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Frage von Gerd W. •

Frage an Sigmar Gabriel von Gerd W. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Gabriel,

in Ihrer Antwort an Herrn Lorberg sagen Sie "Deshalb wollen wir den Schritt zu einer echten gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik für Europa gehen, die dann vor allem auch über harte Kontroll- und Eingriffsrechte in den Haushalten der Krisenstaaten verfügen muss." Ist Ihnen denn nicht klar, dass ein solches Vorhaben absolut illusorisch ist? Nicht mal die fiskalisch völlig heruntergekommenen (aber dennoch unvermindert nationalstolzen) Griechen werden der EU "harte Kontroll- und Eingriffsrechte" zugestehen, und noch viel weniger werden dies die Spanier und Italiener (siehe z.B. die jüngsten Äußerungen von Berlusconi). Wie kann man da als deutscher Politiker so naiv (und europa-"politisch korrekt") sein und glauben, dass die fiskalisch unsoliden Südeuropäer sich die Karten aus der Hand nehmen lassen würden?

Warum will die SPD mit Ihnen, wie auch Frau Merkel und die CDU, zugunsten der deutschen Exportwirtschaft, aber zu Lasten unserer Kinder als zukünftiger Steuerzahler, den Euro-Schrecken ohne Ende unbedingt fortsetzen, anstatt den Mut aufzubringen, den Tatsachen in die Augen zu sehen und dem mißlungenen Euro-Projekt ein Ende (wenn auch mit Schrecken) zu bereiten? Der Euro ist nicht Europa, und die deutsche Exportwirtschaft ist nicht die deutsche Wirtschaft!

MfG
Gerd Wagner

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Wagner,

vielen Dank für Ihre Frage.

Sie schreiben, dass eine Politik, die auch harte Kontroll- und Eingriffsrechte in die nationalen Haushalte beinhalte, "völlig illusorisch" sei.

Ich möchte Ihnen da klar widersprechen. Bereits heute sind die Kontroll- und Eingriffsrechte in die nationalen Haushalte im Rahmen des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt (nach den Reformen durch das sog. "Six-Pack" und "Two-Pack") weit schärfer, als es weithin in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Bereits durch das "Six-Pack" wurden die Kriterien verschärft und ein sogenanntes "halbautomatisches" Defizitverfahren eingeführt. Dabei verpflichten sich die Eurostaaten, der Kommission zu folgen, wenn diese für ein Euroland die Feststellung eines übermäßigen Defizits vorschlägt. Das gilt nicht, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Eurostaaten die vorgeschlagene Entscheidung ablehnt. Das Mehrheitserfordernis wird also umgekehrt. Musste bisher eine qualifizierte Mehrheit im Rat ein übermäßiges Defizit feststellen, d.h. die Einleitung des Defizitverfahrens positiv beschließen, soll nun die Kommission das übermäßige Defizit feststellen, was nur durch eine qualifizierte Mehrheit im Rat abgelehnt werden kann. Das gleiche gilt für Sanktionen. Dies ist ein "scharfes Schwert".

Das soeben verabschiedete "Two-Pack" sieht weitere Verschärfungen vor: Die Euro-Länder müssen in Zukunft ihre Haushaltpläne für das kommende Jahr jährlich im Oktober an die Kommission übermitteln. Sollte der Haushaltsvorschlag nicht den Verpflichtungen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt entsprechen, kann die Kommission eine überarbeitete Version einfordern.

Die Verordnungen des "Two Packs" stellen einen erheblichen Eingriff in die Haushaltshoheit der nationalen Parlamente dar. Mitgliedsstaaten mit ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten oder solche, die schon finanzielle Unterstützung erhalten (wie Griechenland oder Portugal), werden einer intensiveren Überwachung ihrer finanziellen und wirtschaftlichen Lage unterworfen werden.

Ferner kann die Auszahlung von Mitteln gestoppt werden.

Gerne senden meine Kolleginnen und Kollegen Ihnen auch eine Übersicht über die nunmehr anwendbaren Maßnahmen zu, zu denen auch die Regeln des Fiskalpakts gehören. Senden Sie einfach eine E-Mail an sigmar.gabriel@bundestag.de

Sie sprechen sich ferner für einen Austritt aus der Euro-Zone aus, mit Rücksicht auf unsere Kinder. Ich glaube, dass das nicht der richtige Schritt wäre. Nicht nur mit Rücksicht auf die Exportwirtschaft, sondern die gesamte deutsche Wirtschaft.

Für mich ist es wichtig, trotz aller Probleme immer wieder deutlich zu machen, dass kein Land dermaßen vom Euro profitiert wie Deutschland. So gehen 60% unserer Exporte in die Mitgliedstaaten der Währungsunion. Eine Wiedereinführung der Deutschen Mark würde deutsche Exporte massiv verteuern. In der Konsequenz würde die deutsche Wirtschaft schrumpfen, die Arbeitslosigkeit zunehmen. Zahlreiche Studien – von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der schweizerischen UBS und zuletzt von der Unternehmensberatung McKinsey – weisen nach, dass die gemeinsame Währung den Wohlstand in den 17 Euro-Ländern vermehrt hat – laut McKinsey allein im Jahr 2010 um 332 Mrd. Euro oder 3,6 % des Eurozonen-BIP. Der Effekt für die deutsche Wirtschaft betrug danach 165 Mrd. Euro.

Die gute Lage, in der wir Deutschen uns heute befinden, ist jedoch nicht selbstverständlich. So wurde auch unserem Volk nach dem 2. Weltkrieg massiv geholfen. Daher stellt sich uns heute auch die Frage: Wollen wir zusehen, wie sich mitten in Europa ein Staat auf das wirtschaftliche Niveau der „Dritten Welt“ zubewegt? Wollen wir das Signal geben, dass wir Mitgliedsstaaten nicht unterstützen, gar rausschmeißen, wenn es schwierig wird? Wer das will, muss wissen, dass das gemeinsame Haus Europa dann einstürzen würde. Eine solche Entwicklung wäre übrigens auch weltweit ein fatales Signal. China, Indien, die USA und andere werden nicht alle europäischen Staatschefs nacheinander anrufen, wenn sie sich absprechen wollen. Entweder Europa hat eine Stimme – oder keine.

Auch gab es in der langen Geschichte Europas nur in den letzten 60 Jahren Frieden und Wohlstand - und auch das nicht überall. Niemand soll also glauben, dies sei eine Selbstverständlichkeit. Schlimmere Alternativen waren und sind immer denkbar. In Griechenland ist dies noch keine 38 Jahre her.

Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel