Wieso hat die SPD den Antrag der Grünen abgelehnt bzgl. Afghanistan? Nur, damit vor der Wahl keine Migrant*innen mehr kommen?
Ich wollte wirklich SPD wählen, aber sie zeigen wie egal ihnen alles ist. Wie egal der Partei Menschenleben sind, wenn es Prozente bei der Bundestagswahl kostet. Das "in der Farbe getrennt, in der Sache geeint" nur dann gilt, wenn die SPD sich ins rechte Licht rücken kann, nicht, wenn es um wirklich wichtige, lebenswichtige, Fragen geht. Da halten sich Menschen an Rädern vom Flugzeug fest, weil die Chance auf ein Überleben höher ist, als in Afghanistan zu bleiben!
Sehr geehrte Frau Piotrowski,
ich danke Ihnen für Ihre Nachricht. Mich schockiert die dramatische Lage in Afghanistan genau wie Sie. Die Berichte und Bilder, die uns von dort erreichen, sind bestürzend. Die Taliban haben in kürzester Zeit das Land und die Hauptstadt Kabul unter ihre Kontrolle gebracht. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben dem wenig entgegengesetzt; der Staatspräsident ist aus dem Land geflohen.
Es gibt nichts zu beschönigen. Das sind bittere Tage. Fast zwei Jahrzehnte haben viele intensiv daran gearbeitet, das Leben der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Jegliche Prognosen müssen sich an der Realität messen lassen. Wir müssen feststellen, dass die Prognosen nicht zutreffend waren. Nicht nur wir, sondern auch die internationalen Partner und zahlreiche Afghanistan-Expertinnen und Experten haben die Lage falsch eingeschätzt. Mich beschäftigt die Frage sehr, wie es zu einer solchen Fehleinschätzung über die aktuelle Lage kommen konnte. Das muss gründlichst auch im Deutschen Bundestag aufgearbeitet werden.
Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren. Es geht nicht um Tage, es geht nun um Stunden: Außenminister Heiko Maas hat deutlich gemacht, dass die Bundesregierung alles unternehme, die noch in Afghanistan befindlichen deutschen Staatsangehörigen, das Botschaftspersonal und die afghanischen Ortskräfte sowie deren Familien so schnell wie möglich nach Deutschland zu holen und in Sicherheit zu bringen. Bereits vorgestern Nacht sind Transportmaschinen der Bundeswehr und ein ziviles Evakuierungsteam nach Afghanistan gestartet. Die ersten noch im Land befindlichen deutschen Staatsbürgerinnen und -bürger konnten bereits aus Kabul geflogen werden.
Wir haben aber auch eine große Verantwortung denen gegenüber, deren Tätigkeit für deutsche Einrichtungen jetzt eine besondere Gefahr für ihr Leib und Leben darstellt. Heiko Maas hat sich in den letzten Monaten unablässig für eine schnelle und unbürokratische Ausreise der Ortskräfte eingesetzt. Seit klar war, dass sich auch Deutschland aus Afghanistan zurückziehen wird, haben wir beim zuständigen Bundesinnenministerium (BMI) darauf gedrängt, dass es praktische Lösungen für die Aufnahme für unsere Ortskräfte geben muss. Auf Druck der SPD kam es immerhin im Juni zur erheblichen Erweiterung und Beschleunigung der Verfahren zur Aufnahme von Ortskräften, indem beispielsweise die Zweijahresfrist aufgehoben und der Zeitraum für Anträge rückwirkend um Jahre erweitert wurde. Im beschleunigten Verfahren wurden für über 2.400 Personen in vier Wochen Visa erteilt. Davon sind über 1.900 Personen, Ortskräfte mit ihren Familien, bereits sicher in Deutschland eingereist.
Zusätzlich sollen nun weiteren Afghaninnen und Afghanen die Ausreise ermöglicht werden, die für deutsche Entwicklungseinrichtungen, NGOs, Medien oder Stiftungen gearbeitet haben. Auch Menschen- und Frauenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, Journalistinnen und Journalisten und Kulturschaffende gehören dazu. Unser Ziel ist es, so lange wie es geht so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan heraus zu holen.
Die Lage vor Ort lässt keinen Zweifel, dass die Evakuierungsaktion militärisch abgesichert werden und dass es angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in Afghanistan äußerst schnell gehen muss. Die Bundeswehr wird die Evakuierung mit Spezialkräften und in enger Abstimmung mit unseren NATO-Partnern absichern. Hierfür ist ein Bundestagsmandat notwendig, das bereits in zügiger und verantwortungsvoller Abstimmung ist. Die drängende Evakuierungsaktion wird dies nicht verzögern; wie im Parlamentsbeteiligungsgesetz festgehalten ist, kann bei „Gefahr im Verzug“ der Bundestag den Einsatz auch nachträglich mandatieren.
Viele Afghaninnen und Afghanen haben vor den Taliban die Flucht ergriffen. Familien mit Kindern suchen Schutz in den Nachbarländern. Jetzt muss es darum gehen, einer humanitären Notlage frühzeitig zu begegnen. Deutschland, Europa und die internationale Staatengemeinschaft müssen die Anrainerstaaten bei der Aufnahme und Versorgung afghanischer Flüchtlinge zügig unterstützen.
Ich setze mich persönlich dafür ein, dass wir auch in Bielefeld so schnell wie möglich die Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan ermöglichen.
Sehr geehrte Frau Piotrowski, der von Ihnen angesprochene Antrag der Grünen vom 10. April 2019 war keine gute Alternative. Eine massenhafte Abwanderung von gut qualifizierten Leuten aus einem jungen demokratischen Land wäre gegenüber der Regierung und der Gesellschaft nicht akzeptabel gewesen. Ein Gruppenverfahren, das die Grünen damals gefordert hatten, war daher das falsche Instrument. So lange wir und die internationale Gemeinschaft vor Ort waren, war die Gefährdungslage eine andere als jetzt. Pauschale Aufnahmen konnten wir daher zu dem Zeitpunkt nicht unterstützen.
Freundliche Grüße
Ihre Wiebke Esdar