Frage an Thomas Kestler von Christof W. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Kestler,
unter welchen Bedingungen wären Sie für einen bundesweiten Volksentscheid?
Viele Grüße,
Christof Weisenbacher
Sehr geehrter Herr Weisenbacher,
da es sich bei Ihrer Anfrage offenbar um einen Standardtext handelt, der auch anderen Kandidaten zugegangen ist, würde ich es eigentlich für angebracht halten, mit einer Standardantwort aus dem Wahlkampfhandbuch zu reagieren. Ich werde das aber dennoch nicht tun, denn es handelt sich um eine Frage, die mich als Politikwissenschaftler stark beschäftigt. Außerdem sollte es nicht zur Gewohnheit werden, dass man sich in der politischen Debatte gegenseitig nur Brocken vorwirft.
Zunächst möchte ich einem verbreiteten Irrtum entgegentreten: Direktere Demokratie bedeutet nicht immer "mehr" Demokratie. Um dies zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, worum es bei demokratischen Entscheidungsprozessen im Kern geht: um eine möglichst effektive Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen. Dies wird aber keineswegs in jedem Fall mit direkter Demokratie erreicht. Denn unter Umständen kann gerade bei einer Ausweitung der Mitentscheidung die Qualität der Beteiligung beeinträchtigt werden. Was nützt es, wenn alle Bürger über eine Vorlage abstimmen dürfen, dabei aber nur die Wahl zwischen „Ja“ und „Nein“ haben? In manchen politischen Systemen werden direkte Verfahren sogar gezielt eingesetzt, um demokratische Beteiligung vorzugaukeln, während in Wirklichkeit eine Entmündigung der Bürger stattfindet. Eine auch qualitativ angemessene Beteiligung erfordert vielfach ein abgestuftes Verfahren, eine Vermittlung durch Parteien und Verbände, damit auch Minderheitenpositionen zur Geltung kommen.
Nach diesen kritischen Anmerkungen sage ich aber auch ganz klar: ich bin für die Einführung direktdemokratischer Mitentscheidungsverfahren auf Bundesebene. Verfahren, wie sie sich auf Länderebene bereits bewährt haben, stellen sicher, dass es zu keinem Missbrauch kommt. Die entsprechenden Hürden (Unterschriften, Quorum) gewährleisten, dass nur solche Fragen zur Abstimmung kommen, die auf starkes Interesse stoßen und ausreichend öffentlich diskutiert wurden, so dass die Bürger tatsächlich in der Lage sind, qualifiziert Stellung zu nehmen. Ich sehe deshalb nicht, was gegen einen bundesweiten Volksentscheid sprechen sollte.
Für mich gilt: Mehr direkte Demokratie würde der politischen Kultur in Deutschland sicher gut tun. Ein Allheilmittel ist es allerdings nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Kestler