Portrait von Ulrich Noll
Ulrich Noll
FDP
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Ulrich Noll zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Jochen F. •

Frage an Ulrich Noll von Jochen F. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Dr. Noll,

begrüssen Sie es, dass nunmehr mit Steuergeldern den Agro-Konzernen das Risiko abgenommen wird, für eventuelle Schadenersatzansprüche aus Genpflanzenanbau selbst haften zu müssen?

Mit freundlichen Grüssen
Jochen Findeisen

Portrait von Ulrich Noll
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Findeisen,

gerne erläutere ich Ihnen meine Haltung zum Thema grüne Gentechnik und damit verbundenen Haftungsfragen.

Biotechnologie ist eine Querschnittstechnologie, in der Medizin - wo sie als segensreich betrachtet wird -, in der Chemie und der Umwelttechnologie. Biotechnologie ist international in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelindustrie zur Selbstverständlichkeit geworden.

Das Thema "Grüne Gentechnik" tangiert zentrale Fragen der Technik- und Risikobewertung, der Globalisierung, der weltweiten Armuts- und Hungerbekämpfung, der Beziehung zwischen Wissenschaft, und Öffentlichkeit, der Ethik sowie der notwendigen Abwägung zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten.

Es geht dabei nicht nur um Interessenskonflikte auf Sachebene. Es geht auch um Überzeugungskonflikte auf emotionaler Ebene. Wo Emotionen die Erkenntnisse der Wissenschaft überlagern, sind nur sehr eingeschränkt Kompromisse möglich.

Befürworter und Gegner stehen sich weiterhin beinahe unversöhnlich gegenüber.

Die Veränderung von Genomen ist etabliert und auch akzeptiert. Was im Blick auf die Anwendung von Grüner Gentechnik kritisch gesehen wird, ist der Zeit- und Erfahrungsfaktor. Kritiker heben besonders die Langzeitfolgen hervor, die noch nicht genügend erforscht seien. Diese Sorgen und Bedenken nehme ich ernst.

Die Frage, ob wir Gentechnik in der Landwirtschaft einsetzen sollen, ist bereits entschieden. Das EU-Parlament hat im Jahr 2001 mit Zustimmung der damaligen rot-grünen Regierung festgelegt: Alle landwirtschaftlichen Systeme, mit und ohne gentechnisch veränderten Pflanzen, sollen auf Dauer nebeneinander existieren können. Die Wissenschaft sagt: Dies ist möglich. Freisetzungen, auch Versuche, werden nur genehmigt, wenn keine Umweltrisiken bestehen. Unsere europäischen Nachbarn haben dem längst Rechnung getragen und die Koexistenz zwischen gentechnischer und nicht gentechnischer Pflanzenproduktion gesetzlich sichergestellt.

Deutschland ist bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie im Verzug. Die Freisetzungsrichtlinie hätte eigentlich schon 2002 umgesetzt werden müssen. Da dieses noch nicht geschehen ist, hat die EU-Kommission im Januar 2006 Deutschland (und Frankreich) letztmals gemahnt, bevor der Europäische Gerichtshof Zwangsgelder gegen die säumigen Mitgliedstaaten verhängen wird.

Die Grundsatzdiskussionen bringen uns aber nicht mehr wirklich weiter. Das Bundessortenamt in Berlin hat im Dezember erstmals drei gentechnisch veränderte Maissorten in die deutsche Sortenliste eingetragen. Damit kann jeder Landwirt unter Beachtung der gentechnikrechtlichen Vorgaben solche Sorten anbauen.

Die Aufgabe des Staates ist es, Koexistenz- und Haftungsregeln so festzulegen, dass der Landwirt die ihm von der EU zugesicherte Wahlfreiheit tatsächlich wahrnehmen kann.

Selbstverständlich muss ein Produzent für von ihm verursachte Schäden haften. Die aktuelle Diskussion betrifft aber die Frage der verschuldensunabhängigen Haftung.

Es ist ein demokratisches Grundprinzip. Kein Landwirt, unabhängig von seiner Produktionsweise, kann für einen Schaden haftbar gemacht werden, den er nicht zu vertreten hat. Das soll zunächst über einen Ausgleichsfonds (der nicht vom Staat, sondern von den jeweiligen Produzenten gespeist wird) und später über die Betriebshaftpflichtversicherung geregelt werden.

Zwei Punkte sind für mich von besonderer Bedeutung:

1. Es muss größtmögliche Transparenz herrschen, d.h. der Verbraucher muss durch entsprechende Kennzeichnung der Produkte jederzeit in der Lage sein, frei entscheiden zu können, welche Lebensmittel er kaufen und ob er genveränderte Erzeugnisse akzeptieren will. Ich bin sicher, dass sowohl Landwirte als auch Verbraucher in Deutschland in ihrer großen Mehrzahl gegen gentechnisch veränderte Produkte entscheiden werden. In anderen Ländern mag dies anders aussehen.

2. Deutschland lebt von Innovationen. Nur durch ein forschungsfreundliches Klima lässt sich unser Wohlstand sichern. Dies gilt besonders für unsere Region, deren Wirtschaftskraft auf dem engen Zusammenwirken von Produktion, Wissenschaft und Forschung basiert. Dies gilt auch für die Hochschule Nürtingen, die ihre Studenten nicht nur für Deutschland sondern für die ganze Welt ausbilden will. Sich also vollständig aus der gentechnischen Forschung zurück zu ziehen, wäre also nicht nur ein Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit, sondern auch ein Nachteil für die Nürtinger Hochschule im internationalen Wettbewerb. Dass dies keine rein theoretische Befürchtung ist, wurde mir bei mehreren Gesprächen mit Professoren der Nürtinger Hochschule eindrücklich dargelegt.

Ich hoffe Ihre Fragen damit beantwortet zu haben und grüße Sie herzlich!

Ihr

Dr. Ulrich Noll MdL