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Frage von Hajo F. B. •

Frage an Sigmar Gabriel von Hajo F. B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gabriel,

gerade habe ich in einem Radiointerview gehört, dass Sie sich für eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden in der EU aussprechen. Sie wurden zitiert mit einem Ausspruch über die damalige Einführung der D-Mark, nach dem Bayern heute noch ein armes Agrarland wäre, wenn die anderen Bundesländer nicht einer gemeinsamen Finanzpolitik zugestimmt hätten.

Dazu habe ich drei Fragen:

1) Ist Ihnen bewusst, dass die Bundesländer bei Gründung der BRD keine Schulden hatten?

2.) Ist Ihnen bewusst, dass die Bundesrepublik ein Staat ist, in dem es im Gegensatz zu Staatenbünden wie der EU selbstverständlich ein einheitliches Recht geben MUSS?

3.) Ihr Vorschlag einer Vergemeinschaftung der Schulden in der EU läuft daraus hinaus, dass wir Deutschen noch mehr arbeiten und noch weniger bekommen, um die Schulden anderer Staaten zu bezahlen. Welchen VORTEIL hätten WIR DEUTSCHEN davon?

Ich bitte Sie, bei Ihrer Antwort Hinweise auf ein gewisses Dutzend Jahre unserer Vergangenheit zu vermeiden, denn ich wurde später geboren und habe mit dem ganzen Kram nichts zu tun. Ich bitte Sie ebenfalls, bei Ihrer Antwort auf proeuropäische Floskeln zu verzichten, denn ich lehne – wie die übergroße Mehrheit der Deutschen – ein vereintes Europa in der von Ihnen angestrebten Form kategorisch ab.

Auf Ihre Antwort bin ich wirklich sehr gespannt.

Mit freundlichen Grüßen,

Hajo F. Breuer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Breuer,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Allerdings bin ich der Auffassung, dass die deutsche Geschichte und die europäische Idee zentrale Grundlagen der europapolitischen Position der SPD sind und keine Floskeln.

Ich will nicht bestreiten: Die Form und der Zustand, in dem sich die Europäische Union derzeit befindet, schreckt viele ab. Im Zuge von immer neuen Reformen in den vergangenen Jahrzehnten, bei denen an immer neuen Stellen repariert und justiert wurde, sind die Institutionen der EU so unübersichtlich geworden, das sie keiner mehr versteht. Jetzt kommt die Krise im europäischen Währungsraum hinzu, die die Ängste und teilweise auch den Ärger vieler Menschen verstärkt.

Doch ich bin tatsächlich der festen Überzeugung, und dies ist ebenfalls keine Floskel: Wenn Europa im globalen 21. Jahrhundert seinen Wohlstand gegenüber aufstrebenden Mächten in der Welt wie China, Brasilien oder Indien verteidigen will, geht das nur zusammen! Deshalb wäre es falsch, aus den Problemen und Defiziten der jetzigen EU die Schlussfolgerung zu ziehen, dass eine Rückkehr zum Nationalstaat die bessere Alternative wäre. Richtig ist es stattdessen zu versuchen, so schwierig es ist, dieses Europa zu verändern und dadurch zu verbessern.

Nun zum Kern Ihrer Frage: Als SPD reden wir keineswegs der Vergemeinschaftung der staatlichen Schulden im Euroraum vorbehaltlos das Wort. Allerdings folgende Feststellung dazu: Schon jetzt haften durch die Euro-Rettungsschirme und die Politik der EZB die deutschen Steuerzahlerinnen und -zahler mit großen Summen. Vor allem die Aufkäufe von Staatsanleihen durch die EZB ist eine Art Vergemeinschaftung von Schulden durch die Hintertür und ohne demokratische Legitimation. Weil sich Frau Merkel nicht traut, den Weg über den Bundestag zu gehen, lässt sie es die EZB richten. Ehrlicher und demokratischer wäre es allemal, auf politischem Weg über den Bundestag endlich ernsthafte und umfassende Schritte zur Krisenbewältigung auf den Weg zu bringen: Impulse für Wachstum und Beschäftigung, Maßnahmen im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit gehören aus unserer Sicht ebenso dazu wie ein Schuldentilgungsfonds, der, geknüpft an strikte Vorgaben für den Defizitabbau, eine begrenzte gemeinsame Haftung für Altschulden mit sich bringen würde und einen Beitrag zur längerfristigen Stabilisierung der Eurozone leisten könnte.

Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel