Frage an Thomas Bareiß von Astrid H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bareiß,
als Balinger Neubürgerin würde ich ihre politischen Haltungen und Aktivitäten gerne kennen lernen.
Wichtige Themen sind für mich die Europapolitik, die sie im Ausschuss für Europaangelegenheiten mit vertreten. Meine Sorge betrifft die undemokratischen Strukturen in der EU und die weitreichenden Entscheidungen, die getroffen werden. Ca. 80% der deutschen Gesetze werden nach den Vorgaben von EU Verordnungen verabschiedet!
Meine Frage an sie:
Was tun sie für die Demokratisierung der EU?
Mein Wunsch an sie:
- Eintreten für demokratische Strukturen in der EU aber auch in Deutschland,
- Einsatz für Volksabstimmungen (ich finde es gut, dass sie stellvertretend im Petitionsausschuss sind),
- Einsatz für Gewaltenteilung in der EU,
- Einsatz für Regionalisierung und die Stärkung der Nationalen Interessen,
- Einsatz gegen Globalisierung (mit dem Kampf gegen die Macht von Grosskonzernen, Lobbyismus ( insbes. die Machtbestrebungen der Gentechniklobby, die Abhängigkeiten und Hunger schafft, z.B. mit den Auswirkungen von Flüchtlingsproblemen in Afrika, soz. Unruhen, etc.).
Vielen Dank für eine Antwort,
Astrid Hobbing
Sehr geehrte Frau Hobbing,
vielen Dank für Ihre E-Mail.
Gerne komme ich der Beantwortung Ihrer Fragen nach.
Sie stellen u.a. die Frage nach den demokratischen Strukturen in der EU.
Hierbei spielt der Vertrag von Lissabon eine entscheidende Rolle. Dieser enthält einen für die EU-Bürger wichtigen Punkt, nämlich die Verbesserung der Demokratie. Mit dem europäischen Volksbegehren wird zum ersten Mal ein Element der direkten Demokratie auf europäischer Ebene eingeführt. Künftig können Bürgerinnen und Bürger mit einer Million Unterschriften aus einer „erheblichen Anzahl“ von EU-Mitgliedsländern die EU-Kommission auffordern, einen Gesetzesvorschlag zu machen. Angesichts der Größe und Komplexität der europäischen Strukturen ist dies ein wichtiger Schritt, um die Menschen stärker in die Brüsseler Politik einzubinden.
Ein wichtiger Schritt hin zu mehr Demokratie ist auch die Stärkung des Europäischen Parlaments sowie der nationalen Parlamente. Ersteres erhält zum Beispiel die volle Mitwirkung in der europäischen Gesetzgebung neben dem EU-Ministerrat. 95 Prozent aller EU-Gesetze werden künftig im Zusammenwirken zwischen dem Ministerrat (mit den Ministern aller EU-Staaten) und dem direkt gewählten Europäischen Parlament beschlossen. Zudem darf das EU-Parlament auch bei der Zusammensetzung der EU-Kommission mitbestimmen.
Das deutsche Parlament bekommt die Möglichkeit, formell Einspruch zu erheben, wenn wir zu der Auffassung kommen, dass die Initiativen der Europäischen Kommission unverhältnismäßig sind oder über die ihr durch die Verträge zugewiesenen Zuständigkeiten hinausgehen. Konkret erhalten nationale Parlamente das Recht zur Subsidiaritätseinrede und zur Subsidiaritätsklage.
Die Subsidiaritätskontrolle wie sie bereits in Artikel 5 des EG-Vertrages niedergeschrieben ist, ist eines der wichtigsten Grundsätze der EU-Politik überhaupt. Sie dient der Erhaltung der Eigenständigkeit der EU-Staaten und stellt somit eine wichtige Schranke dar, an der sich alle Tätigkeiten im Rahmen der EU ausrichten müssen. Der Vertrag von Lissabon hält weiterhin an diesem Grundsatz fest (I-12 VVE).
"Artikel 5" lautet: „In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip "nur tätig", "sofern" "und soweit" die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.“
Die Subsidiaritätskontrolle zwingt zudem die Kommission, schon in der Planung von Gesetzgebungsprozessen genau zu überlegen und zu begründen, ob und inwieweit eine Initiative gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.
Lassen Sie mich auf Ihre Kritik zur Globalisierung eingehen. Um auf die Globalisierungsprobleme gewappnet zu sein, braucht Deutschland die EU, so wie die EU alle Mitgliedsländer braucht, um sich gemeinsam gegen Finanzkrisen in der Welt behaupten zu können. Es ist nicht nur ein Motto „Gemeinsam sind wir stark“, sondern es entspricht der Wirklichkeit. Die Europäische Union trägt nicht nur wesentlich zur Stabilität der Finanzmärkte in Europa bei und erweist sich damit als ein Erfolgsmodell, sondern es fördert zudem die Weiterentwicklung und Verbesserung zahlreicher anderer Bereiche, z.B im Bereich des Verbraucherschutzes. Je harmonischer die Regelungen in den einzelnen Ländern sind, desto effektiver ist das Handeln der EU insgesamt. Diese Effektivität erweist sich bereits als Waffe gegen mögliche Finanzkrisen.
Über 80 Prozent der deutschen Exporte gehen in Mitgliedsländer der EU. Aufgrund der hohen Bedeutung der Exportwirtschaft für Deutschland kann man daher ohne Übertreibung sagen, dass die EU der Garant für den Wohlstand in Deutschland darstellt. Dafür aber muss sie angesichts der Vergrößerung auf 27 Mitgliedsländer handlungsfähig bleiben. Das wird durch den Vertrag von Lissabon gewährleistet.
Die EU steht aber auch in der Pflicht, gerade Armuts- und Schwellenländer an dem Handelsgeschehen teilhaben zu lassen, um somit mehr Wohlstand für alle zu schaffen. Schließlich sorgt eine „kontrollierte“ Globalisierung für ein Zusammenwachsen in der Welt.
Um die Weltwirtschaft zu optimieren, ist von den 152 Mitgliedsländern der Welthandelsorganisation eine Runde in Doha („Doha-Runde“) ins Leben gerufen worden. Diese hatte und hat Zollsenkungen in Milliardenhöhe und einen besseren Zugang der Entwicklungsländer zu den Märkten der reichen Staaten zum Ziel.
Man muss vorausschauend handeln. Die Zukunft sieht so aus, dass ein Funktionieren der globalen Wirtschaft, nicht ohne das Einbringen der Entwicklungsländer funktionstüchtig sein kann und wird. Deswegen muss im Rahmen solcher Runden versucht werden, den Schwellenländern zu helfen, ihre Wirtschaft aufzubauen, so dass man irgendwann auf diese ebenfalls bauen kann. Deutschland profitiert seit Jahren von der Globalisierung. Sie brauchen sich nur umzuschauen und werden feststellen, dass es ohne Globalisierung nicht möglich wäre, den für uns gewohnten Lebensstandard aufzubauen und diesen schließlich aufrechtzuerhalten. Das darf nicht auf Kosten anderer Länder passieren. Genau darum versucht die EU, sich für eine bessere Weltwirtschaftsordnung einzusetzen, in der auch Schwellenländer eine tragende Rolle haben, von dieser aber auch selbst profitieren.
Die EU ist nicht nur in dieser Hinsicht ein Erfolgsmodell. Es ist der EU zu verdanken, dass es seit ihrem Bestehen in Europa keine größeren Kriege mehr gegeben hat, die zuvor diesen Kontinent in regelmäßigen Abständen heimgesucht haben.
Aus der Geschichte Europas hat die EU gelernt. Im Vertrag von Lissabon heißt es zur Sicherheits- und Friedenspolitik: Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern. Weiter heißt es dann, dass die EU in ihren Beziehungen zur übrigen Welt einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern leistet. Insbesondere wird auch auf die Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen hingewiesen. Die Unterstellung, die EU hätte sich dem Militarismus verschrieben, ist daher schlicht falsch und vehement zurückzuweisen.
Zudem legt der Vertrag sinnvollere Abstimmungsmodalitäten im Ministerrat fest, verschlankt die Institutionen der EU, stärkt die Mitspracherechte des Europäischen Parlaments entscheidend, führt die EU-Grundrechtecharta als rechtsverbindlich ein und stärkt über das Recht zur Subsidiaritätsklage auch die Kontrollrechte nationaler Parlamente. Die EU ist immer als Prozess zu sehen und in diesem Prozess ist der Vertrag von Lissabon ein wichtiger Schritt.
Mit Freude haben wir von dem Abstimmungsergebnis im tschechischen Parlament zum Vertrag von Lissabon erfahren. Damit ist ein weiterer Schritt getan worden. Alle Länder bis auf Irland haben dem Vertrag bereits zugestimmt. Ein positiver Ausgang wird erwartet, damit das Erfolgsmodell der Europäischen Union weiter existieren und zum Wohle aller EU-Bürger und ganz besonders der Bundesbürger beitragen kann.
Sehr geehrte Frau Hobbing, ich hoffe, ich konnte Ihnen einen Einblick in die Europapolitik gewähren. Ich freue mich über Ihr Interesse.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Bareiß MdB