Politisches Asyl für Deserteure aus der russischen Armee?
Sehr geehrter Herr Seidler,
was halten Sie von der Idee, in der jetzigen Situation Deserteuern der russischen Armee umgehend politisches Asyl zu gewähren und dies auch öffentlich kund zu tun?
Jder russische Soldat, die in der jetzigen Situation den Befehl verweigert und desertiert, trägt dazu bei, das Leid auf ukrainischer Seite zu verringern (jeder Soldat, der keine Waffe trägt, kann keine Ukrainer erschießen). So lässt sich auch das Leid auf russischer Seite verringern, denn ein desertierter Soldat ist ein unversehrter, lebender Mann, über dessen Leben sich seine Eltern, seine Familie, seine Kinder freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
JR
Sehr geehrter Herr R.,
wer Asyl erhält, ist in erster Linie eine rechtliche, weniger eine politische Frage. Zwar kann ein Drittstaatsangehöriger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der EU beantragen, wenn er die begründete Furcht hat, in seinem Heimatland unter anderem wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden. Gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) der EU-Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung von Flüchtlingen (Richtlinie 2004/83/EG) ist es aber auch möglich, dass Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt eine Verfolgungshandlung im Sinne der Anerkennungsrichtlinie darstellen kann. Die Voraussetzung dazu ist allerdings, dass die Ausführung des Militärdienstes zur Beteiligung an Kriegsverbrechen führen würde. Wichtig zu beachten ist, dass es kein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung gibt. Ferner wäre zu prüfen, inwieweit für betroffene russische Soldaten im Einzelfall die Möglichkeit bestanden hätte, den Militärdienst auf legale Weise zu quittieren. Abschließend bleibt anzuerkennen, dass jeder Einzelfall individuell juristisch zu prüfen wäre und es keine pauschale politische Lösung geben kann.
Mit freundlichen Grüßen,
Stefan Seidler