Sie geben an, dass Sie ein AfD-Verbot für wichtig erachten. Warum?
Man hat den Eindruck, dass mit dem AfD-Verbot eine größer werdende Konkurrenz zu den Altparteien unterbunden werden soll. Sie wissen sicher wie jeder andere auch, dass die AfD nicht verfassungswidrig handelt und programmiert, sonst wäre sie nicht zur Wahl zugelassen. In der Demokratie im eigentlichen Sinne (nicht "unsere Demokratie") ist Meinungsfreiheit der Grundpfeiler. Wenn Millionen Menschen ihre Meinungsfreiheit in einer Sympathie für die AfD ausdrücken, wie kann man ein undemokratisches Verbot anstreben? Es erschließt sich mir beim besten Willen nicht.
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Sehr geehrte Frau E.,
da mich viele Anfragen zu diesem Thema erreichen, möchte ich meine wesentlichen Überlegungen hierzu kurz darlegen. Die Antwort auf die Frage, ob, wann und wie ein solches Verfahren sinnvoll ist, gliedert sich in drei Ebenen.
Die erste Ebene ist die Frage der juristischen Erfolgsaussichten. Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes regelt, dass Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, verfassungswidrig sind. Die Entscheidung hierüber liegt beim Bundesverfassungsgericht, bei dem der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung insoweit antragsberechtigt sind.
Nach den bisher vorliegenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, insbesondere des Oberverwaltungsgerichts Münster, liegen nach meiner Meinung ausreichende gerichtsverwertbare Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD als Partei mit ihren Anhängern das Ziel hat, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung erheblich zu beeinträchtigen. Die Ablehnung der Westbindung in der NATO, die Abschaffung der Europäischen Union, die Beeinträchtigung der Gleichberechtigung von Mann und Frau und auch die beanspruchte verfassungswidrige Ausweisung von gut integrierten Menschen mit Migrationserfahrung sind gegen die Grundprinzipien unserer gesellschaftlichen Ordnung gerichtet und verstoßen gegen unsere bewährte Verfassung.
Ich habe als Mitantragsteller im Bundesrat an dem ersten Verbotsantrag gegen die NPD und auf Länderebene auch an dem nachfolgenden zweiten Verbotsantrag mitgewirkt. Daher weiß ich: Die Hürde für ein Verbot einer Partei ist hoch. Gemessen an den beiden vorherigen Verfahren lagen jedoch noch nie so viele Nachweise und Belege für die Verfassungswidrigkeit dieser Partei vor. Die Bedenken aus den vorherigen Verfahren im Hinblick auf Staatsferne und Wirkmächtigkeit sind aus meiner Sicht bei der AfD nicht einschlägig. Ich halte es für angebracht, wie in den beiden vorherigen Verfahren ein umfassendes Gutachten zu der Verfassungswidrigkeit der AfD einzuholen, um die Erfolgsaussichten auch in der öffentlichen Debatte fachlich zu argumentieren.
Die zweite Ebene ist die Frage der politischen Opportunität. Nützt oder schadet ein Verbotsantrag und die Debatte hierüber der rechtsextremen AfD? Sicher ist: Ein erfolgreicher Antrag zerschlägt die bestehenden Strukturen dieser Partei, organisatorisch und finanziell. Die AfD erhält aus der staatlichen Parteienfinanzierung mehr als zehn Millionen Euro jährlich, das macht fast die Hälfte ihrer Einnahmen aus. Wir finanzieren daher als Staat eine staatsfeindliche Partei. Hinzu kommen noch die Zuschüsse an die Fraktionen im Bundestag und den Landesparteien. Mit einem erfolgreichen Verbot wäre mit dieser Finanzierung Schluss.
Dabei weiß ich genau, dass ein Verbot dieser Partei weder die rechtsextremen Überzeugungen ihrer Mitglieder und Anhänger beseitigt und sich sicher auch neue Strukturen hierfür bilden werden. Deshalb sind ein Verbot und der politische Kampf gegen die Partei zwei Seiten derselben Medaille. Neben dem Verbotsantrag müssen wir die AfD weiter auf allen Ebenen inhaltlich stellen und uns mit ihren abwegigen politischen Überzeugungen auseinandersetzen. Das oberflächliche Bashing insbesondere der Parteien links der Mitte ist dabei nicht hilfreich, schon gar nicht ausreichend.
Für die Befürchtung, das Verfahren ermögliche der AfD, von der Täter- in die Opferrolle zu wechseln, habe ich Verständnis. Empirisch belegbar ist sie nicht. Im Gegenteil: Im Laufe des zweiten NPD-Verbotsverfahrens hat diese Partei erheblich an Bedeutung verloren, weil der Makel der Verfassungswidrigkeit viele eben doch abschreckt. Ich entnehme für mich persönlich aus der Befugnis der Verfassungsorgane, ein Verfahren zu beantragen, in Anbetracht unserer Geschichte und Verantwortung und der rechtsextremen Gefahr nicht nur ein Recht, sondern als Demokrat und Abgeordneter auch die Pflicht, bei Vorliegen ausreichender Anhaltspunkte für eine Gefährdung unseres Friedens, unserer Freiheit, unserer Demokratie und unserer sozialstaatlichen Verfasstheit einen solchen Antrag zu unterstützen.
Deshalb halte ich einen Verbotsantrag auch nach Abwägung der vorstehenden Argumente politisch nicht nur für vertretbar, sondern auch für geboten.
Die dritte Ebene betrifft das Verfahren. Der Gruppenantrag verfügt zurzeit noch über keine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Die Bundesregierung hält ein Verfahren zurzeit nicht für geboten. Der Bundesrat hat noch keine Initiative für einen Antrag ergriffen. Dies zeigt, dass noch nicht alle demokratischen Kräfte unseres Gemeinwesens von der Notwendigkeit und den Erfolgsaussichten eines AfD-Verbotsverfahrens überzeugt sind. In den beiden NPD-Verbotsverfahren war jeweils auch der Bundesrat Antragsteller. Dies vor dem Hintergrund, dass nur die Bundesländer mit ihren Verfassungs- und Staatsschutzbehörden die notwendige Staatsfreiheit der AfD herstellen können. Auch nur von den Bundesländern und der Bundesregierung können die für ein Verbotsverfahren notwendigen Daten und Fakten gesammelt und bewertet werden. Wir brauchen also den Schulterschluss der Demokraten in Bund und Ländern, um ein sachgerechtes Verfahren zu gewährleisten. Aber auch für die öffentliche Diskussion halte ich die Wucht aller demokratischen Parteien für unverzichtbar, um den Eindruck zu vermeiden, dass es den Mitgliedern des Bundestages nur um den Ausschluss eines unliebsamen Mitbewerbers geht.
Die Zeit ist reif für ein breit getragenes AfD-Verbotsverfahren, das gründlich vorbereitet und von allen demokratischen Kräften gemeinsam getragen und beantragt werden soll. Dies gewährleistet der vorliegende Gruppenantrag leider nicht. Im Gegenteil: er leistet dem Verbot der AfD einen Bärendienst. Erhält er keine Mehrheit, so entsteht der Eindruck, dass ein Verfahren nicht aussichtsreich oder politisch gewollt ist. Erhält er eine womöglich knappe Mehrheit, leidet er an der fehlenden notwendigen Mitwirkung und Unterstützung durch alle Verfassungsorgane und führt zu einer lang andauernden und kontroversen Diskussion unter den demokratischen Kräften. Beides nützt nur der AfD selbst.
Ich kann es daher mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, einen Gruppenantrag zu unterstützen, der dem berechtigten Anliegen eines AfD-Verbots eher schadet als nutzt und der AfD mehr nutzt als schadet.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Thomas Röwekamp