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Frage von Matias Leão R. •

Frage an Wolf Klinz von Matias Leão R. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Dr. Klinz!

Ich bitte Sie höflich freundlicherweise zum Thema TTIP folgende Fragen zu beantworten:

Wie sollen im jeweiligen Wirtschaftsraum der EU und der USA die Unternehmen über gleich einklagbare Chancen gleichgestellt werden? Wie sind in diesem Zusammenhang die eigenwirtschaftlichen Betriebe der hessischen Kommunen gefährdet?
Wie soll im Rahmen der Lebensmittelgesetze und Gesundheitsstandards das Vorsorgeprinzip, durch das Gefährdungsprinzip ersetzt werden? In welcher Weise werden hier die Verbandsklagerechte der Umwelt- und Gesundheitsverbände beschnitten?
In welcher Weise werden im Rahmen der Verhandlungen nicht die jeweils strengsten Regelungen übernommen, sondern die jeweils laxesten Regulierungen z. B. bei der Regulierung des Finanz- und Bankensektors?
In welcher Weise werden in Hinblick auf Umwelt-, Produktsicherheits-, Arbeitssicherheits- und Arbeitsgesundheitsstandards Industriestandards nicht abgesenkt, sondern angehoben? Stimmen Sie dem zu, dass gerade eine Verschärfung von Standards zu eine innovativen Welle führt und zu einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb um die besten Produkte?
In wieweit kritisieren die gängigen Wirtschaftsprognosen als nicht als die wahrscheinlichste, sondern als die optimistischste und in welcher Weise können Sie im Rahmen ihrer parlamentarischen Kontrolle eine wirksame Kontrolle dieser Prognosen garantieren?
Wie lässt sich das geplante Mediationsverfahren im Einzelfall gerichtlich überprüfen? Wie können privatwirtschaftliche Regressforderungen gegen die öffentliche Hand verfassungsrechtlich blockiert werden? In welcher Weise sind die eingesetzten Anwälte auch als eingesetzte Mediatoren einer Anwaltsgerichtsbarkeit weiterhin unterworfen?

Wie sieht abschließend der aktuelle Verhandlungsstand zwischen der EU und der USA aus und welche Position beziehen Sie?

Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen.

Mit besten Grüßen, Hr. Rautenberg

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Rautenberg,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Freihandelsabkommen TTIP. Nach Rücksprache mit meiner Kollegin Nadja Hirsch, die unter anderen Mitglied der Delegation für die Beziehungen zwischen der EU und den USA ist, werde ich Ihnen im Folgenden meine Antwort auf Ihr Schreiben darlegen.

Wie sollen im jeweiligen Wirtschaftsraum der EU und der USA die Unternehmen
über gleich einklagbare Chancen gleichgestellt werden? Wie sind in diesem
Zusammenhang die eigenwirtschaftlichen Betriebe der hessischen Kommunen
gefährdet?

Ein Handels- und Investitionsabkommen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt bietet die Gelegenheit, Wachstum und Beschäftigung dies- und jenseits der Atlantik anzukurbeln. Obwohl die Zölle zwischen der EU und den USA bereits niedrig sind (im Durchschnitt 4 %) wird ihre Abschaffung aufgrund der Größe, die die Volkswirtschaften der EU und der USA gemeinsam erreichen, und des Umfangs des Handels zwischen ihnen Beschäftigung und Wachstum fördern. Der unnötige bürokratische Aufwand verteuert die entsprechenden Waren wie ein Zoll von 10 % bis 20 % – Zusatzkosten, die der Verbraucher tragen muss. Nach den Berechnungen in der unabhängigen Studie Reducing barriers to Transatlantic Trade des Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London käme der wirtschaftliche Nutzen der TTIP zu 80 % aus dem Abbau von Kosten durch Bürokratie und Regulierung sowie aus der Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs und des öffentlichen Ausschreibungswesens.
Es ist der Abbau unnötiger Regelungen und Vorschriften – sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse –, der echte Einsparungen für Unternehmen sowie neue Arbeitsplätze und bessere Leistungen für die Verbraucher bringen wird. Solche nichttarifären Handelshemmnisse sind das Ergebnis unterschiedlicher Regelungen und Normen. Diese umfassen auch Maßnahmen, die dem Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutzdienen, beispielsweise ein Importverbot von hormonbelastetem Fleisch oder die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Ihre Beseitigung kann sich kompliziert gestalten, da die EU und die USA zwar beide über hochentwickelte Systeme zur Gewährleistung von Sicherheit und Verbraucherschutz verfügen, jedoch oft verschiedene Ansätze wählen, um das gleiche Ziel zu erreichen. Unternehmen müssen die Anforderungen zweier getrennter Regelwerke erfüllen, was Zeit und Geld kostet.
In welchem Maße Betriebe auf kommunaler Ebene betroffen sind und ob diese gefährdet sind, lässt sich nicht prognostizieren. Das TTIP wird ein Handelsabkommen nach den Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts sein, da von der Belebung des Geschäfts nicht nur multinationale Firmen profitieren werden, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen, die entweder direkt oder als Zulieferer größerer Unternehmen am Außenhandel teilnehmen.

Wie soll im Rahmen der Lebensmittelgesetze und Gesundheitsstandards das Vorsorgeprinzip, durch das Gefährdungsprinzip ersetzt werden? In welcher Weise werden hier die Verbandsklagerechte der Umwelt- und Gesundheitsverbände beschnitten?

Durch die TTIP werden EU-Rechtsvorschriften weder automatisch außer Kraft gesetzt noch aufgehoben oder geändert. Jede zur Liberalisierung des Handels an einer EU-Rechtsvorschrift vorgenommene Änderung muss im Rat von den Mitgliedstaaten sowie vom Europäischen Parlament gebilligt werden. Die Verbandsklagerechte würden durch ein Freihandelsabkommen nicht direkt rechtlich beschnitten.
Zudem haben sich bereits mehrere europäische Regierungen geäußert, dass das in der EU bzw. in den Mitgliedstaaten erreichte Schutzniveau (z.B. in den Bereichen Investitionen, Sicherheit, Verbraucher- oder auch Umweltschutz) nicht zur Verhandlungssache wird.
Weiterhin streben sowohl die EU als auch die USA ein hohes Maß an Schutz für die Bürger an, gehen dabei aber unterschiedlich vor. Dennoch sollen die jeweiligen Regelungen unterm Strich kompatibler werden.
Weiterhin wird es bei den Verhandlungen nicht darum gehen, aus Gewinnstreben die Gesundheit der Verbraucher zu gefährden. Über die strengen Vorschriften der EU wird nicht verhandelt – weder über diejenigen über Hormone noch die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Menschen, der Gesundheit und des Wohlergehens von Tieren oder der Umwelt und der Verbraucherinteressen. Somit wurden Produkte wie das "Chlorhähnchen" bereits vorab zur Einfuhr in die EU nicht zugelassen.

In welcher Weise werden im Rahmen der Verhandlungen nicht die jeweils
strengsten Regelungen übernommen, sondern die jeweils laxesten
Regulierungen z. B. bei der Regulierung des Finanz- und Bankensektors?

In der TTIP geht es nicht darum, die andere Seite von einer Änderung ihres Systems zu überzeugen, sondern darum, wie unsere Systeme reibungsloser funktionieren können, das gilt auch für den Finanz- und Bankensektor. Außerdem Insbesondere bei Fahrzeugen, medizinischen Geräten und Arzneimitteln besteht Spielraum für eine Annäherung der Regelungen. Dabei ist das Ziel nicht, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu identifizieren. Vielmehr geht es darum, unnötige Unterschiede zu ermitteln und ggf. auszuräumen, indem koordinierter vorgegangen wird. Dabei behält sich jede Seite das Recht vor, Umwelt-, Sicherheits- und Gesundheitsangelegenheiten so zu regeln, wie sie es für angebracht hält.

In welcher Weise werden in Hinblick auf Umwelt-, Produktsicherheits-,
Arbeitssicherheits- und Arbeitsgesundheitsstandards Industriestandards
nicht abgesenkt, sondern angehoben? Stimmen Sie dem zu, dass gerade eine
Verschärfung von Standards zu eine innovativen Welle führt und zu einem
marktwirtschaftlichen Wettbewerb um die besten Produkte?

Wie bereits erwähnt steht eine Harmonisierung der jeweiligen Standards nicht auf der Tagesordnung. Außerdem wird es eine Verschärfung von Standards ist, wie oben dargelegt, nicht geben.
Die europäischen Unternehmen, Arbeitnehmer und Bürger würden von einem offeneren US-Markt enorm profitieren. In der EU gibt es zahlreiche sehr wettbewerbsfähige Firmen, die Waren und Dienstleistungen von hervorragender Qualität anbieten, darunter viele Weltmarktführer und Spitzenmarken. In der Landwirtschaft verbieten beispielsweise die US-amerikanischen Vorschriften zur Pflanzengesundheit und zur Lebensmittelsicherheit die Einfuhr europäischer Äpfel bzw. zahlreicher europäischer Käsesorten. Bei einer Abschaffung der Zölle und sonstigen Handelshemmnisse könnten europäische Erzeuger ihre Verkäufe nach Amerika steigern, was gut für die Unternehmen und für die Beschäftigung wäre. Der Abbau von Handelshemmnissen der EU gegenüber US-amerikanischen Waren und Investitionen würde wiederum eine größere Auswahl und niedrigere Preise für die Europäer mit sich bringen. Klar ist, dass eine weitere Öffnung ihrer Märkte für Handel und Investitionen beiden Seiten zugutekäme. Das Wirtschaftswachstum und der Produktivitätsgewinn durch das Abkommen werden den Arbeitnehmern in der EU und in den USA sowohl in Form des allgemeinen Lohnniveaus als auch in Form neuer Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Hoch- ebenso wie für Geringqualifizierte zugutekommen. Es würde eine Win-win-Situation geschaffen, d. h. eine Situation, von der alle Beteiligten einen Vorteil hätten.
Das Wirtschaftswachstum und der Produktivitätsgewinn durch das Abkommen werden den Arbeitnehmern in der EU und in den USA sowohl in Form des allgemeinen Lohnniveaus als auch in Form neuer Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Hoch- ebenso wie für Geringqualifizierte zugutekommen.

In wieweit kritisieren die gängigen Wirtschaftsprognosen als nicht als die
wahrscheinlichste, sondern als die optimistischste und in welcher Weise
können Sie im Rahmen ihrer parlamentarischen Kontrolle eine wirksame
Kontrolle dieser Prognosen garantieren?

Wie immer führte die EU auch in diesem Fall eine Folgenabschätzung zu den möglichen Auswirkungen des Abkommens durch, bevor sie die Aufnahme von Verhandlungen beschloss. Dabei wurden nicht nur potenzielle wirtschaftliche Folgen, sondern auch mögliche soziale und ökologische Auswirkungen untersucht. Es ging darum, was bei einer mehr oder minder weit gehenden Liberalisierung des Handels zwischen der EU und den USA passieren könnte. Das Gesamtergebnis für die EU war in jedem Fall positiv. Klar war jedoch, dass das Gesamtergebnis umso besser ausfiel, je größer das Ausmaß der Liberalisierung war.

Die Folgenabschätzung der Kommission beruhte unter anderem auf einem unabhängigen Bericht, den die EU beim Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London in Auftrag gegeben hatte. In dieser Studie mit dem Titel Reducing barriers to Transatlantic Trade (Abbau transatlantischer Handelshemmnisse) werden die wirtschaftlichen Folgen einer TTIP sowohl für die EU als auch für die USA dargestellt.

Wie lässt sich das geplante Mediationsverfahren im Einzelfall gerichtlich
überprüfen? Wie können privatwirtschaftliche Regressforderungen gegen
die öffentliche Hand verfassungsrechtlich blockiert werden? In welcher
Weise sind die eingesetzten Anwälte auch als eingesetzte Mediatoren einer
Anwaltsgerichtsbarkeit weiterhin unterworfen?

Speziell das in den Verhandlungen derzeit diskutierte Schiedsgerichtverfahren/Mediationsverfahren ist von vielen Seiten kritisiert worden. Es wird befürchtet, dass dadurch Standards bzw. oben genannte "Schutzniveaus" unter dem Vorwand des "Investitionsschutzes" unterlaufen werden könnten. Zudem würde sich das Schiedsgericht gewissermaßen über die Gesetzgebung der EU-Mitgliedstaaten erheben und Großkonzernen ermöglichen, sich gegen Regierungen durchzusetzen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich alle europäischen Regierungen darauf einlassen.

Im Vertrag von Lissabon ist zwar nicht ausdrücklich festgelegt, dass das Europäische Parlament direkt in die Verhandlungen miteingebunden werden soll, jedoch ist es erforderlich, dass das Europäische Parlament, als auch der Rat der Europäischen Union, in vollem Umfang über die aktuellen Entwicklungen und Diskussionen zum Freihandelsabkommen informiert werden.
Das Parlament wird dabei durch die US Monitoring Gruppe des International Trade (INTA) -Ausschusses informiert. Die Monitoring Gruppe besteht aus:
- Berichterstatter: Prof Moreira (S&D)
- Schattenberichterstatter: M. Schaake (ALDE), G. Quisthoudt-Rowohl (EPP), R. Sturdy (ECR), Y. Jadot (Greens), H. Scholz (GUE) und W. Dartmouth (EFD)

Obwohl die Satzung für INTA Monitoring Gruppen besagt, dass die Sitzungen geschlossen abgehalten werden müssen, sind ausnahmsweise wegen des großen Einflusses des TTIP auch die Vorsitzenden folgender Ausschüsse an der Teilnahme der Treffen der Monitoring Gruppe zum Thema TTIP eingeladen:
- Auswärtige Angelegenheiten (EMPL); Wirtschaft und Währung (ECON); Auswärtige Angelegenheiten (AFET); Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI); Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI); Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO); Recht (JURI); Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE); Kultur und Bildung (CULT); Industrie, Forschung und Energie (ITRE); Verkehr und Fremdenverkehr (TRAN); sowie C. Ehler von der US Delegation; J.P Albrecht, F. Castex, F. Millàn Mon und J. Noicholson

Die Monitoring Gruppe hält normalerweise vor und nach jeder Verhandlungsrunde Treffen ab und wird vom Ignacio Garcia Bercero, Chefunterhändler der EU informiert.

Wie sieht abschließend der aktuelle Verhandlungsstand zwischen der EU und
der USA aus und welche Position beziehen Sie?

Allgemein halten wir das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA für eine große Chance. Denn es geht bei weitem nicht nur darum, amerikanischen Investoren in der EU den Grund zu bereiten. Viele Europäer investieren in den USA. Und dabei sollten sie sich eines gewissen Investitionsschutzes sicher sein. Dieser kann auf Dauer nicht auf bilateralen Abkommen basieren. Ein weiteres Ziel der Verhandlungen ist es, Handelshemmnisse abzubauen. Davon profitieren nicht zuletzt die Bürger beider Seiten, denn sie werden es einfacher haben, Waren und Dienstleistungen zu kaufen und zu verkaufen. Allerdings dürfen wir nicht unbedacht an die Verhandlungen gehen. Zum Schutz europäischer Interessen gehört es auch, die Daten und Privatsphäre unserer Bürger zu schützen - und hier liegt Vieles im Argen. Daher fordern wir Liberale, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen an Fragen des Datenschutzes und des Schutzes von Bürgerrechten zu koppeln. Zum einen darf es nicht sein, dass Bürger sich die Inanspruchnahme von Diensten in den USA mit der Aufgabe ihres Rechts auf Privatsphäre und ihrer Datenhoheit erkaufen müssen. Dieser Preis ist zu hoch, Zum anderen müssen sich europäische Unternehmen, die in den USA investieren oder aktiv sind, der Wahrung ihrer Daten, einschließlich Patente etc. sicher sein können. Nicht zu Unrecht fürchten einige von ihnen, Opfer von Wirtschaftsspionage zu werden. Ein transatlantisches Freihandelsabkommen ohne ein transatlantisches Datenschutzabkommen macht keinen Sinn.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen und stehe natürlich für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Wolf Klinz