Frage an Stephan Eisel von Daniel F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Eisel,
ich beziehe mich auf die Abstimmung Vorratsdatenspeicherung, bei der Sie zugestimmt haben.
Das Ausmaß, in welchem der Staat in das Leben seiner Bürger Einsicht nehmen möchte, finde ich - neben vielen anderen - sehr Besorgnis erregend. Ich sehe darin auch ein ganz klaren Verstoß gegen Artikel 2 [Allgemeine Handlungsfreiheit; Freiheit der Person; Recht auf Leben], Abs. (1): "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." Eine Person, die nahezu vollständig überwacht wird (und das ist der Fall, denn es wird erfasst, wofür sich ein/e Bürger/in interessiert, mit wem er/sie Kontakt hat und wann er/sie wo auf welche Art und Weise kommuniziert), kann sich nicht mehr frei entfalten! Denn wenn jede Internetseite, auf der ein/e Nutzer/in surft, protokolliert wird, wächst auch die Angst (nicht unbedingt bei allen, aber doch bei einigen), dass der Staat einige der Seiten vllt. für gefährlich einstuft und deswegen Schritte gegen den/die Nutzer/in einleitet. Das bedeutet ein Leben in Angst! Und wenn Angst der Antrieb des eigenen Verhaltens ist, ist eine freie Entfaltung, Freiheit nicht mehr möglich. Wir können nicht kontrollieren, was mit unseren Daten geschieht und viele glauben, dass diese NICHT nur gegen Terroristen und Schwerkriminelle eingesetzt werden. Dieses Gesetz zur VDS ist m.M.n. ein großer Schritt Richtung Überwachungsstaat, wie er z.B. in 1984 von George Orwell beschrieben wird (ich empfehle Ihnen das Buch, wenn Sie es noch nicht gelesen haben). Frühere geschichtliche Beispiele wie die DDR zeigen, wie Überwachungsstaaten funktionieren und es ist m.M.n. nicht erstrebenswert für die BRD (und die EU), sich in diese Richtung zu bewegen. Haben Sie sich bei der Abstimmung über die von mir genannten Punkte Gedanken gemacht und/oder wie können Sie meine Bedenken zerstreuen/widerlegen?
MfG
D. Finkenwirth
Sehr geehrter Herr Finkenwirth,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung. Wie Sie wissen habe ich bei der Verabschiedung des Gesetzes mit ja gestimmt. Mit der Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung setzt der Deutsche Bundestag eine EU-Richtlinie um. Dabei werden entgegen eines weit verbreiteten Irrtums keine Inhalte gespeichert. Die Verbindungsdaten werden auch nicht vom Staat oder der EU gespeichert, sondern von den Telekommunikationsanbietern.
Zum Vergleich: Wer als Telekom-Kunde einen Einzelverbindungsnachweis bekommt, dessen Daten werden auch bisher schon für die Dauer von drei Monaten gespeichert. Übrigens: Nur Dank deutscher Intervention wurde eine Beschränkung auf sechs Monate vorgenommen; die übrigen EU-Staaten wollten zunächst eine Speicherdauer von 36 Monaten durchsetzen und sehr viel mehr Daten speichern. Zudem planten sie, auch versuchte Anrufe zu speichern.
Die Neuregelung bei der Speicherung wurde ins Auge gefasst, nach dem bei den verheerenden Terroranschlägen in Madrid durch Rückverfolgung entsprechender Daten diese sehr schnell aufgeklärt werden konnten. Der Zugriff auf die Daten durch den Staat wird durch die Neuregelung nicht erleichtert; dies ist bereits geltende Rechtslage: Auf die Daten, auf die man zugreifen kann, können Ermittlungsbehörden das heute schon. Voraussetzung: Sie haben den Verdacht einer schweren Straftat und ein Richter hat entschieden, dass diese Daten vom Telekommunikationsunternehmen herauszugeben sind. Der Unterschied ist der, dass heute nur die Daten dann zu Abrechnungszwecken gespeichert werden, wenn der Kunde das wünscht; künftig müssen alle diese Daten für sechs Monate gespeichert werden, ehe sie bei den Telekommunikationsunternehmen wieder zu löschen sind.
Neben der Telekommunikationsüberwachung werden weitere Ermittlungsbefugnisse, die in der Strafprozessordnung geregelt sind, geändert. Dabei werden die Informationspflichten des Staates verbreitert, die Rechtsschutzmöglichkeiten verbessert und auch eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeführt, die der Richter künftig immer vornehmen muss, ehe er solche verdeckten Ermittlungsmaßnahmen genehmigt.
Ein weiteres Vorurteil, das nicht stimmt: Mit der Änderung der Strafprozessordnung würden Telefone in Arztpraxen, Redaktionsbüros, und Anwaltskanzleien leichter abgehört werden können. Dies ist nicht richtig! Wir haben ein bestehendes Recht in der Strafprozessordnung, was verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht. Diese Rechte, die heute bestehen, bleiben alle erhalten. Das heißt, es ändert sich negativ gar nichts. Allerdings dürfen künftig Seelsorger, soweit sie seelsorgerisch tätig sind, Strafverteidiger, soweit sie insoweit tätig sind, und Abgeordnete gar nicht abgehört werden. Dies ist einigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts geschuldet.
Das heißt, es wird niemand zusätzlich oder öfter abgehört, sondern es wird allenfalls weniger abgehört, weil Richter eben künftig noch zu einer gesonderten Verhältnismäßigkeitsprüfung verpflichtet sind.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stephan Eisel MdB