Frage an Thomas Bergmann von Gülfidan K. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Bergmann,
Die Kindertagespflege ist, mit ca. 150.000 Betreuungsplätzen, ein wichtiger Bestandteil der Kinderbetreuung in Deutschland. Fast 45.000 Kindertagespflegepersonen ermöglichen diese Art der Betreuung und retten derzeit so manche Kommune vor einer Klagewelle.
Laut aktueller Studien steigt die Qualifikation der Kindertagespflegepersonen stetig und die Anzahl der betreuten Kinder nimmt zu, was darauf schließen lässt, dass die Kindertagespflegepersonen diesen Beruf hauptberuflich ausüben und auch davon leben wollen.
Im SGB VIII § 23 steht leider immer noch, dass eine Kindertagespflegeperson eine Anerkennung für ihre Förderleistung bekommen muss, was von unterschiedlichen Gerichten so ausgelegt wird, dass gar keine richtige Bezahlung nötig ist.
So ist es 2017 in Deutschland möglich, dass selbstständige Kindertagespflegepersonen oft 50 Stunden pro Woche arbeiten und Betreuungsplätze für Kinder bieten, sie aber vom Jugendhilfeträger nicht ausreichend bezahlt werden.
Ein Leben vom Beruf der Tagesmutter oder dem Tagesvater ist vielerorts nicht möglich.
Wie wollen Sie die Kinderbetreuung, insbesondere die Kindertagespflege fördern?
Wie kann aus Sicht Ihrer Partei die Wahlfreiheit für Eltern (§ 5 Abs. 1 SGB VIII) zwischen den Angeboten von Kita und Kindertagespflege gestärkt werden, insbesondere für die Betreuung von Kindern über drei Jahren?
Welche Möglichkeiten sieht Ihre Partei, die sog. „Anerkennung der Förderungsleistung“, also die Vergütung der Kindertagespflegepersonen, bundesweit so anzuheben, dass sie leistungsgerecht und auskömmlich ist?
Was sagen Sie zum Modell der leistungsgerechten Bezahlung vom Bundesverband für Kindertagespflege?
Ist das eine Möglichkeit die Kindertagespflegepersonen fair zu bezahlen?
Ist dies in der Praxis umsetzbar und vor allem bezahlbar?
https://www.bvktp.de/files/bvktp-broschu__re_modell_zur_vergu__tung.pdf
Mit freundlichen Grüßen
G. K.
Sehr geehrte Frau Knoll,
herzlichen Dank für Ihre Frage, oder besser Ihre Fragen.
Sie sehen es mir bitte nach, dass ich für die Antwort etwas Zeit brauchte, aber ich kann unmöglich so tief in jedem Thema drin stecken. Ich mußte mich also erst näher informieren.
Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte zwischen der Betreuung von Kindern unter drei und älteren Kindern unterschieden werden. Im Zusammenhang mit der staatlich geförderten Kindertagespflege geht es, soweit ich informiert bin, ja ausschließlich um U3-Kinder.
Die ÖDP ist der Auffassung, dass die Entscheidung, wie ein U3-Kind betreut werden soll (durch Eltern, Großeltern, Krippe, Tagesmutter u.a) allein den Eltern zu überlassen ist (Wahlfreiheit der Eltern laut GG Art. 6, Abs. 2). Der Staat hat nur dann ein Recht regulierend einzugreifen, wenn Eltern ihrer Erziehungsaufgabe nicht gerecht werden oder nicht gerecht werden können (z.B. bei einer Krankheit, die ihre Erziehungsfähigkeit einschränkt.). Nach unserer Überzeugung hat der Gesetzgeber schon laut Grundgesetz kein Recht, durch unterschiedliche Förderung verschiedener Betreuungsformen eine Lenkungswirkung auszuüben und die Eltern damit zu bevormunden.
Tatsächlich verstößt der Gesetzgeber massiv gegen das Gebot der Gleichbehandlung aller Eltern, indem er die Krippenbetreuung mit etwa 1000 €/Monat subventioniert, während andere Betreuungformen nicht entsprechend gefördert werden.
Die ÖDP hält die staatliche Finanzierung der Kinderbetreuung mit 1000 € pro Monat für grundsätzlich gerechtfertigt, da Kindererziehung unter Beachtung unseres Sozialrechts, insbesondere des Rentenrechts, heute eine Leistung im Dienst der Allgemeinheit ist, so dass deren Kosten auch von der Allgemeinheit zu tragen sind. Dabei geht es aber um die Finanzierung der Erziehungsleistung als solche und nicht nur um die Finanzierung einer vom Staat ausgewählten Form, wie das heute der Fall ist.
Ein sachgerechte Lösung, die allen Eltern gerecht wird, kann nur darin bestehen, dass der erforderliche Geldbetrag (etwa 1000 € pro Monat) den Eltern in Form eines Erziehungsgehaltes zur Verfügung gestellt wird. Erst dann können sie frei entscheiden, ob sie dieses Geld als Lohn für die eigene Betreuung, zur Finanzierung eines Krippen- oder Tagespflegeplatzes oder etwa für die Betreuung durch die Großeltern verwenden.
Eine Bevormundung des Staates durch Begünstigung z.B. der Krippenbetreuung, wie das heute geschieht, wäre allenfalls dann zu diskutieren, wenn diese Betreuungsform in der Regel im Sinne des Kindeswohls läge. Dafür gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte. Eher ist das Gegenteil der Fall. Ausnahmen werden übertrieben dargestellt.
Damit ergibt sich auch die Antwort auf Ihre Frage nach Finanzierung einer Kindertagespflegestelle. Sie wäre von den 1000 € zu finanziern, die die Eltern für die Kinderbetreuung erhalten. Die genaue Höhe hinge dann von den individuellen Bedingungen ab (Dauer der Betreuung an Wochentagen, Betreuung am Wochenende? Verpflegung, Fahrtkosten usw.). Letztlich wäre das zwischen Eltern und Tagespflegeperson zu vereinbaren. Staatliche Richtlinien auch zur Qualifizierung der Pflegepersonen wären davon unberührt.
Es geht uns also nicht nur um die Wahlfreiheit der Eltern zwischen Kinderkrippe und Tagespflege, sondern um eine Wahlfreiheit zwischen allen Betreuungsmöglichkeiten, die erst dann verwirklicht wird, wenn die Eltern selbst über das zur Kinderbetreuung vorgesehene Geld verfügen können. Es versteht sich von selbst, dass die arbeitsintensive Betreuug von Kleinkindern eine auskömmliche Lebensführung möglich machen muss. Das gilt für Erzieher/innen in einer Krippe, für Tagespfleger/innen oder betreuende Mütter oder Väter in gleicher Weise.
Im Hinblick auf die Betreuung von Kindern nach dem dritten Lebensjahr gelten andere Grundsätze. Hier kann es als erwiesen gelten, dass die Betreuung in Kindergärten die kindliche Entwicklung durch Kontakt zu Gleichaltrigen fördert, so dass der Besuch von Kindergärten auch aus Sicht des Gesetzgebers gegenüber der alleinigen häuslichen Betreuung als förderungswürdig gerechtfertigt ist, vor allem dann, wenn weitere Geschwister fehlen.
So, jetzt noch ein paar Gedanken meinerseits zu dem vorgestellten Modell:
Wie im Modell in der Broschüre des Verbandes richtig und folgerichtig (aus der Entwicklung von Fremdbetreuung) aufgezeigt, sind die bestehenden Regelungen in mindestens zweifacher Hinsicht ungerecht und damit zu ändern:
1. Die Vorgaben des SGBs spiegeln die Wirklichkeit nicht ab und behindern eine sinnvolle Entwicklung.
2. Die daraus entstehenden Vergütungsunterschiede sind nicht begründbar und damit abzuschaffen.
Ich gestehe an dieser Stelle, dass mir beim Überfliegen der 38 Seiten der Broschure nicht alle Einzelheiten einleuchten (Unabhängigkeit von der Kinderzahl).
Ich hoffe, ich konnte die Position der ÖDP ausreichend klar darstellen und Ihre Fragen zumindest weitgehend beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Bergmann