Frage an Volker Vödisch von Gisela W. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Vödisch,
Welche Chancen sehen Sie, den u.a. Prinzipien, die durch Hartz IV m.E. klar verletzt werden wieder Geltung zu verschaffen:
"(...) Im Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation von 1930 wird im Artikel 2 definiert:
"Als ´Zwangs- oder Pflichtarbeit´ gilt jede Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat."
Im Gesamtbericht von 2005, der im Rahmen der Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, gegeben wurde, wird definiert, was "Androhung einer Strafe" meint:
nämlich die tatsächliche oder glaubwürdige Androhung unter anderem von
- "finanziellen Strafen",
- "Ausschluss aus dem gemeinschaftlichen und sozialen Leben“,
- "Entzug von Nahrung, Unterkunft oder sonstigen Notwendigkeiten“,
- "Versetzung an einen Arbeitsplatz mit noch schlechteren
Arbeitsbedingungen“,
- "Verlust des sozialen Status“. "
s. http://www.ilo.org/dyn/declaris/DECLARATIONWEB.DOWNLOAD_BLOB?Var_DocumentID=5136)
Sehr geehrte Frau Walk,
Sie zitieren unter anderem einige Passagen aus "Eine globale Allianz gegen Zwangsarbeit", dem Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit als Ergebnis der 93. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich erst anderen Leserinnen und Lesern Ihrer Frage und meiner Antwort einige kurze Erläuterungen dazu gebe.
Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) wurde 1919 als eine ständige Einrichtung des Völkerbundes gegründet und ist seit 1946 eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen (UNO). Ihr Sitz ist Genf. 181 Staaten sind Mitglied der IAO, deren höchstes Organ wiederum die Internationale Arbeitskonferenz ist. Jedes Mitgliedsland stellt für die Tagungen der Arbeitskonferenz vier Delegierte, nämlich zwei RegierungsvertreterInnen sowie je einen Vertreter bzw. eine Vertreterin der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen. Die Bundesrepublik Deutschland ist übrigens als eine der größten Wirtschafts- und Industrienationen ebenso ein ständiges Mitglied des Exekutivorgans der IAO wie die USA, Russland, China oder Japan.
Der oben erwähnte Gesamtbericht beschreibt meines Erachtens eine andere und eine weit über das Maß von Hartz IV- Ungerechtigkeit gehende Zwangsarbeit. Aber ich verstehe, was sie mit ihrem Hinweis ausdrücken möchten.
Das Arbeitslosengeld II, die Sozialhilfe und die Grundsicherung bedeuten in Deutschland ein Leben in Armut und weitgehend den Ausschluss von der gesellschaftlichen Teilhabe. Jeder achte Bundesbürger lebt der EU-Studie "Leben in Europa 2006" zufolge in Armut. Die Armutsquote würde doppelt so hoch sein, wenn Geringverdiener und Arbeitslose einschließlich der Angehörigen ohne staatliche Sozialleistungen auskommen müssten. In Hamburg sind weit mehr als die 239.000 offiziell registrierten Menschen von einem Leben in Armut betroffen. Dazu zählen zum Beispiel auch die Erwerbslosen, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit einem Erwerbstätigen leben und deshalb keine Leistungen mehr beziehen, oder die geringfügig Beschäftigten und RentnerInnen, die aus Scham staatliche Beihilfen nicht beantragen. Wer arm ist, erhält weniger Bildung, wird öfter krank, geht aber wegen der ungerechten, bundesdeutschen Gesundheitspolitik selten zum Arzt, stirbt früher als Menschen mit einer gesicherten sozialen Existenz und hat als Langzeiterwerbslose/r selten die Perspektive, wieder dauerhaft in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu gelangen.
Dazu kommen finanzielle Sanktionen seitens der Arge, der Zwang, Ein-Euro-Jobs annehmen zu müssen, ohne eine wirkliche Wahl zu haben, Zwangsumzüge, die gesellschaftliche Stigmatisierung der Armen und die stete Furcht darum, ob das Geld diesmal bis zum Monatsende reichen wird, ohne den Beitrag für das Mittagessen des eigenen Kindes in der Schule oder in der Jugendhilfeeinrichtung streichen zu müssen. Die physischen und psychischen Belastungen der Betroffenen infolge der Armut sind immens und belasten Groß wie Klein gleichermaßen. Nicht wenige zerbrechen daran.
Die sogenannte Agenda 2010 ist der Motor der Verarmung der Menschen und ebenso ein Instrument von Einschüchterung und Erpressung auch derjenigen, die Arbeit haben, aber eher den Abbau von Tarifrechten und geringe Gehälter stillschweigend und zähneknirschend in Kauf nehmen, als arbeitslos zu werden. Die bürgerlichen Parteien einschließlich der SPD und den Grünen bzw. der GAL werden substanziell gar nichts an diesen Gesetzen und Regelungen ändern, es nicht einmal wollen. Die SPD versucht sich im Wahlkampf als Partei der sozialen Gerechtigkeit zu präsentieren, aber schaffte es nicht einmal, wie damals großmäulig von Beck und Müntefering angekündigt, bis November 2007 die Erhöhung der Regelsätze für den Bezug von Arbeitslosengeld II zu überprüfen. Das Bundeskabinett hatte nämlich die Diskussion um eine Erhöhung gleich wieder gestoppt.
Die Linke lehnt eine Arbeits- und Sozialpolitik strikt ab, die Armut fördert und Menschen einschüchtert. Wir werden uns im Bund wie im Land weiterhin für die Abschaffung von Hartz IV einsetzen und in Hamburg, solange diese Gesetze nicht beseitigt sind, zum Beispiel für die Erhöhung des Regelsatzes auf 500,00 Euro eintreten. Kinder und Jugendliche sollen zukünftig 300,00 Euro bzw 400,00 Euro erhalten.
Im Rahmen des Landesprogramms Arbeit will die Linke.Hamburg
- die entwürdigenden Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umwandeln,
- durch den Aufbau eines sozial fairen und öffentlich geförderten Beschäftigungssektors vor allem in der Stadtteilökonomie, in kulturellen, sozialen und gesundheitlichen Bereichen Arbeitsplätze schaffen,
- den öffentlichen Dienst ausbauen,
- eine Arbeitszeitverkürzung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durchsetzen und
- Zwangsumzüge nicht zulassen.
Jeder Mensch hat ein Recht auf Arbeit und wer arbeitet, muss von seiner Arbeit leben können - auch im Alter! Wir haben in unserem Programm weit mehr Vorstellungen davon entwickelt, wie Armut und Erwerbslosigkeit bekämpft werden müssen. Wir werden sie in der Bürgerschaft wie in den Bezirksversammlungen thematisieren und gemeinsam mit Erwerbsloseninitiativen, mit Mitgliedern der Gewerkschaften, mit Betriebsräten und allen bewegten Menschen, die sich mit uns engagieren wollen, in allen Feldern einen gehörigen Umsetzungsdruck erzeugen.
Wir laden Sie herzlich ein, daran mitzuwirken.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Vödisch,
Die Linke.Altona