Frage an Ursula von der Leyen von Christa Anna Maria B. bezüglich Familie
Sehr geehrte Familienministerin,
bitte erlauben Sie uns von der Familieninitiative SDK, dass wir Ihnen folgenden Fragen stellen:
1. Stimmt es, dass Kinder und Jugendliche, die sich einer behüteten Betreuung und strengen Regel im Elternhaus entziehen möchten, vom Jugendamt in Obhut genommen werden müssen, wenn diese um Obhut bitten?
2. Stimmt es, dass die hohen Betreuungs- und Unterbringungskosten für diese Kinder und Jugendlichen der Staat aufbringen muss (Steuerzahler), wenn sich Kinder dafür entscheiden, lieber in einem teuren Heim oder bei einer Pflegefamilie leben zu wollen, als kostengünstiger bei den Eltern?
3. Wie uns immer wieder berichtet wird, kommt es auch vor, dass Kinder in Fremdunterkünften (Pflegefamilien, Heime, etc.) sexuell missbraucht oder/und misshandelt werden, die Fälle aber nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Können Sie diese Behauptungen bestätigen, bzw. haben Sie darüber überhaupt Kenntnis?
4. Stimmt es, dass nur 3 % der in Obhut genommenen Kinder wieder in die Herkunftsfamilie zurückgeführt werden, und das in der Regel erst nach vielen Jahren?
5. Stimmt es, dass Deutschland im Ausland Heime unterhält, in denen in Obhut genommene Kinder ohne Wissen ihrer Eltern gebracht werden?
6. Warum wird Eltern häufig der Aufenthaltsort ihrer in Obhut genommenen Kinder verschwiegen? Warum erhalten sie keine Auskünfte über schulische Leistungen, medizinische Versorgung, etc.?
7. Warum wird häufig Eltern (auch Tennungseltern) Akteneinsicht in die Jugendamtsakte verweigert?
Für die Beantwortung unserer Fragen bedanken wir uns im Voraus!
Mit freundlichen Grüßen
Die Familieninitiative SDK
Ansprechpartner: Frau Bauer
Sehr geehrte Frau Bauer,
1. Stimmt es, dass Kinder und Jugendliche, die sich einer behüteten Betreuung und strengen Regel im Elternhaus entziehen möchten, vom Jugendamt in Obhut genommen werden müssen, wenn diese um Obhut bitten?
Das Jugendamt hat Kinder und Jugendliche entweder auf eigenen Wunsch oder bei dringender Gefahr für deren Wohl in Obhut zu nehmen. Kinder- und Jugendnotdienste bieten Kindern und Jugendlichen eine kurzfristige Unterkunft.
Im Hinblick auf die primäre Erziehungsverantwortung der Eltern hat das Jugendamt nach Klärung der akuten Konfliktsituation entweder umgehend die Eltern über die Inobhutnahme zu unterrichten oder eine Entscheidung des Familiengerichts über die Einschränkung bzw. den Entzug der elterlichen Sorge herbeizuführen.
Die Inobhutnahme ist daher von besonderer Bedeutung in akuten Krisensituationen, in denen die Eltern nicht unmittelbar erreichbar sind oder die Gefahr für das Kindeswohl von ihnen unmittelbar ausgeht oder nicht beseitigt werden kann.
2. Stimmt es, dass die hohen Betreuungs- und Unterbringungskosten für diese Kinder und Jugendlichen der Staat aufbringen muss (Steuerzahler), wenn sich Kinder dafür entscheiden, lieber in einem teuren Heim oder bei einer Pflegefamilie leben zu wollen, als kostengünstiger bei den Eltern?
Eine Inobhutnahme und nach Klärung der Situation ggf. eine anschließende Fremdunterbringung erfolgen nur bei einer (drohenden) Kindeswohlgefährdung. Sofern diese nicht vorliegt, kann das Kind oder der Jugendliche nicht selbst wählen, ob es vorzugsweise in der Herkunftsfamilie, in einem Heim oder in einer Pflegefamilie leben möchte. Wenn eine Fremdunterbringung notwendig ist, um eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung zu gewährleisten, wird eine geeignete Hilfeform gesucht.
Bei einer Unterbringung in der Pflegefamilie erhalten die Pflegepersonen eine sehr geringe Kostenaufwandsentschädigung zur Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des Kindes/Jugendlichen. Diese umfasst die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen (§ 39 SGB VIII). Bei einer Unterbringung in einer Einrichtung werden die Kosten erstattet, die der freie Träger mit dem Jugendamt vereinbart hat (§ 78a ff SGB VIII).
Bei einer Unterbringung außerhalb der eigenen Familie wird geprüft, ob die Eltern oder der Minderjährige zu den Kosten herangezogen werden kann (§§ 91 bis 94 SGB VIII). Die Höhe richtet sich nach der Kostenbeitragsverordnung. Die Staffelung der Kostenbeiträge wurde so gestaltet, dass sich die Beiträge je nach Einkommen oder Vermögen steigern. Damit wird die Leistungsfähigkeit von Eltern und ihre Pflicht zur Selbsthilfe berücksichtigt.
3. Wie uns immer wieder berichtet wird, kommt es auch vor, dass Kinder in Fremdunterkünften (Pflegefamilien, Heime, etc.) sexuell missbraucht oder/und misshandelt werden, die Fälle aber nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Können Sie diese Behauptungen bestätigen, bzw. haben Sie darüber überhaupt Kenntnis?
Sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen geschieht in allen sozialen Nahbereichen und Lebensorten, auch in Institutionen und Orten der Fremdunterbringung. Dies hat für die Entwicklung der Betroffenen besonders gravierende Folgen, weil diese Kinder und Jugendlichen oft bereits traumatisiert sind durch ähnliche Erfahrungen in der Herkunftsfamilie und aus diesem Grund in einer Einrichtung leben. Es ist Aufgabe der Träger von Einrichtungen, hier Verhaltenscodizes und verbindliche Strategien zu entwickeln, wie bei solchen Fällen reagiert wird. Um aus problematischen Verläufen zu lernen und Lücken im Kinderschutz zu schließen, unterstützt der Bund die Entwicklung einer offenen Fehlerkultur.
Auf der Grundlage der Ergebnisse des Kinderschutzgipfels vom 12. Juni 2008 mit der Bundeskanzlerin und den Regierungschefs der Länder hat die Bundesregierung am 21. Januar 2009 den Entwurf eines Kinderschutzgesetzes vorgelegt. Der vom Bundesrat unterstützte Gesetzentwurf ist im Deutschen Bundestag nicht abschließend beraten worden. Der Gesetzentwurf sieht u. a. vor, dass durch eine Anpassung an das geänderte Bundeszentralregistergesetz sichergestellt wird, dass das Jugendamt bzw. freie Träger bei jugendnah Beschäftigten durch die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses auch Informationen über einschlägige Verurteilungen im niedrigen Strafbereich erhalten. Mit der Änderung des Bundeszentralregistergesetzes, die am 1. Mai 2010 in Kraft tritt, werden diese Straftaten im Interesse eines effektiven Kinderschutzes auch in Institutionen und Einrichtungen künftig in einem so genannten erweiterten Führungszeugnisse (gem. § 30a BZRG) aufgenommen.
4. Stimmt es, dass nur 3 % der in Obhut genommenen Kinder wieder in die Herkunftsfamilie zurückgeführt werden, und das in der Regel erst nach vielen Jahren?
Die im Jahre 2008 durchgeführten 32.253 vorläufigen Schutzmaßnahmen endetenn in knapp 44% der Fälle mit einer Rückkehr zu den Personensorgeberechtigten. In 29% der Fälle ist eine erzieherische Hilfe außerhalb des Elternhauses eingeleitet worden, also insbesondere eine Vollzeitpflegemaßnahme oder auch eine Heimerziehungshilfe. In 11% der Fälle folgte keine anschließende Hilfe. Mit zunehmendem Alter der Minderjährigen sinkt der Anteil der Jugendlichen, die zu den Personensorgeberechtigten zurückkehren.
Von den innerhalb eines Jahres durchgeführten vorläufigen Schutzmaßnahmen wird jede zweite Intervention innerhalb einer Woche wieder beendet. 16% der Fälle dauern ein bis zwei Wochen sowie jeder dritte Fall über 2 Wochen in Anspruch nimmt. Nicht auszuschließen ist in Einzelfällen, dass eine Maßnahmen auch mehrere Monate in Anspruch nehmen kann (vgl. Abbildung 1).
:Vorläufige Schutzmaßnahmen (§ 42 SGB VIII) nach der Dauer der Maßnahme (Deutschland; 2008; Verteilung in %)
Schutzmaßnahmen unter 1 Woche : 49 %
Schutzmaßnahmen von 1 - 2 Wochen: 16,3 %
Schutzmaßnahmen von über 2 Wochen: 34,6 %
Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe - Vorläufige Schutzmaßnahmen, 2008;
Zusammenstellung und Berechnung Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik
5. Stimmt es, dass Deutschland im Ausland Heime unterhält, in denen in Obhut genommene Kinder ohne Wissen ihrer Eltern gebracht werden?
Ohne Wissen der Eltern werden keine Kinder und Jugendlichen im Ausland untergebracht. Wird das Kind in der Folge einer Inobhutnahme fremduntergebracht, muss dies grundsätzlich im Inland geschehen (§ 27 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Erzieherische Hilfen im Ausland dürfen nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen unter Beachtung strenger gesetzlicher Anforderungen durchgeführt werden, wenn sie im Hinblick auf den individuellen erzieherischen Bedarf des Jugendlichen die einzig geeignete und notwendige Hilfe darstellen.
6. Warum wird Eltern häufig der Aufenthaltsort ihrer in Obhut genommenen Kinder verschwiegen? Warum erhalten sie keine Auskünfte über schulische Leistungen, medizinische Versorgung, etc.?
Das Jugendamt ist verpflichtet, den Personensorgeberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten. Erfolgt ein Widerspruch, so hat das Jugendamt das Kind oder den Jugendlichen seinen Eltern zu übergeben oder eine Entscheidung des Familiengerichts herbeizuführen. Die Unterrichtung der Personensorgeberechtigten muss grundsätzlich so gestaltet sein, dass diese den Aufenthaltsort des Kindes eindeutig feststellen können. Auch die Weitergabe von Informationen über die allgemeine Situation des Kindes müssen erteilt werden. Erst wenn den Personensorgeberechtigten vom Familiengericht das Sorgerecht entzogen worden ist, haben sie kein Anrecht mehr auf einen umfangreichen Informationsaustausch.
7. Warum wird häufig Eltern (auch Tennungseltern) Akteneinsicht in die Jugendamtsakte verweigert?
Erkenntnisse, dass Eltern häufig Akteneinsicht verweigert werden, liegen der Bundesregierung nicht vor.
Das Jugendamt hat einem Betroffenen auf dessen Antrag hin Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Sozialdaten zu geben.
(§ 67 SGB VIII, 83 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dabei darf der für das Erteilen der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zum vom Betroffenen geltend gemachten Informationsinteresse stehen. Ein Auskunftsersuchen kann u.a. dann nicht erteilt werden, wenn eine Einzelfallprüfung ergibt, dass mit der Aktenübermittlung die berechtigten Interessen Dritter berührt werden und nach einer Güterabwägung die Schutzinteressen von Dritten überwiegen.
Erteilt das Jugendamt keine Auskunft, kann der Betroffene Leistungsklage auf Auskunft erheben und durch den Landesdatenschutzbeauftragten prüfen lassen, ob das Ablehnen der Auskunftserteilung rechtmäßig war.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ursula von der Leyen