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Frage von Markus H. •

Frage an Stephan Eisel von Markus H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Dr. Eisel,

Bei meinen Recherchen zum o.g. Vertragswerk bin ich auf folgende Fragen gestoßen, die ich gerne an Sie als Politikwissenschaftler und Mitglied des EU-Auschusses weitergeben möchte:

1. Besetzung des EuGH
Im Art. 20 GG steht, dass die vom Volke ausgehende Staatsgewalt u.a. durch die Rechtsprechung ausgeübt wird.
Bei der Besetzung des BVG wird diesem Artikel Rechnung getragen, indem die Hälfte der Verfassungsrichter vom Bundestag ernannt werden. Die andere Hälfte wird vom Bundesrat ernannt. An der Zusammensetzung des BVG sind also immerhin 16 Länderregierungen und ca. 600 Volksvertreter beteiligt.
Der Vertrag von Lissabon sieht für die Besetzung des Europäischen Gerichtshofes vor, dass die Mitglieder des Gerichts „von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt werden.“
Die Exekutive setzt also Vertreter der Judikative ein.
Widerspricht das nicht der im GG definierten Volkssouveränität und dem Prinzip der Gewaltenteilung ?

2. Schutz der Menschenwürde
Wie im GG gilt in der EU-Grundrechtecharta die Menschenwürde als unantastbar.
Während das GG hinzufügt „Sie (die Menschenwürde) zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlicher Gewalt“, heißt es in der Charta schlicht: „Sie ist zu achten und zu schützen“.
Laut GG der BRD müssen die Staatsgewalten demnach die Menschenwürde des Einzelnen garantieren.
Diese Garantien sucht man in der Charta vergeblich.

Macht die BRD, wenn der Vertrag von Lissabon rechtskräftig wird, nicht einen Rückschritt hinter das Grundgesetz?

Für die Mühe, die sie sich machen um meine Fragen zu beantworten bedanke ich mich bereits jetzt sehr herzlich!

Gruß
Markus Helmreich

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Helmreich,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zum Vertrag von Lissabon, der am 23. Mai 2008 von Deutschland ratifiziert wurde.

Ihre Kritik bezüglich der Richterbestellung am EuGH finde ich durchaus berechtigt, aus meiner Sicht stellt dieser Punkt eine ungenügende Regelung dar, die allerdings auf Grund der notwendigen Konsensbildung unter den 27 EU-Mitgliedstaaten nicht anders möglich war. Die nationalen Regierungen wollten sich das Recht der Richterernennung nicht durch ein Mitbestimmungsrecht der Parlamente – insbesondere des Europäischen Parlaments (EP) – aus der Hand nehmen lassen. Nach Art. 253 des Lissabonner Vertrages findet die Ernennung der Richter des EuGH durch die Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen nach Anhörung des in Art. 255 vorgesehenen Ausschusses auf sechs Jahre statt. An der Zusammensetzung dieses Ausschusses ist das EP zwar beteiligt, dies reicht meines Erachtens für eine ausreichende Mitbestimmung der Legislative aber nicht aus. Dennoch ist der Vertrag von Lissabon in vielen anderen Punkten eine deutliche Verbesserung gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage. Außerdem stellt der Reformvertrag für mich eine – zwar wichtige – Etappe dar, aber noch nicht das Ende des Integrationsprozesses.

In Bezug auf Ihre zweite Frage möchte ich anmerken, dass in die Charta der Grundrechte der EU die verfassungsrechtlichen Traditionen aus 27 Mitgliedstaaten eingeflossen sind und sie somit keine hundertprozentige Übertragung des deutschen Grundrechteschutzes darstellen kann. Dennoch ist die Grundrechtecharta kein Rückschritt hinter das Grundgesetz. Denn dort, wo die verbrieften Rechte des Grundgesetzes über die Regelungen der Charta hinausgehen, werden sie natürlich nicht außer Kraft gesetzt und dort, wo unsere nationalen Regelungen hinter den europäischen zurück bleiben, muss eine Rechtsanpassung vorgenommen und das nationale Niveau angehoben werden. Zudem hat das BVerfG in seiner Maastricht-Entscheidung angemerkt, dass das europäische Recht die Grundwerte unserer Verfassung nicht brechen kann und dass das BVerfG die Rechtssprechungshoheit über diesen Schutz behält.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Stephan Eisel