Frage an Wolfgang Jüttner von Johann L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Jüttner,
seit August 2001 ist das Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft. In den vergangenen sechs Jahren wurden die eingetragenen Lebenspartnerschaften mit den gleichen Pflichten wie Eheleute belegt, d.h. alle Regelungen, die finanzielle Verantwortung füreinander beinhalten, gelten auch für Lebenspartnerinnen und Lebenspartner. Dem gegenüber stehen massive, diskriminierende Benachteiligungen, z.B. im Adoptionsrecht, im Erbschaftsteuerrecht (unterschiedliche Freibeträge) und bei Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit (Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf die staatliche Unterstützung). Im Gegensatz zu Eheleuten steht Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern für geleistete Unterstützung aber nur ein steuerlicher Absetzungshöchstbetrag von 7.680 € zu. Eine gemeinsame Veranlagung wie bei Eheleuten ist nicht möglich. Lebenspartnerschaften werden somit für die Übernahme gegenseitiger Fürsorge vom Staat finanziell bestraft, während andererseits auch kinderlose Ehen vom Ehegattensplitting profitieren können. Auch im Beamtenrecht werden mir und meinem Lebenspartner bisher der Familienzuschlag und andere Leistungen verwehrt, die meinen verheirateten und ebenfalls kinderlosen Kolleginnen und Kollegen zuerkannt werden.
Mit dieser diskriminierenden Gesetzeslage liegt die Bundesrepublik Deutschland in Europa weit hinter anderen Ländern zurück – man könnte auch sagen, wir sind eins der Schlusslichter, was die Akzeptanz alternativer Lebensformen und deren gesetzliche Gleichstellung angeht. Hieraus resultiert meine konkrete Frage:
In welcher Weise setzen Sie persönlich sich auf Bundes-, Landesebene und in Ihrem Wahlkreis zurzeit für die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe ein?
Sehr geehrter Herr Lübker,
vielen Dank für Ihre Frage.
In unserem Wahlprogramm haben wir unsere umfangreichen Vorstellungen und Ziele für den von Ihnen angesprochenen Bereich niedergelegt. Ich habe Ihnen zur Lektüre den vollständigen Text beigelegt.
9. Homosexuelle, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Bisexuelle und Transgender
Für die SPD in Niedersachsen ist gesellschaftliche Realität, dass Menschen sich zu ihrer sexuellen Identität bekennen. Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender gehören zur gesellschaftlichen Gemeinschaft in Niedersachsen. Trotz der Errungenschaften während der rot-grünen Bundesregierung wird die individuelle sexuelle Identität noch immer nicht vorurteilsfrei anerkannt. Unaufgeschlossenheit, Unaufgeklärtheit, sowie bewusst und unbewusst geschürte Vorurteile in der Familie, im Freundeskreis, in Schule und Ausbildung und am Arbeitsplatz führen immer noch zu Ausgrenzung, Diskriminierung und Isolation bis hin zu menschenverachtenden Reaktionen und Gewalt in allen Lebensbereichen.
Die Würde dieser Menschen zu respektieren und zu tolerieren und diese Menschen vor Ausgrenzung, Diskriminierung, Isolation und Gewalt zu schützen, ist Aufgabe und Herausforderung einer SPD-Landesregierung.
Vor allem die Schule ist Bildungs- und Erziehungsraum für Schülerinnen und für Schüler auch in Fragen der individuellen sexuellen Emanzipation. Nicht nur die sexuelle Aufklärung gehört hier zum Auftrag an die Schule, sondern auch die gesellschaftliche Erziehung zu Respekt und Toleranz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Individualitäten.
Die SPD in Niedersachsen wird auch weiterhin lesbisch-schwule Kultureinrichtungen und Erwachsenenbildungseinrichtungen unterstützten. Nach dem Motto "Aufklärung durch Kulturarbeit" soll dies in Niedersachsen zu einer größeren Akzeptanz von Lesben und Schwulen führen.
Eine SPD-Landesregierung wird deshalb:
- die Antidiskriminierungsgesetze wirkungsvoll durchsetzen.
- die von der SPD Niedersachsen begonnene Förderung der Schwulen- und Lesbenarbeit fortsetzen und ausbauen.
- die Rolle des "Beauftragten für den Abbau der Diskriminierung Homo- und Transsexueller" mit ressortübergreifenden Querschnittsaufgaben im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit stärken.
- auf die Sozialversicherungsträger einwirken, damit eine Anpassung bei Rente, Krankenversicherung und Pflegeversicherung erreicht wird.
- Diversity-Richtlinien für den öffentlichen Dienst entwickeln und das Beamtenrecht bei den Beihilferegelungen entsprechend anpassen.
- auf Bundesebene im Rahmen einer Bundesratsinitiative dafür eintreten, dass eingetragene Lebenspartnerschaften die steuerliche Gleichstellung bekommen und dass eingetragene Lebenspartnerschaften eine rechtliche Angleichung bei Heirat, beim Adoptionsrecht und der elterlichen Sorge haben.
- die gesetzliche Gleichstellung von Regenbogenfamilien umsetzen und die Akzeptanz von Kindern aus diesen Familien in Kindertagesstätten und Schulen stärken.
- Organisationen und Einrichtungen, die zur Aufklärung in der Gesellschaft mit Coming-Out- und Kulturprojekten beitragen, unterstützen.
- gesetzliche Grundlagen schaffen, damit es in Schulen, bei Arbeitgebern und Behörden entsprechende Ansprechpartner gibt.
- die Aufklärung bei Pflegeberufen und Ärzten fördern.
- auf die verschiedenen Migrationsgruppen zum Thema Homosexualität einwirken, um eine Sensibilisierung zu erreichen.
- Beratungsstellen und die Aufklärung über HIV/Aids und alle anderen sexuell übertragbaren Krankheiten in der Gesellschaft fördern.
- die Aufklärung in Schulen und allen öffentlichen Bildungseinrichtungen fördern und dazu die Bildungs- und Unterrichtsrichtlinien zum Thema Homosexualität entsprechend anpassen sowie die Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen Schulen, Universitäten, Bildungsorganisationen, Jugendhilfeeinrichtungen und Eltern fördern. Dazu gehören auch Weiterbildungsmaßnahmen für qualifizierte Ansprechpersonen zur Sensibilisierung für das Thema Homosexualität an allen öffentlichen Schulen und Bildungseinrichtungen und das Erstellen von Unterrichtsmaterialien.
- Qualifizierungen für pädagogische Fachkräfte während des Studiums zum Thema Homosexualität einführen und das Thema als Querschnittsaufgabe im gesamten Ausbildungsweg verankern.
- eine entsprechende gesetzliche Spiegelung der bestehenden Pflegegesetze vornehmen und auch homosexuelle Seniorinnen und Senioren entsprechend berücksichtigen, das Altersdiskriminierungsgesetz entsprechend anpassen und alternative und altersgerechte Wohnformen (z. B. lesbisch/schwule Wohnprojekte, Mehrgenerationenprojekte, Hospize) fördern.
- die Abschiebungen von Flüchtlingen in Länder stoppen, in denen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt werden.
- die lesbische und schwule Geschichte in Niedersachsen in der NS-Zeit und danach entsprechend aufarbeiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Jüttner