Frage an Sigmar Gabriel von Wilfried M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Gabriel,
ich wurde auf videodokumentierten Aussagen hingwiesen, denen zufolge Sie möglicherweise eine kriminelle Vorgehensweise propagiert und womöglich praktiziert haben, welche das Ausstellen eines ärztlichen Gefälligkeitsattests ebenso vorsah wie Akten-/ Urkundenunterdrückung.
1. Handelt es sich um ein unverfälschtes Videodokument Ihrer Äußerungen?
2. Falls ja: Bedeutet dies,daß Sie für Rechtsbrüche jedenfalls dann zu haben sind, wenn es einer - von Ihnen für "gut" befundenen - Sache dienlich ist?
3. Was spräche dagegen, in vergleichbaren Abschiebeangelegenheiten die Behörden des anderen Landes sowohl mit den gesetzlichen Grundlagen (und Grenzen der Zuständigkeit bzw. es Erlaubten) hier als auch mit Ihren Sorgen z.B. um die Unversehrtheit Abgeschobener im Heimatland vertraut zu machen und im Übrigen darauf zu verzichten, Verantwortlichen in anderen Ländern sozusagen Unterlassen von Grundrechts- Schutzleistungen für ihre Bürger zu unterstellen?
Hochachtungsvoll
Dipl. med. Wilfried Meißner
Facharzt für Anatomie, Psychiatrie und Psychotherapie a.D.
Deutsches Institut für Totalitarismusabwehr
1) ab min 1:15 hier: http://www.youtube.com/watch?v=JR-9P9FeW5Q
Sehr geehrter Herr Meißner,
an keiner Stelle wird das Leid, das durch Konflikte und Not ausgelöst wird, deutlicher, als wenn Kinder hierunter zu leiden haben. An keiner Stelle werden die Ohnmacht und die Hilflosigkeit von Zuständen deutlicher, als wenn Kinder in Elend und Trümmern nach Sicherheit und Geborgenheit suchen. Die Liste der Länder in denen Krieg, Bürgerkrieg und existenzielle Not herrschen, wird nicht kürzer, sondern eher länger. Wir schauen nach Syrien, nach Myanmar, nach Somalia oder nach Afghanistan.
Wenn Kinder aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen werden, und dabei auch noch von ihren Eltern getrennt oder verlassen werden, dann potenziert sich das Leid. Diese unbegleiteten Kinder, wie sie im Flüchtlingsrecht heißen, gibt es zu Tausenden. Ihnen zu versuchen Hilfe und Halt zu geben, ist für mich das Natürlichste der Welt. Das gilt, wo ich kann, im Einzelfall, genauso wie generell, durch politische Gestaltung für eine humanitäre, kindgerechte Flüchtlingspolitik.
Der im Video betreffende Fall war dramatisch. Zu all dem, was diesem Mädchen im Hinblick auf ihre Flucht widerfahren war, kam der sexuelle Missbrauch durch den Vater hinzu. Die Ausweisung und Abschiebung dieses Mannes war nur konsequent und richtig. Das Kind blieb danach aber allein in Deutschland zurück.
Was das Mädchen in den wenigen Jahren ihres Lebens erleiden musste, welche tiefen Verletzungen die Seele hier bekommen hat, das können wir Laien wohl nur erahnen. Deshalb bin ich froh, dass ich damals gemeinsam mit meinem CDU-Kollegen mit dafür sorgen konnte, dass das Mädchen medizinisch und psychologisch betreut wurde. Für das Wohl des Kindes war diese Hilfe zwingend erforderlich.
Gleichzeitig war die Betreuung auch für den Aufenthaltsstatus des Mädchens damals wichtig. Deshalb betone ich, dass die Gutachter eine akute Selbstmordgefahr bei ihr feststellten. Hätte man diese nicht festgestellt, so hätte ihr Schicksal sehr wahrscheinlich gelautet: Abschiebung und zurück zum sie missbrauchenden Vater.
Diese Betonung war wichtig, denn der Sachverhalt fällt in eine Zeit, die vor Inkrafttreten des heute gültigen Aufenthaltsrechts liegt. Vor 2005 gab es keine Härtefallkommissionen in den Landtagen, die sich heute solchen Fällen annehmen. Es gab nicht die vielfältigen Möglichkeiten, die uns heute das Aufenthaltsrecht gibt, um angemessener zu reagieren. Heute würde das Mädchen ohne viel Aufhebens eine Duldung, wahrscheinlich sogar eine Niederlassungserlaubnis bekommen. Sie würde selbstverständlich die Schule besuchen. Sie wäre heute geschützt davor, in prekäre und bedrohliche Verhältnisse abgeschoben zu werden.
Aber immer noch sind Kinder nicht ausreichend geschützt in Deutschland. Es ist in Deutschland immer noch nicht selbstverständlich, dass Kinder im Flüchtlingsschutz auch wie Kinder behandelt werden. Zwar hat die schwarz-gelbe Bundesregierung 2010 endlich ihre Vorbehalte gegen die Kinderrechtskonvention zurück genommen. Allerdings ist die nationale Gesetzgebung noch nicht in vollem Umfang an die neue Situation angepasst.
Wie ich sagte: Im Einzelfall, genauso wie generell, durch politische Gestaltung, werde ich versuchen weiter meinen Teil dazu beizutragen, dass in einem der reichsten Länder der Welt Kindern eine Perspektive auf Sicherheit und Geborgenheit gegeben wird.
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel