Frage an Sylvia Pantel von Ernest S. bezüglich Außenwirtschaft
Guten Tag Frau Pantel,
Sie schreiben in Ihrer Begründung der Ablehnung von SURE:
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Der Hauptgrund für die ökonomische Ungleichheit in Europa sind nicht konjunkturelle Schocks und Schwankungen wie die derzeitige Corona-Krise. Vielmehr sind es strukturelle Probleme, die dazu führen, dass manche Länder unter der Krise stärker leiden als andere. Dazu gehören unflexible Arbeitsmärkte oder mangelnde Wettbewerbsfähigkeit aufgrund hoher Bürokratie oder niedriger Innovationskraft. Auch politische Fehlanreize schaden der Wettbewerbsfähigkeit in einigen Staaten. SURE ist die Vorstufe einer EU-weiten Arbeitslosenversicherung und kann an den strukturellen Problemen nichts ändern. Dadurch finden lediglich Transfers in strukturell schwächere Staaten statt. Solange diese strukturellen Unterschiede bestehen, darf man diese Probleme nicht mit Transfers übertünchen. Die betroffenen Staaten müssen stattdessen alles dafür tun, um in Zukunft nicht von finanzieller Hilfe aus dem Ausland angewiesen zu sein. Nur so kann sich langfristig etwas an der wirtschaftlichen Ungleichheit in der EU ändern.
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Rein formell ist die einfachste Lösung der "strukturellen Probleme" die Auflösung des Euro und die Rückkehr zu nationalen Währungen plus einem Schutzmechanismus gegen die Währungsspekulation. Dann müssen Sie sich auch nicht mehr mit der lästigen Rückständigkeit bestimmter EU-Länder beschäftigen und so unfreundliche Dinge über sie sagen. Abgesehen davon:
Wie stehen Sie zu der These, dass Deutschland zum Erhalt der Stabilität seiner Exportländer den ständigen Exportüberschuss abbauen sollte, indem Importe gefördert werden - wie gesagt nicht aus Nächstenliebe, sondern aus Eigennutz?
Sehr geehrter Herr Schönberger,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 1. September und das Interesse an meiner Stellungnahme.
Sie haben in Ihrem Schreiben Bezug genommen zu meinem Rundbrief vom 19.06.. Dazu möchte ich Ihnen zunächst mitteilen, dass ich mit der Problematik der Transferleistungen innerhalb der EU in keiner Weise bestimmte Länder oder Volksgruppen diffamieren möchte. In meinem Schreiben habe ich stattdessen auf Grundlage frei zugänglicher Studien der OECD, EU-Kommission und renommierter Ökonomen die Instabilität des Transfersystems bewertet. Die Quintessenz liegt darin, dass die hohen Transfers, die auch Deutschland erneut getätigt hat um schwächelnde Mitgliedsstaaten der EU zu unterstützen, langfristig nicht die Wurzel des Problems angehen werden. Ähnlich liegt es auch für den Fall der hohen Leistungsüberschüsse Deutschlands. Dass eine Reduktion derer kaum möglich und nicht sinnvoll wäre, werde ich im Folgenden ebenfalls erläutern.
Die Währungsunion ist nicht für alle Länder in der EU eindeutig vorteilhaft. Der für Deutschland verhältnismäßig schwache Euro unterstützt die traditionelle Exportwirtschaft und senkt andererseits auch den absoluten Wert der Importe. Für andere Wirtschaften in der EU ist der Euro allerdings eine verhältnismäßig stärkere Währung und verteuert dort oftmals die Importe. Laut einer Veröffentlichung der Deutschen Bundesbank vom Mai dieses Jahres hat der hohe Leistungsüberschuss Deutschland aber andere maßgebliche Gründe. Die Bundesbank erkennt außerdem wenige finanzpolitische Maßnahmen, die von Seiten der Bundesregierung auf eine Reduktion des Leistungsüberschusses hinwirken könnten, und empfiehlt diese auch nicht. Denn der Leistungsüberschuss beruht vor allem auf den folgenden Gründen, auf die die Finanzpolitik kaum Einfluss hat.
Zunächst ist das Sparverhalten in Deutschland traditionell sehr ausgeprägt. Geld, das gespart und nicht in Importe investiert wird, steigert folglich den Leistungsüberschuss. Dennoch investieren Deutsche Unternehmen und Privatanleger deutlich mehr Geld im Ausland, als umgekehrt nach Deutschland fließt. Deutsche reisen bekanntermaßen viel, und tatsächlich ist auch hier belegbar, dass das Reiseverhalten zu deutlich höheren Ausgaben im Ausland als vergleichbaren Einnahmen durch ausländischen Touristen im Inland führt.
Die Staatsquote ist in Deutschland verglichen mit bspw. Italien bedeutend niedriger. Der Staat tätigt anteilig am BIP also deutlich geringere Ausgaben als andere Staaten in der EU. Auch dies trägt indirekt zu einem hohen Leistungsüberschuss bei. Allerdings sind die staatlichen Ausgaben vor allem vor dem Hintergrund einer fiskalischen Stabilität niedriger und eine Erhöhung der Ausgaben kann nicht grundsätzlich empfohlen werden. Der erwartbare Effekt eines höheren Staatskonsums wäre ohnehin gering und stünde nicht im Verhältnis zu den Ausgaben: Die Erhöhung des Staatskonsums um 1% des BIP verringert in den meisten Modellen der Bundesbank den Leistungsbilanzsaldo lediglich um ungefähr ½ Prozentpunkte.
Zuletzt wäre eine technische Verringerung des Leistungsbilanzsaldos lediglich eine Oberflächenkorrektur, würde aber nichts an den zugrundeliegenden, strukturellen Umständen ändern, die diesen positiven Saldo hervorrufen. Vor allem die historisch gewachsenen Unterschiede im Wirtschaftsverhalten und der Wirtschaftspolitik sind verantwortlich für die großen Unterschiede im Leistungsüberschuss. Nach der Wiedervereinigung, während der Deutschland negative Leistungsbilanzsalden für knapp 10 Jahre aufwies, wurde der Großteil der verfügbaren finanziellen Mittel im Inland investiert. Im Nachgang drehte der Saldo wieder ins Positive. Grundlegend dafür war und ist zunächst die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft, die historische Gründe, z.B. Rohstoffarmut, hat. Zahlreiche sehr spezialisierte Unternehmen verkaufen ihre Produkte in die ganze Welt. Die deutsche Wirtschaft ist vor allem aufgrund ihrer Struktur aber auch des institutionellen Rahmens sehr wettbewerbsfähig. Auf den Punkt der Wettbewerbsfähigkeit möchte ich auch an dieser Stelle besonders wertlegen: die meisten Ökonomen und Forschungseinrichtungen sind sich darin einig, dass der positive Leistungsbilanzsaldo indirekt durch die Wettbewerbsfähigkeit gewachsen ist bzw. sich auf hohem Niveau gefestigt hat und daher auch nicht per Annahme gesenkt werden muss oder kann. Um fiskalische Schieflagen, wie sie nun seit mehr als zwei Jahrzehnten in Italien und Griechenland aufgetreten sind, zu begegnen, muss also an dieser Stelle angesetzt werden. Die Innovationskraft, Haupttreiber von Produktivität und damit auch Wettbewerbsfähigkeit, hat sich in den südlichen Mitgliedsstaaten der EU in den letzten Jahrzehnten schwach entwickelt. Carlo Alberto Carnevale-Maffe, Wirtschaftswissenschaftler an der weltweit renommierten Bocconi Universität in Mailand, nennt beispielhafte Gründe für die schwächelnde italienische Wirtschaft: Die neue Rentenreform, die die Rentenausgaben um zehn Milliarden Euro erhöht, dämpfe das italienische Wirtschaftswachstum, reduziere die Beschäftigung und erhöhe die finanzielle Belastung für künftige Generationen. Andrea Capussela, Autor von "The Political Economy of Italy's Decline", verweist auf das Versagen der gesellschaftlichen Institutionen, besonders dem Mangel an Rechtsstaatlichkeit und politischer Rechenschaftspflicht. Das habe Produktivität, Innovation und letztendlich auch das Wachstum behindert. Die Schwäche der Institutionen zeigt sich auch in den italienischen Steuereinnahmen. Die Unterschlagung von Steuern ist in Italien extrem ausgeprägt. Eine italienische Regierungskommission hat 2017 erarbeitet, dass das italienische Bruttoinlandsprodukt ohne Schattenwirtschaft 20 Prozent größer wäre. Ohne Steuerhinterziehung wären die staatlichen Steuereinnahmen dort vermutlich um 24 Prozent höher. In absoluten Zahlen: Mehr als 100 Milliarden Euro entgehen dem Staat jedes Jahr durch Steuerbetrug. 2014 waren es sogar mehr als 111 Milliarden Euro. Die Betrugssumme eines Jahres würde ausreichen, um bspw. alle Häuser erdbebensicherer zu machen. Einhellige Urteile des IWF oder der OECD, dass Strukturreformen vor allem in der Staatsverwaltung sowohl in Italien als auch in Griechenland notwendig sind, sind offensichtlich begründet. Auf diese stütze ich mich.
Außerdem werden in Deutschland die meisten Sozialleistungen über Beiträge finanziert. Dementsprechend ist das Arbeitseinkommen hier sehr stark belastet, nur in Belgien ist die Belastung des Arbeitseinkommens weltweit höher. Die hohen Beiträge bspw. zur Rentenversicherung werden durch eine garantierte Mindestrente im Alter gerechtfertigt. Die Renten (in Italien sind die Median-Renten im Übrigen höher als die dortigen Median-Einkommen) in Ländern wie Italien und Griechenland sind im EU-Vergleich extrem hoch und großzügig. Dass in einer Krise wie der derzeitigen deutsche Steuerzahler für hohe Renten, die in Italien nicht über Beiträge vom Arbeitseinkommen finanziert werden, aufkommen sollen, kann nicht gerechtfertigt werden. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Belastung deutscher Arbeitseinkommen extrem hoch ist, gleichzeitig die Median-Vermögen in Deutschland aber zusätzlich noch weitaus niedriger sind als in Italien oder Frankreich. Eine Debatte über eine Vermögensabgabe in Italien wäre da durchaus zweckdienlicher und auch politisch vertretbar.
In meiner Bewertung habe ich mich wie zuvor erwähnt auf eine breite, wissenschaftliche Grundlage gestützt. Mein Urteil, dass Transfers keine Lösung sondern nur eine Verschiebung der fiskalischen Probleme vor allem in der südlichen EU sind, lässt sich ökonomisch und politisch objektiv begründen. Hilfskredite können dementsprechend nur vergeben werden, wenn sich der Kreditnehmer im Gegenzug auf Strukturreformen verpflichtet. Denn nur diese können langfristig zu einer nachhaltigen fiskalischen Stabilität in diesen Ländern führen. Das würde sowohl die Rechtfertigung der Verwendung deutscher Steuermittel erübrigen als auch den Bedarf an zukünftigen Transfers verringern. Dass eine Kreditvergabe an Bedingungen geknüpft ist, entspricht im Übrigen der alltäglichen Praxis: ein Kreditgeber führt zunächst eine Abschätzung des Zahlungsausfallrisikos durch und versucht dieses durch Bedingungen zu verringern. So sind auch KfW-Unternehmenskredite stets an Bedingungen geknüpft. Dadurch kann schließlich auch sichergestellt werden, dass weitere potenzielle Kandidaten künftig zuverlässig mit Krediten für notwendige Investitionen versorgt werden können. So wie der Bundestag für die Verwendung von Steuermitteln haftet, müssen auch andere Staaten bei der Aufnahme von Krediten Haftung und einer Kontrolle der Verwendung von Finanzmitteln unterliegen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position zufriedenstellend erläutern. Bleiben Sie gesund und mit freundlichen Grüßen
Ihre Sylvia Pantel