indem die EU die Kredittilgung ihrer Mitgliedsstaaten garantiert.

Hierfür vergibt die EU im Rahmen der Europäischen Finanz-Stabilisierungs-Fazilität (EFSF) und des Europäischen Finanz-Stabilisierungs-Mechanismus (EFSM oder ESM) Kredite und Bürgschaften. Letztere sind keine direkten Zahlungen an das jeweilige Land, sondern Bürgschaften, die dem Gläubiger - meist Banken anderer europäischer Länder - die Rückzahlung der Kredite garantieren. So gelingt es, den verschuldeten Staaten wieder Liquidität zu verschaffen, um ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können.

Ihre Aussage, dass die Schuldenländer ohne Gegenleistung vor dem Staatsbankrott gerettet werden, ist falsch. Griechenland verpflichtete sich zu harten Reformen. Dies galt als Voraussetzung der Helferstaaten dafür, dass Griechenland unter den Euro-Rettungsschirm klettern durfte. Im Übrigen erlaube ich mir den Hinweis, dass auch den von Ihnen genannten Ländern, die nicht Mitglied der EU-Währungsunion sind, viel an der Stabilität des Euro und somit der EU liegt: erklärten sich doch z.B. Dänemark und Schweden zu einer freiwilligen Griechenlandunterstützung bereit. Auch diese Mitgliedsstaaten haben die Notwendigkeit des Euro-Rettungsschirms verstanden.

Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou hat nicht nur das Renteneintrittsalter auf 65 Jahre erhöht und weitere harte Reformen - insbesondere im Sozialsystem - in seinem Land durchgesetzt, sondern sich zuletzt auch zu Privatisierungen in Höhe von 50 Milliarden Euro und der Einführung einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild verpflichtet. Dieser Weg, der auf bitteren Widerstand in der griechischen Bevölkerung trifft, ist kein einfacher - aber er ist die unausweichliche Grundlage dafür, Griechenland und somit auch den Euro aus der Krise zu führen.

Dass die europäischen Hilfsmechanismen EFSF, EFSM, der Internationale Währungsfond und die Europäische Zentralbank Steuergelder nicht aus dem Fenster werfen, beweist die Verweigerung einer Zahlung an Irland, sofern dort nicht die Unternehmenssteuer angehoben wird, was zu steigenden Staatseinnahmen und einer einheitlicheren europäischen Steuerpolitik führt.

In diesem Zusammenhang fordert die SPD schon seit Beginn der internationalen Wirtschaftskrise die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer. Auf supranationaler Ebene (G20) konnte sie bis dato nicht durchgesetzt werden - was auch an der Halbherzigkeit der schwarz-gelben Bundesregierung liegt. Ein Etappenziel wäre die Durchsetzung auf europäischer Ebene. Übrigens: die SPD-Bundestagsfraktion hatte sich bei der Abstimmung zum Griechenland-Rettungsschirm im Deutschen Bundestag der Stimme enthalten. Voraussetzung der SPD für ihre Zustimmung war die Einführung der Finanzmarkttransaktionssteuer. Die schwarz-gelbe Bundesregierung lehnte dies ab.

Die Finanzmarkttransaktionssteuer würde dazu beitragen, die Anzahl der Finanzaktivitäten, insbesondere der Spekulationen, zu begrenzen. Großbritannien erhebt eine ähnliche Steuer seit dem Jahr 1964, obwohl London der größte Finanzplatz in Europa ist. Von den 27 Mitgliedsstaaten der EU haben bereits zehn Staaten eine Steuer auf Finanzgeschäfte eingeführt. In den vergangenen 15 Jahren ist die Anzahl der Finanzaktionen um 450 Prozent angewachsen. Heute - selbst nach der Krise - ist das globale Finanzsystem 70-mal größer als die Realwirtschaft. Die globale Finanztransaktionssteuer in Höhe von 0,05 Prozent könnte jährlich globale Einnahmen in Höhe von 1 Prozent des nominalen Welteinkommens generieren. Das wären weltweit rund 500 Milliarden Euro. 200 Milliarden Euro könnten allein in der EU eingenommen werden. Es kann nicht sein, dass die Gewinne der Banken privat bleiben, aber ihre Verluste auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger gehen.

Der am vergangenen Wochenende von den EU-Staats- und Regierungschefs ausgehandelte "Pakt für den Euro" umfasst diese Maßnahme leider nicht, dafür andere wichtige Instrumente, die die Wirtschaftspolitiken der EU-Länder angleicht und Unterstützungstransfers ermöglicht. Darunter fällt die Stärkung des Euro-Rettungsschirms (ESM) auf 500 Milliarden Euro aus EU-Mitteln. Diesem soll es nun auch erlaubt sein, im Notfall Staatsanleihen von Länder mit Finanzierungsproblemen aufzukaufen, um jenen frisches Geld zu verschaffen, das dringend benötigt wird. Ab 2013 soll der ESM auch fester Bestandteil der Wirtschafts- und Währungsunion sein - neben dem EFSF, dessen Volumen von 250 auf 440 Milliarden Euro steigen wird.

Zum Stichwort "Sozialer Zusammenhalt": Die EU ist aus sozialdemokratischer Sicht nicht mehr allein eine Wirtschaftsunion. Die SPD setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die EU auch als Sozialunion begriffen wird. Voraussetzung hierfür sind Vereinheitlichungen in der Steuer- und insbesondere in der Sozialpolitik ihrer Mitgliedsstaaten. Das zu realisieren ist bei 21 von 27 konservativ-liberal regierten Mitgliedsstaaten sehr mühselig. Ein guter und wichtiger Schritt ist die Angleichung des Renteneintrittsalters im Rahmen des "Pakts für den Euro".

Sie greifen in Ihrem Statement die Abstimmung über die Hartz IV-Regelsätze auf infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils - das nicht die Höhe als verfassungswidrig aburteilte, sondern die Berechnungsgrundlage. Es mag auf den ersten Blick schwer nachvollziehbar sein, weshalb Deutschland für die Rettung von Banken und/oder EU-Mitgliedsstaaten Milliarden in kurzer Zeit aufzubringen bereit scheint, sich die Parteien aber bei einem "Kleckerbetrag" bei Hartz IV wochenlang nicht einigen können.

Erstens habe ich versucht, Ihnen zu verdeutlichen, dass es sich beim Euro-Rettungsschirm - und auch beim Banken-Rettungsschirm - insbesondere um Bürgschaften handelt. Zweitens vergleichen Sie Äpfel mit Birnen.

Bei den Hartz IV-Regelsatz-Verhandlungen ist es der SPD nicht nur gelungen, eine Erhöhung des Regelsatzes um 5 Euro in diesem Jahr und 3 Euro im nächsten Jahr durchzusetzen (was zusammenaddiert ebenfalls zusätzliche Milliarden kostet). Hinzu kommen Mindestlöhne in der Zeitarbeit, im Sicherheitsgewerbe und in der Weiterbildungsbranche, insgesamt umfasst dies 1,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. 500.000 Kinder profitieren zusätzlich vom Bildungspaket, denen 3.000 Schulsozialarbeiter zur Seite und ein kostenloses Mittagessen in den Schulen zur Verfügung stehen. Und Kommunen werden bei der Grundsicherung im Alter bis 2014 entlastet.

Die Handlungsunfähigkeit von Union und FDP hat die Suche nach einem Kompromiss erschwert und verzögert. Grund war insbesondere die Blockade der FDP gegen jeden sozialen Fortschritt und die offene Uneinigkeit zwischen Bundes- und Landesebene in der Union. Am 8. Februar hatte die Bundesregierung die Verhandlungen vorsätzlich abgebrochen. Durch die Initiative der SPD und auf Vermittlung des Rheinland-Pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck kamen die Gespräche erst wieder in Gang und durch die Kompromissbereitschaft der SPD zu einem Ergebnis.

Gewonnen haben auch arbeitslose Menschen, die einen höheren Regelsatz erhalten. Zu den Gewinnern gehören die Kinder erwerbsloser Eltern, die ein besseres Bildungspaket bekommen. Und schließlich profitieren die Kommunen, weil der Bund die Grundsicherung im Alter übernimmt.

Es wäre also eher angebracht, Ihren Missmut den Damen und Herren Abgeordneten von CDU/CSU und FDP und der Bundesregierung gegenüber kundzutun.

Sie haben richtig festgestellt: Der Deutsche Bundestag hat über den erweiterten Euro-Rettungsschirm mitzubestimmen. Ebenso wie vergangenes Jahr über die Griechenland-Hilfe und auch über die Milliarden-Bürgschaften für deutsche Banken. Sie dürfen gewiss sein, dass ich solche Entscheidungen nicht leichtfertig, sondern äußerst besonnen treffe.

Die SPD-Bundestagsfraktion wird das Verhandlungsergebnis der EU-Staats- und Regierungschefs vom vergangenen Wochenende intensiv beraten und sich anschließend positionieren.

Um Ihre Frage abschließend zu beantworten: Es gibt keine guten oder schlechten Europäer. Wir sind alle Europäer.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Tiefensee