Frage an Thomas Marwein von Thomas K. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Marwein,
wann werden die Grünen die Stimmen der Eltern wahrnehmen, die für eine weitere Öffnung des baden-württembergischen "Modellversuchs zum neunjährigen Abitur (G9)" sind. Werden die Grünen weiterhin ignorieren, dass an allen Standorten wie zum Beispiel in Pforzheim, an denen ein G9 Zug angeboten wird, es zur Überfüllung eben dieser G9 Züge kommt? (wo das auf drei Klassen pro Schuljahr ausgelegte Theodor-Heuss-Gymnasium nun neun fünfte G9-Klassen aufnehmen muss).
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Zeitraum vom 11.09. bis 17.09.2013 ist das Landtagsbüro von Thomas Marwein urlaubsbedingt nicht besetzt. Ihre Mails werden unregelmäßig gelesen. Wir bitten um Verständnis, wenn eine Antwort deshalb etwas länger dauert.
Das Telefon ist auf unser Wahlkreisbüro in Offenburg umgestellt. Herrn Jochen Daniel ist unter der Nummer 0781/ 970 60 840 zu erreichen.
Mit herzlichen Grüßen
Thomas Marwein und Kathleen Bärs
Hier unsere Antwort auf die Frage von Herrn Krieg:
Warum hat sich die Fraktion GRÜNE nicht für eine Ausweitung des G-9 Modellversuchs stark gemacht?
Unser bildungspolitisches Ziel ist es, soziale Selektion in der Schulstruktur zu überwinden und allen Kindern, unabhängig von ihrer Herkunft, gleiche und gute Bildungschancen zu bieten. In dieser Politik stehen die Kinder und die individuelle Förderung im Mittelpunkt. Das jetzige Schulsystem ist aufgrund zurückgehender Schülerzahlen und veränderter gesellschaftlicher Ansprüche nicht mehr in seiner Breite zu erhalten. Demografischer Wandel, Schülerrückgang sowie eine massive Veränderung im Übergangsverhalten nach der Grundschule im Vergleich zu vor ca. 30 Jahren, erfordern neue Lösungen, um ein vielfältiges hochwertiges Bildungsangebot und Angebot an Abschlüssen überall im Land sicherstellen zu können. Die Bewältigung der Herausforderung kann nur in Betrachtung des Gesamtsystems geschehen, ohne dass einzelne Schularten ausgeklammert werden. Daher gestatten Sie mir eine kurze Ausführung dazu.
Das Ziel der Landesregierung ist es, das Schulsystem in Baden-Württemberg mittelfristig auf die Herausforderungen- geringere Schülerzahlen, zunehmende Begabungsvielfalt, Mangel an sozialer Gerechtigkeit - vorzubereiten. Diese Ziele wollen wir durch die mittelfristige Umsetzung eines Zwei-Säulen-Modells erreichen. Die erste Säule ist das Gymnasium, die zweite Säule ein integrativer Bildungsweg, der sich aus den bisherigen Schularten entwickelt und in die Gemeinschaftsschule mündet. Das ist ein Weg, den viele andere Bundesländer so gehen und der eine pragmatische und breit getragene Lösung in der Bildungspolitik darstellt.
In diesem Zwei-Säulen-System sind zwei Geschwindigkeiten zum Abitur als Regelfall möglich, entweder am Gymnasium in acht Jahren oder an der Gemeinschaftsschule in neun Jahren. Denn die Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule besuchen zunächst sechs Jahre die Sekundarstufe I der Gemeinschaftsschule (Kl. 5-10). Wer anschließend das Abitur absolvieren will, kann an einer gymnasialen Oberstufe, entweder an der bisherigen Gemeinschaftsschule, an einem nahegelegenen Gymnasium oder an einem Beruflichen Gymnasium, das Abitur nach insgesamt neun Jahren absolvieren. Es bestehen bereits jetzt zahlreiche Möglichkeiten, die allgemeine Hochschulreife in neun Jahren zu absolvieren, über die Gemeinschaftsschulen, über die beruflichen Gymnasien und über die begrenzte Anzahl an G9-Modell-Gymnasien.
Das heißt, die grün-rote Landesregierung ermöglicht mit der Umsetzung des Zwei-Säulen-Modells, das neben weiteren Vorteilen wie der integrativen Beschulung und der starken individuellen Förderung, auch den Weg zum Abitur in neun Jahren anbietet. Der Ausbau an weiteren G 9-Klassen würde dieser positiven Entwicklung allerdings massiv entgegenwirken. Daher haben wir uns für eine Begrenzung des Modellversuchs ausgesprochen. Das in Ihrem Schreiben genannte Beispiele Pforzheim, aber auch Stuttgart und Ludwigsburg sind auf lokale Gegebenheiten zurückzuführen, in denen das Ministerium abweichend entschieden hat. Überall dort, wo weitere G-9 Klassen entstehen würden, vermindert sich die Wahrscheinlichkeit erheblich, Verbesserungen an den benachbarten Schulstandorten zu erreichen, zum Nachteil anderer Schüler. Um die Synchronität der beiden Säulen zu gewährleisten, ist es erforderlich die Schularten - also Gymnasium und Gemeinschaftsschule - so aufeinander abzustimmen, dass die horizontale und vertikale Durchlässigkeit für alle Schülerinnen und Schüler möglich ist. Diese Synchronität der Schularten birgt große Vorteile für alle, da dann die Schulwahl und der aktuelle Schulbesuch nicht mehr über den ersten Schulabschluss entscheiden und jedem Schüler individuelle Förderung ermöglicht werden kann. Die Sychronität der beiden Säulen leidet, wenn das „Regel-Gymnasium“ die Schulzeit verlängert, und dadurch der anderen Säule das Potential zur Entwicklung nimmt.
Ferner sehen wir im klassischen neunjährigen „Halbtagsgymnasium“, wie es vereinzelt eingefordert wird, keine zukunftstaugliche Lösung. Für arbeitstätige oder alleinerziehende Elternteile stellt ein erfolgreiches G8-Gymansium eine gewinnbringende Bereicherung dar. Auch für Kinder aus „bildungsfernem Hintergrund“ oder mit Migrationshintergrund, die vielleicht zum ersten Mal in der Familiengeschichte ein Gymnasium besuchen, bietet ein Ganztagsbestrieb gewinnbringende Unterstützung. Natürlich sehen auch wir an manchen Gymnasien Nachsteuerungsbedarf bei der Umsetzung von G8. Bspw. steht die Forderung im Raum, dass die Kinder und Familien mehr Zeit bzw. Zeitsouveränität erhalten müssten. Das gelingt derzeit vor allem an Schulen, an denen der achtjährige Gymnasialzug gut strukturiert und planvoll umgesetzt wurde. Das bedeutet, dass der de facto oftmals ganztägig stattfindende Unterricht, an der Schule auch als solcher wahrgenommen und gestaltet wird, so dass Schülerinnen und Schüler die Schule auch als Lebensraum wahrnehmen können. Weiterer Spielraum ergibt sich durch die Aufstockung der Poolstunden und der planvolle Einsatz von Hausaufgaben.
Darüber hinaus werden die neuen Bildungspläne (ab 2015) derzeit so gestaltet, dass der kompetenzorientierte Unterricht, der bereits 2004 eingeführt wurde, besser umgesetzt werden kann. Dazu zählt auch, dass die Bildungspläne aktuellen Forderungen nachkommen, aber auch die Durchlässigkeit zwischen den Schularten sowie die Anpassung an bundesweit geltende Bildungsstandards gewährleisten.
Die Fraktion GRÜNE war und ist davon überzeugt, dass der Schulversuch G-9 kurzfristig und punktuelle Lösungen geboten hat, der landesweite und zukunftsweisende Weg aber die Optimierung des G 8 Gymnasiums und der Ausbau der Gemeinschaftsschule darstellt. Und da jede Ressource nur einmal eingesetzt werden kann – die Parallelführung G8/G9 bringt erhebliche Mehrausgaben mit sich - hat die Koalition gemeinsam vereinbart, dass jeder Stadt- und Landkreis ein Gymnasium mit zwei Geschwindigkeiten zum Abitur anbieten kann.
Unsererseits werden wir uns aus genannten Gründen für eine Einhaltung dieses Koalitionsbeschlusses einsetzen, und fordern dies auch von unserem Koalitionspartner ein.
Zum Abschluss noch eine Bitte, bitte bedenken Sie bei Ihrem Engagement vor Ort das schulische Gesamtsystem, also auch die Entwicklung der Schularten Haupt/Werkreal - und Realschule. Mit der Weiterentwicklung dieser Schulen hin zu einer integrativen Säule, erweitern wir auch G-9 Möglichkeiten, nicht auf Basis eines Versuchs, sondern in einer nachhaltigen und langfristen Entwicklung.
Mit besten Grüße
Thomas Marwein