Frage an Sigmar Gabriel von Stefan L. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Gabriel,
Mit Entsetzen nahm ich gestern Ihre Stellungnahme zur Kollektiven Schuldenhaftung in Europa zur Kenntnis. Richtig ist sicher, daß wir für ein gemeinsames Europa mittelfristig gemeinsame Steuer- und allgemeine Richtlinien und Gesetze benötigen, wenn es überhaupt einmal funktionieren soll.
Ein Aufkommen von uns für die Schulden der südlichen Länder kann ich aus folgenden Gründen nur ablehnen:
Wir haben Kunden in Itaien und Rumänien. Von diesen höre ich immer zu meinem größten Erstaunen, daß Sie die Aufträge oft nur durch Koruption erkaufen. D.h. 50 % der Summen für Projekte bleiben bei bestimmten Instanzen hängen, damit der Auftrag dann an die gewünschte Firma erteilt wird.
Angeblich ist das auch in Italien oft der Fall. In Rumänien und anderen Ländern wie Griechenland, Ungarn und Bulgarien ohnehin usus. Hier kann es dochc wohl nicht recht sein, daß die Leute aus Ländern wie Deutschland hart arbeiten, damit die Anhäufung von Schulden durch Koruption forciert ausgeglichen wird. Auch die immer höhere Besteuerund der besser Verdienenden führt bestenfalls zu einer höheren Abwanderung von fleißigen hart arbeitenden Menschen.
gerne erwarte ich ein kurzes Statement,
mit freundlichen Grüßen
Stefan H. Lorberg
Sehr geehrter Herr Lorberg,
vielen Dank für Ihre Frage - entschuldigen Sie bitte die späte Beantwortung.
Der Begriff „gemeinsame Schuldenhaftung“ ruft bei vielen Menschen, wie auch bei Ihnen, zunächst einmal Skepsis und Kritik hervor. Doch entscheidend ist: Was ist eigentlich genau damit gemeint? CDU/CSU und FDP tun jetzt so, als wolle die SPD in Europa am liebsten sofort und ohne Bedingungen alle Schulden vergemeinschaften. Es ist von „Schulden-Sozialismus“ und einer „Schuldenunion“ die Rede. Das ist politischer Populismus und in der Sache schlicht falsch.
Mit dem, was ich im vergangenen Sommer vorgeschlagen habe, geht es mir im Kern um etwas anderes, nämlich darum, dass das „Durchwurschteln“ durch die Krise endlich ein Ende haben muss. Die Methode Merkel ist: Mit immer neuen, immer größeren Rettungspaketen Zeit zu erkaufen und die Symptome der Krise zu bekämpfen. Doch beigelegt werden konnte die Krise auf diesem Wege bisher nicht. Im Gegenteil, sie hat sich weiter verschärft. Wir haben uns den bisherigen akuten Rettungsmaßnahmen aus europäischer Verantwortung nicht verweigert, um Schlimmeres zu verhindern. Wir haben als SPD aber immer auch deutlich gemacht: Aus unserer Sicht muss mehr gemacht werden, damit wir den Euro als gemeinsame Währung erhalten und Europa nicht auseinanderdriftet.
Hinzu kommt: Durch die Methode Merkel wird ein großer Teil der Verantwortung auf die Europäische Zentralbank abgeschoben. Weil das politische Krisenmanagement die Krise nicht in den Griff bekommt, muss die EZB intervenieren und Anleihen von Krisenstaaten kaufen. Dass die EZB dabei ihrerseits milliardenschwere Risiken anhäuft, für die in letzter Konsequenz ebenfalls die Steuerzahlerinnen und -steuerzahler in Deutschland und Europa haften, wird verschwiegen. Angela Merkel sollte den Menschen die Wahrheit sagen: Der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ist nichts anderes als die heimliche Vergemeinschaftung von Staatsschulden – also genau das, was sie angeblich verhindern will. Die Frage ist also längst nicht mehr, ob man für oder gegen eine gemeinsame Schuldenhaftung ist. Die Frage ist, ob diese Haftung über die EZB unbegrenzt und demokratisch nicht legitimiert erfolgt – oder ob sie im Rahmen einer starken europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik begrenzt und demokratisch kontrolliert wird.
Europa steht vor einer großen Weichenstellung: Entweder gelingt es, Schritte hin zu einer echten Wirtschafts- und Finanzunion in Europa zu gehen, oder es droht ein Auseinanderbrechen der Wirtschafts- und Währungsunion – mit wirtschaftlich verheerenden Folgen vor allem für Deutschland, das bisher am meisten vom Euro profitiert hat. Politisches Durchwurschteln und heimliches Hoffen auf die EZB reichen nicht aus. Reformmaßnahmen in den Krisenländern für mehr Wettbewerbsfähigkeit sind zwar unerlässlich. Mit einer reinen Sparpolitik kommen die Länder und kommt Europa insgesamt aber nicht dauerhaft aus der Krise. Dafür sind stärkere Impulse auch für Wachstum und Beschäftigung erforderlich. Und wir müssen die Konstruktionsfehler in der Währungsunion endlich anpacken. Deshalb wollen wir den Schritt zu einer echten gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik für Europa gehen, die dann vor allem auch über harte Kontroll- und Eingriffsrechte in den Haushalten der Krisenstaaten verfügen muss. Unter diesen Bedingungen – und nur dann - würden dann auch eine gemeinsame europäische Haftung für einen begrenzten Teil der Staatsschulden und geknüpft an klare Vorgaben zum Schuldenabbau überhaupt möglich.
Vollkommen klar ist dabei zudem: Dies alles kann und darf nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden. Auch hier muss die Methode Merkel ein Ende haben: Es muss Schluss damit sein, dass die Regierungschefs hinter verschlossenen Türen über milliardenschwere Rettungspakete und die Zukunft Europas entscheiden und die Parlamente die Ergebnisse bestenfalls noch abnicken können. Deshalb soll ein neuer europäischer Verfassungskonvent Reformvorschläge für eine starke und demokratische Wirtschafts- und Fiskalunion erarbeiten, dessen Ergebnisse dann in Deutschland auch den Bürgerinnen und Bürgern zur Abstimmung vorgelegt werden sollten.
Mein Ziel und das Ziel der SPD ist es: Wir wollen, dass sich die Europapolitik wieder weniger an den vermeintlichen Sachzwängen der Märkte ausrichtet, sondern an dem Willen der Menschen. Während Frau Merkel für „marktkonforme Demokratie“ in Europa plädiert, wollen wir das Gegenteil, nämlich demokratiekonforme Märkte. Und dafür brauchen wir ein starkes und demokratisches Europa, das solidarisch zusammensteht.
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel