Frage an Sylvia Pantel von Alexandra S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Pantel,
die derzeitige gesellschaftliche und politische Entwicklung durch die Diskussion über die Einführung einer Masernimpfpflicht beschäftigt mich sehr.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich bereits 2016 im Rahmen der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 019/06 mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Impfpflicht beschäftigt.
In dieser Ausarbeitung (S. 5-6) ist festgehalten, dass eine generelle Impfpflicht mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar ist: „In der Abwägung [beider Positionen] sind außerdem die Schwere der Gefahr sowie die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu berücksichtigen. [...] Im Falle einer Maserninfektion beträgt die Sterblichkeit in Deutschland laut RKI dagegen nur 0,1 Prozent. [...] Ergibt die Abwägung im Ergebnis nur ein geringes Risiko, dürfte eine generelle Impfpflicht ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art 2 Abs. 2 GG darstellen, der verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre.“
Wie begründen Sie es, dass drei Jahre nach dieser Ausführung des Wissenschaftlichen Dienstes eine Masernimpfpflicht (und gleichzeitig durch den Kombinationsimpfstoff auch eine für Mumps, Röteln und ggf. sogar Windpocken) eingeführt werden soll? Wie ist das verfassungsrechtlich zu rechtfertigen?
Mit freundlichen Grüßen
Alexandra Schirm
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für ihr Schreiben vom 4. Oktober 2019 zur Einführung einer Impfpflicht gegen Masern.
Fest steht: Impfungen gehören zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen, die in der Medizin zur Verfügung stehen. Gleichzeitig schützen Impfungen nicht nur die geimpften Personen selbst, sondern insbesondere indirekt auch die Menschen, die sich nicht selbst impfen lassen können, so z. B. Säuglinge bis zum 6. Lebensmonat oder anderweitig erkrankte Menschen.
Den von Ihnen genannten Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes von 2016 möchte ich gerne ergänzen und auch aktuelle Zahlen gegenüberstellen:
In Deutschland wurden bis einschließlich zur 29. Kalenderwoche 2019 457 Masernfälle gemeldet. Im Jahr 2018 waren es 543 und 2017 waren es 929. Weltweit wurden bis Ende Juli in 182 Ländern fast 365.000 Masernfälle registriert - fast drei Mal so viele wie im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres und mehr als im Gesamtjahr 2018. Für das Jahr 2017 gingen am Robert Koch-Institut (RKI) Daten von 929 Masernfällen nach Referenzdefinition ein: Die weitaus höchste Fallzahl wurde aus NRW mit 520 Masernfällen (56% aller Fälle) übermittelt. Ferner waren besonders Hessen, Berlin und Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg betroffen.
Für 759 der 929 Erkrankten lagen Angaben zu Komplikationen vor. Der Anteil der übermittelten hospitalisierten Masernfälle lag bei 41% (meistens allgemeiner schlechter Gesundheitszustand, besonders häufig werden Kinder zwischen 1 und 4 Jahren und Erwachsene im Alter von 20 bis 39 Jahren), doch 3 Patienten haben eine Enzephalitis/Meningitis (Hirnhaut- bzw. Hirnentzündung) erlitten, 25 eine Lungenentzündung. Bei insgesamt 29 Fällen der zweifach Geimpften mit bekanntem Zeitpunkt der Impfung war die zweite Impfung länger als 21 Tage vor der Infektion mit den Masern durchgeführt worden. Bei diesen Erkrankten muss also von einer Durchbrucherkrankung ausgegangen werden.
Seit 2005 wird dem RKI jedoch jährlich eine zum Teil erheblich schwankende Anzahl von Masernfällen aufgrund unterschiedlich großer lokaler Ausbrüche übermittelt. Die Anzahl der übermittelten Masernfälle stagniert auf einem Niveau, das deutlich über den Eliminationszielen der WHO (< 1 Fall pro 1 Mio. Einwohner) liegt.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es in Deutschland 2016 zwei erfasste Masern-Todesfälle, und 2015 drei. Hinzu kommen einige Todesfälle durch eine Spätfolge, die Masern-Gehirnentzündung SSPE. Davon gab es 2016 nach Daten der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (bge-bund) vier Todesfälle und 2015 einen Todesfall.
Ich persönlich habe dem Gesetz zur Einführung einer Impfpflicht für Masern zugestimmt, denn die Impfpflicht wird mittelfristig zu einer deutlichen Steigerung der Impfquoten und damit zu einem verstärkten Gesundheitsschutz insbesondere für Kinder und die Schwächsten in unserer Gesellschaft führen. Als Mutter von fünf, mittlerweile erwachsenen, Kindern, habe ich es als meine Pflicht gesehen, Verantwortung für das Wohl und Leben meiner Kinder zu tragen. Dies ist für mich eine Selbstverständlichkeit.
Das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sehe ich nicht eingeschränkt, im Gegenteil: Zur körperlichen Unversehrtheit gehört auch, das Risiko von Krankheiten zu mildern, und dem wird das Gesetz ohne Zweifel gerecht. Auch eine Einschränkung der Freiheit auf Selbstbestimmung sehe ich nicht, da weltweit Ärzte eine zweimalige Masernimpfung im frühen Kindesalter empfehlen, die ausschließlich dem Wohl des Kindes dient. Darüber hinaus entschied das Bundesverwaltungsgericht: "Auch wird durch den mit einer Impfpflicht einhergehenden Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit der Wesensgehalt des Grundrechts nicht angetastet, da die Zielsetzung eines solchen Eingriffes gerade die Erhaltung der Unversehrtheit ist." (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Juli 1959, Rn. 18, juris).
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Pantel