Frage an Wolfgang Stefinger von Jens A. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Stefinger,
ich möchte meinen Missmut über das neue geplante Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zum Ausdruck bringen. Gut gemeint dürfte hier wieder mal nicht gut gemacht werden.
Wie sollen wir als Bürger einem Staat trauen, der sich schon in der Vergangenheit zweifelhaft mit dem Schutz der Privatsphäre auseinandergesetzt hat. NSA & Co. lassen grüßen.
Die angedachten Schutzmechanismen werden nicht greifen. Denn sobald etwas möglich ist, wird es in der Regel auch gemacht. Wie sollen wir Bürger sicher sein, dass die Rahmenbedingungen eingehalten werden? Wer prüft die Prüfer?
Mir besteht da einfach zu viel Spielraum für Missbrauch und ich denke, dass dies den erstrebten Nutzen überwiegt.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Achenbach,
haben Sie vielen Dank für Ihre Email vom 15. April, in der Sie Ihre Sorge vor der sog. Vorratsdatenspeicherung zum Ausdruck bringen. Die Sorge von Bürgern vor einer lückenlosen Überwachung durch den Staat und eines Missbrauchs der gespeicherten Daten kann ich nachvollziehen.
Die Nachrichtendienste erfüllen eine wichtige Funktion für die Sicherheit unseres Landes und unsere ausländischen Partner. Wir sind hier auf eine enge Zusammenarbeit, insbesondere mit den USA, angewiesen, da unsere eigenen Möglichkeiten begrenzt sind. So waren es zum Beispiel die USA, die die entscheidenden Hinweise zur Aushebung der „Sauerlandgruppe“, einer islamistischen Terrorzelle, gaben. Dadurch konnte ein Terroranschlag in Deutschland verhindert werden. Darüber hinaus lieferten die US-Nachrichtendienste, um ein weiteres Beispiel zu nennen, wertvolle Informationen zum Schutz der in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten.
Dies alles darf aber kein Freifahrtschein für die Nachrichtendienste bedeuten. Sie müssen sich an Recht und Gesetz halten. Dies betrifft auch die bi- und multilaterale Zusammenarbeit. Daher müssen wir uns eingehend darüber Gedanken machen, wie wir die Kontrolle der Nachrichtendienste, damit meine ich auch ausdrücklich die parlamentarische Kontrolle, weiter verbessern können.
Doch zurück zur Frage der Mindestspeicherfristen: Ich halte die Befürchtungen angesichts der strengen Voraussetzungen, die mit der Einführung einer Speicherung von Verkehrsdaten verbunden sind, für überzogen. Es geht bei der Frage der Einführung einer zeitlich begrenzten Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten nicht um die Totalüberwachung der Bürger, es geht nicht um die Erfassung von Kommunikationsinhalten. Die Inhalte von Gesprächen, SMS oder E-Mails werden nicht mitgelesen.
Die gesetzlich geregelte und zeitlich begrenzte Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten ist aus meiner Sicht ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung schwerer Straftaten und zur Abwehr erheblicher Gefahren aus den Bereichen internationaler Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Schwerverbrechen wie beispielsweise die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornographie im Internet. Zugegeben: Die Vorratsdatenspeicherung kann schwere Straftaten zwar nicht unbedingt verhindern, aber sie kann dabei helfen, terroristische oder kriminelle Täternetzwerke aufzudecken und weitere Ermittlungen zu ermöglichen. In Zeiten moderner Kommunikationsmittel muss es den Sicherheitsbehörden bei einem konkreten Verdacht auf schwere Straftaten möglich sein zu ermitteln, welche Person wann und mit wem kommuniziert hat, um so die Bevölkerung besser schützen zu können.
Nach derzeitiger Lage sind die Verbindungsdaten bei den Telekommunikationsanbietern oftmals bereits gelöscht, wenn bei den zuständigen Behörden entsprechende Ermittlungen aufgenommen werden. Für den Ermittlungserfolg hat das schwerwiegende Folgen: Täter können nicht ausfindig gemacht werden und kommen ungestraft davon. Auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums (BMI) sind einige Beispiele zusammengestellt. Darüber hinaus findet sich dort auch eine Auflistung von Fahndungserfolgen aus dem Bereich des Bundeskriminalamtes (BKA), der Länder und der Bundespolizei für den Zeitraum 2008 bis 2010, als es eine gesetzliche Regelung über Mindestspeicherfristen gab. Die Sicherheitsbehörden haben aus diesem Zeitraum stammende Fälle analysiert. Sie betreffen schwere und organisierte Kriminalität, wie Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Internet- und Kommunikationskriminalität, versuchte oder begangene Tötungsdelikte sowie Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (z.B. Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz), aber auch Staatsschutzkriminalität, wie rechtsextreme Internetnetzwerke. Die Fälle zeigen: Die Ermittlungserfolge wären ohne das damalige rechtliche Instrumentarium der Mindestspeicherungsfristen nicht, in einigen Fällen sogar nicht einmal ansatzweise, möglich gewesen.
Die derzeit geplanten Speicherfristen sind unterschiedlich. Die Höchstspeicherfrist für Standortdaten, die mit der Benutzung eines Mobilfunkgerätes anfallen, beträgt nur vier Wochen. Darüber hinaus darf auf Standortdaten nur einzeln zugegriffen werden. Das Erstellen eines dauerhaften Bewegungsprofils ist damit nicht möglich. Die übrigen Verkehrsdaten (z.B. Verbindungsdaten im Internet) werden zehn Wochen gespeichert. Die Daten von Diensten der elektronischen Post sind komplett von der Speicherpflicht ausgenommen. Für den Zugriff auf die gespeicherten Verkehrsdaten bedarf es ausdrücklich einer richterlichen Genehmigung. Die Daten müssen nach Ablauf der Speicherhöchstfrist zudem gelöscht werden.
Damit es zu keinem Missbrauch der gespeicherten Daten kommt, müssen die Telekommunikationsanbieter strenge Anforderungen an den Datenschutz und die Datensicherheit erfüllen. Die Speicherung der Verbindungsdaten hat im Inland und nach dem Stand der Technik zu erfolgen. Auch sind die Daten in gesonderten Einrichtungen mit einem hohen Schutz vor Zugriffen aus dem Internet zu speichern. Zugriffe auf die gespeicherten Daten sind sicher zu protokollieren.
Ebenso wichtig wie effektive Schutzmaßnahmen ist aber auch ein stärkeres Sicherheitsbewusstsein der Internetnutzer. Nach wie vor herrscht bei vielen Nutzern eine „digitale Sorglosigkeit“. Da es keinen absoluten, 100%igen Schutz gibt, sollten die Nutzer auch genau abwägen, welche Daten sie im digitalen Raum über sich preisgeben wollen.
Aus meiner Sicht ist das Instrument einer gesetzlich streng geregelten Mindestspeicherfrist im Zeitalter moderner Kommunikationsmittel notwendig und stellt ein wichtiges Instrument dar, um unsere Bürger besser schützen zu können. Es kann und darf nicht sein, dass hier rechtsfreie Räume entstehen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Stefinger, MdB