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Frage von Tom B. •

Frage an Sigmar Gabriel von Tom B. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Gabriel,

vielen Danke für Ihre Antwort vom 25. Juni. Ich möchte eine noch etwas konkretere Nachfrage stellen.

In Ihrem Regierungsprogramm spricht sich die SPD für gute Arbeit aus. Das "Aufbrechen der Langzeitarbeitslosigkeit" ist ein vorrangiges Ziel.

Zum Thema der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger ist jedoch im gesamten Programm nichts zu finden. Dieser Bereich des Arbeitsmarktes ist jedoch insofern wichtig, als dass er dem Arbeitssuchenden die Möglichkeit nimmt, schlechte Arbeit abzulehnen: Wer einen angebotenen Job mit noch so schlechten Arbeitsbedingungen ablehnt, dem können unter Umständen die Bezüge vollständig gestrichen werden, bis zum Wegfall von Wohnungsunterhalt und Krankenversichungsbeiträgen. Hier wird bereits das bloße Überleben bedroht.

Diese Regelung betrifft nicht nur die bereits Erwerbslosen, sondern auch die Erwerbstätigen, da unter bestimmten Umständen auch bei einer Kündigung, also dem Ablehnen zu schlechter Arbeit aus dem Arbeitsverhältnis heraus, diese Totalsanktion zulässig ist.

Aus eigener Erfahrung mit Betroffenen im Freundeskreis kann ich berichten: Der Zwang in einen Job ohne jede Rücksicht auf die mindesten Wünsche des Einzelnen kann fatale Folgen haben und jeden Mut zur Verfolgung der eigenen Lebensziele lahmlegen. Durch eben diese Regelung werden die Menschen nicht "aktiviert", sondern in eine Art verzweifelte Passivität getrieben, die sich bis zu schwerer Depression oder Suizidgedanken auswachsen kann. Nach den Statistiken zu psychischen Erkrankungen scheinen das auch keine Einzelfälle zu sein. Die Schärfe der Auswirkungen für die Einzelnen scheint jedoch der Politik nicht bewusst zu sein.

Wäre es nicht das beste Instrument zur Sicherung guter Arbeit, hier im Sinne eines Marktes den abhängig Beschäftigten selbst die Möglichkeit wiederzugeben, zu schlechte Arbeit abzulehnen? Oder hält die SPD nach wie vor die Sanktionsregelung für angemessen und nötig?

mit freundlichen Grüßen,

Tom Berthold, Dresden

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Berthold,

besten Dank für Ihre Frage.

Die Sanktionspraxis bedarf aus unserer Sicht einer kritischen Prüfung, dies gilt insbesondere für die verschärfte Sanktionspraxis bei Jugendlichen unter 25 Jahren. Nur ein sehr geringer Teil der Sanktionen wird wegen Ablehnung zumutbarer Arbeit verhängt, rund 70 Prozent erfolgen wegen Meldeversäumnissen. Die Vermittlung in Niedrigstlohnjobs muss künftig ausgeschlossen werden und folglich auch die Sanktion bei Ablehnung solcher Arbeit. Zumutbar darf nur die Vermittlung in Arbeit mit ortsüblichen Löhnen, mindestens aber dem von uns geplanten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, sein. Wir brauchen den Schwerpunkt auf mehr Förderung. Dazu werden wir die Kürzungen bei den Mitteln der aktiven Arbeitsförderung rückgängig machen. Wir werden ein Sofortprogramm zweite Chance für Menschen zwischen 20 und 35 Jahre auflegen, die ohne Berufs- oder Ausbildungsabschluss sind. Jugendliche ohne Ausbildung müssen vorrangig in Ausbildung vermittelt werden.

Die völlige Abschaffung der Sanktionen im SGB II lehnen wir aber ebenso wie die Gewerkschaften ab. Dies käme faktisch der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gleich, was für die SPD nicht in Frage kommt. Für uns ist Erwerbsarbeit der Schlüssel für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wichtig ist deshalb, dass Arbeit gerecht entlohnt wird, soziale Sicherung ermöglicht, Anerkennung bietet, nicht krank macht, erworbene Qualifikationen nutzt, demokratische Teilhabe garantiert und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht.

In diesem Sinne ist auch die Grundsicherung für Arbeitsuchende im SGB II nicht bedingungslos, sondern mit den Bemühungen zur Integration in den Arbeitsmarkt verknüpft. Das bedingungslose Grundeinkommen würde dagegen wie eine Exklusionsprämie wirken. Diejenigen, die sozial ausgegrenzt sind, sollen nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden, sondern in ihrer prekären Lage verharren. Nicht ohne Grund hat das bedingungslose Grundeinkommen auch auf neoliberaler Seite viele Anhänger.

Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel