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Frage von Nell B. •

Frage an Sigmar Gabriel von Nell B. bezüglich Wirtschaft

S.g Herr Gabriel,

in einem heute veröffentlichten Artikel der FAZ
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/schuldenkrise-retten-ohne-ende-11832561.html
liest man folgendes:

"Dem Entscheidungsrecht des Bundestags sollen mehrere Bestimmungen Rechnung tragen, die allerdings völkerrechtlich nicht verbindlich sind, weil sie nicht in den ESM-Vertrag aufgenommen wurden, sondern nur in das nationale Begleitgesetz. Alle wichtigen Entscheidungen des ESM liegen beim Gouverneursrat, der aus den Finanzministern der Mitgliedstaaten besteht. Beschlüsse des Gouverneursrats sind völkerrechtlich wirksam, auch dann, wenn der Bundestag anderer Meinung sein sollte. "

und weiter:

"Während der Vertrag das Beschlussrecht des Parlaments bis zur Unkenntlichkeit verkrüppelt, eliminiert er das Kontrollrecht sogar vollständig: Die Mitglieder des ESM unterliegen einer unbegrenzten Geheimhaltungspflicht und Immunität (Artikel 34 und 35), die Räume und Archive sind unverletzlich, und alle Tätigkeiten des ESM sind jeder administrativen, gerichtlichen oder gesetzlichen Kontrolle entzogen (Artikel 32). Zwar veröffentlicht der ESM einen testierten Jahresabschluss, doch wählt er die Prüfer selbst aus. Eine externe Kontrolle durch Rechnungshöfe oder gar Abgeordnete findet nicht statt."

Frage: Wieso hat die SPD diesem Vertrag, der anscheinend Kontrollrechte und Haushaltsrechte des deutschen Parlaments derartig außer Kraft setzt, zugestimmt ? Angesichts dieses Artikels kommen langsam Zweifel auf, ob unsere Parlamentarier diesen Vertrag überhaupt gelesen haben, bevor er durchgewinkt wurde !

MfG
Nel Bernstein

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr oder sehr geehrte Frau Bernstein,

vielen Dank für Ihre Frage.

Wir stehen nach wie vor zu unserer Zustimmung zum ESM. Denn es ist notwendig, in Notlagen befindliche Mitgliedstaaten mit Krediten, deren Konditionen besser als am teils überreagierenden Kapitalmarkt sind, unterstützen zu können. Eine stabile Europäische Währungsunion ist für Deutschland als einer der Hauptprofiteure essentiell. Schließlich setzen wir die Hälfte unserer Waren und Dienstleistungen in der Währungsunion ab. Unsere finale Zustimmung zum ESM haben wir immer an die strikte Durchsetzung des Konditionalitätsprinzips sowie die Gewährleistung der Mitwirkungsrechte des Bundestages gekoppelt. Da uns diese Punkte garantiert werden konnten, haben wir dem ESM-Vertrag auch zugestimmt.
Um nun explizit zu den beiden von Ihnen angesprochenen Punkten zu kommen: Es ist zutreffend, dass über den Abruf der Mittel aus dem ESM der Gouverneursrat entscheidet. Dieser besteht u.a. aus den Finanzministerinnen und Finanzministern der Eurogruppenstaaten und ist somit demokratisch legitimiert. Über den Abruf und die Aufstockung von Kapital entscheidet der Gouverneursrat im gegenseitigen Einvernehmen (Art.5 Abs.6 des ESM-Vertragstexts). Deutschland hat somit immer ein Veto-Recht. Dies wird vom Bundestag, der die Regierung kontrolliert, überwacht. Die Kontrollrechte des Deutschen Bundestages werden daher nicht außer Kraft gesetzt. Der Bundestag wird mittelbar an allen Entscheidungen beteiligt, wie bei nationalem Exekutivhandeln auch.

Daneben ist für jede finanzwirksame Zustimmung des ESM die Zustimmung des Bundestages notwendig. Zwar ist es richtig, dass Beschlüsse des Gouverneursrates möglicherweise völkerrechtlich verbindlich sind - wenn der Gouverneursrat wirklich Entscheidungen gegen den Willen des Bundestages fällen sollte, kann Deutschland Konsequenzen ziehen. Dadurch würde es sich zwar möglicherweise in einen Konflikt mit der völkerrechtlichen Verpflichtung begeben, das ist aber auch in anderen Politikbereichen manchmal nicht vermeidbar.

Darüber hinaus ist es in internationalen Organisationen sowie in diplomatischen Vertretungen üblich, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Immunität unterliegen sowie die Räume unverletzlich sind. Dies soll ein effektives Arbeiten der jeweiligen Institutionen sicherstellen. So unterliegen beispielsweise die Mitarbeiter der Weltbank oder des Internationalem Währungsfonds einer ähnlichen Immunität, wie sie auch die künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ESM haben sollen. Darüber hinausgehend kann aber der geschäftsführende Direktor bzw. die geschäftsführende Direktorin nach Art. 35 Abs. 3 die Immunität eines jeden Mitarbeiters des ESM aufheben. Dies ist so bei der Weltbank und IWF nicht möglich.

Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel