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Frage von Wolfgang W. •

Frage an Sigmar Gabriel von Wolfgang W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gabriel,

Der Präsident des Bundesfinanzhofs warnt vor Methoden der Finanzverwaltung, die Grundrechte der Bürger erheblich verletzten könnten. In Ihren Vorschlägen zur Vermögenssteuer spielt der "Picasso im Wohnzimmer" eine bedeutende Rolle. Da niemand weiß, wer heimlich große Vermögen hortet, müsste also jeder Bürger zukünftig stets mit einer Durchsuchung von "Flankenschutzbeamten" rechnen. Dazu nachfolgende Fragen:
1. Wenn sozialer Ausgleich durch Steuern erreicht werden soll, warum nicht durch höhere Einkommensteuern, Mehrwertsteuern für Luxusartikel etc., die nicht das private Hausrecht berühren?
2. Wie stellen Sie, insbesondere nach den jüngsten Erfahrungen mit den Verfassungsschutzämtern und den Meldegesetzen, sicher, dass die in den Finanzämtern gespeicherten Daten und Informationen nicht missbräuchlich und rechtswidrig verwendet werden?
3. Wie stellen Sie sicher, dass es unter dem Vorwand der privaten Vermögenssteuererfassung nicht zu massiven illegalen Ausspähungen von Bürgern kommt, die wegen des Steuergeheimnisses extrem gut verschleiert werden können?
4. Der französische Präsident Hollande hat dadurch beeindruckt, dass er und seine Regierung vor den Steuererhöhungen auf deutliche Teile ihres Einkommens verzichtet haben, planen Sie und die den Vorstoß unterstützenden Gewerkschaften (hier insbes. Herr Bsirske) ähnliches?
5. Die SPD hat hinsichtlich der Grundrechte in Deutschland eine große Tradition (Ablehnung der Ermächtigungsgesetze 1933, Willy Brandt "mehr Demokratie wagen" etc.), warum ist die Vermögenssteuer aber heute wichtiger als die Gefährdung von Grundrechten, oder haben Sie über die oben genannten Aspekte nur noch nicht nachgedacht?
Ich fühle mich eher weniger von den finanziellen Folgen betroffen, als von der Einschränkung meiner Bürgerrechte. Daher wäre ich für eine gründliche Behandlung dieser mir wesentlich erscheinenden Fragen sehr dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

W. Winkler

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Winkler,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Wahrung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger durch die Finanzverwaltungen, die ich gerne beantworte.

Vorneweg: Kein Beamter und keine Beamtin darf ohne einen konkreten Verdacht auf eine Straftat und ohne einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss die Privaträume eines Bürgers oder einer Bürgerin betreten. Dies gilt auch für Finanzbeamte. Und dies wird auch noch gelten, wenn es wieder ein verfassungskonformes Vermögenssteuergesetz geben wird.

Zu Ihren Fragen im Einzelnen:
1. Der Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit kann nach unserer sozialdemokratischen Auffassung angesichts einer immer stärkeren Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse in unserem Land die Besteuerung von Vermögen nicht ausklammern. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Reform der Erbschaftsteuer und auch die von Ihnen genannte „höhere Einkommensbesteuerung“ sind – auf der Finanzierungsseite – Bestandteile einer Politik, die auf eine neue soziale Balance hinwirkt. Eine Unterscheidung von Steuerarten danach, ob das „private Hausrecht“, wie Sie es nennen, tangiert wird oder nicht, ist nicht hilfreich. Hausdurchsuchungen können so nicht ausgeschlossen werden, denn auch im Zusammenhang mit der Mehrwert-, bzw. genauer Umsatzsteuer können diese bei Betrugsverdacht unumgänglich sein.
2. Missbräuchlicher oder rechtswidriger Umgang mit Daten im Zusammenhang mit der Steuererhebung seitens der Finanzämter sind mir derzeit nicht bekannt. Nach meinem Kenntnisstand ist die Steuererhebung ausschließlich Aufgabe der Finanzverwaltungen, weder der Verfassungsschutz noch die Einwohnermeldeämter sind daran beteiligt.
3. „Massive illegale Ausspähungen“ von Bürgerinnen und Bürgern unter dem „Vorwand der privaten Vermögensteuererfassung“ sind nicht nötig, da es die legalen Möglichkeiten der Steuerfahndung gibt. Und vermutlich gehe ich recht in der Annahme, dass nicht in unüberschaubar vielen deutschen Wohnungen ein „Picasso“ die Wände ziert.
4. Seitens der SPD gibt es keine Planungen, die Bezüge von Regierungsmitgliedern zu verringern.
5. Um es klar zu sagen: Es ist Aufgabe des Staates, für die berechtigte Durchsetzung der Steueransprüche der Bundesrepublik Deutschland und eine gleichmäßige Steuererhebung zu sorgen und Steuerhinterziehung zu verfolgen. Steuerhinterzieherinnen und -hinterzieher müssen daher zu Recht mit der Furcht leben, entdeckt zu werden. Auch für Steuererhebung und Steuerfahndung gibt es gesetzliche Regeln, auch hier gilt die Verfassung. Und jeder Bürger und jede Bürgerin hat das Recht, sich bei Verstößen staatlicherseits auf dem Rechtsweg dagegen zu wehren. Die entscheidende Frage ist doch vielmehr, warum so viele Steuerpflichtige Steuern hinterziehen. Schätzungen zufolge werden jährlich rund 100 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen – mehr als dreimal so viel, wie für die "Hartz IV"-Leistungen ausgegeben wird. Das Geld, das dringend für Bildung und Soziales gebraucht wird, wird stattdessen dem Gemeinwesen vorenthalten. So wird die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben, so werden die Reichen reicher und die Armen ärmer. Eine Gefährdung der Grundrechte durch die Wiedererhebung der Vermögenssteuer sehe ich nicht, wohl aber eine Gefährdung des sozialen Friedens, wenn wir auf sie verzichten!

Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel