Frage an Sylvia Schmid von Martin K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Schmid,
welches Programm verfolgen Sie hinsichtlich des Problems der Abwanderung bzw. Landflucht im Main-Tauber-Kreis vor allem junger Erwachsener aufgrund fehlender Arbeitsplätze? Die Folgen sind teilweise schon heute zu sehen (Kindergarten-/Schulschließungen) bzw. werden mit Sicherheit in wenigen Jahren sichtbar werden (z. B. Reduzierung des ÖPNV-Angebots). Mir ist natürlich klar, daß Ihre Einflußmöglichkeiten in diesem Bereich begrenzt sind; aufgrund der zu erwartenden Überalterung des Kreises und der Tragweite des Problems würde mich jedoch eine Grundsatzantwort hinsichtlich der Wahrnehmung dieses Problems in Stuttgart sehr freuen.
Sehr geehrter Herr Köhler,
vielen Dank für Ihre Frage.
Sie haben Recht: Über ein Drittel der baden-württembergischen Bevölkerung lebt im ländlichen Raum. Hier werden die Auswirkungen des demografischen Wandels besonders spürbar werden. Dies betrifft die Versorgung mit Einzelhandelsprodukten und Energie, die Mobilität, die medizinische Versorgung, Dienstleistungen aller Art und die Versorgung im Alter. Schrumpft die Bevölkerung, wird die vorgehaltene Infrastruktur zur Belastung für die Kommunen vor Ort. Statt weiter auf Expansion zu setzen und wahllos Wohn- und Gewerbegebiete auszuweisen, sollten Ortskerne gestärkt und frei werdende Kapazitäten durch interkommunale Kooperationsmodelle zielgenauer ausgelastet werden. Auf diese Weise lassen sich Ressourcen und Kosten sparen.
Dazu benötigen die Kommunen die steuernde Unterstützung durch die Landes- und Regionalpolitik. Um die Vorgaben des Baurechts konsequenter umzusetzen, müssen die Kontrollinstanzen unabhängig werden - etwa durch den Ausschluss von BürgermeisterInnen aus den beschließenden Gremien auf Kreisebene. Wo es heute schon an grundlegenden Versorgungseinrichtungen (Lebensmittelversorgung, Verwaltung, Post, Internet, ÖPNV, ÄrztInnen, Kindergärten und -tagesstätten Schulen) mangelt, muss das Zentrale-Orte-Prinzip - die Zusammenlegung dieser Einrichtungen an einem gut erreichbaren Ort - ausgebaut werden. Auch mobile Angebote wie mobile Arzt- und Pflegedienste, Beratungs- und Verkaufsangebote, die die Menschen an ihrem Wohnort mit Waren und Dienstleistungen versorgen, sind zu unterstützen.
Auch die Förderung der Verkehrsinfrastruktur durch Investitionszuschüsse des Landes hat sich als ineffizient erwiesen. Mit den Geldern wurden vielfach unnötige und überdimensionierte Straßen gebaut. Für uns hat der Unterhalt vorhandener Straßen Vorrang vor Neubauten. Wir wollen den größten Teil der Investitionszuschüsse nicht mehr projektbezogen ausgeben, sondern den Kommunen pauschal zur Verfügung stellen: Zwei Drittel des Geldes sollen für kleinere Projekte an die Gemeinden fließen, die davon mindestens 50 Prozent in den ÖPNV investieren müssen. Damit gerade Kinder, Jugendliche und mobilitätseingeschränkte Menschen auf dem Land auch ohne Auto mobil bleiben, müssen zusätzlich zum Linienverkehr vermehrt Rufbusse oder Anrufsammeltaxis eingesetzt werden.
Für den Individualverkehr brauchen wir neben den „Klassikern“ wie dem Carsharing neue, flexible Möglichkeiten wie z.B. Online-Mitfahrzentralen und andere innovative Mobilitätskonzepte. Nur in Einzelfällen können Straßenneubauten - bei gleichzeitigem Rückbau der alten Infrastruktur - sinnvoll sein, um die betroffene Bevölkerung von Lärm und Emissionen zu entlasten. Umwelt- und Naturschutzbelange müssen dabei viel stärker als bisher berücksichtigt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Schmid