Frage an Sigmar Gabriel von Hartmut B. bezüglich Wirtschaft
Guten Tag herr Gabriel,
ich in keiner Partei engagiert.
Frage: Wann sorgen Sie dafür, das die Entscheidungen von Rot/Grün aus dem jahr 2002, Stichwort: Steuerfreie Veräußerung von Unternehmensanteilen, korregiert wird.
Diese Gesetzgebung hat den Banken Tür und Tor geöffnet. Auch für Heuschrecken.
Frage: Eine SPD müßte ebenso für eine Steuerreform, wie von Prof. Dr. Paul Kirchhof vorgeschlagen, sein, denn ein Steuerfreibetrag von ca. 8.000,00 € für jeden Bürger, ob 1 Jahr alt, oder 100 jahre alt, und eine Besteuerung linear von 1% bis 30%, beginnend ab 8.000,00 €, Anhebung der Höchstgrenze auf 300.000,00 €, würde den Familien sehr nützen. Die großen würden mehr leisten müssen und es kehrt endlich eine Gerechtigkeit ein. Alle Einkünfte, egal woher, ob Spekulation u.a. würden dazu zählen. Wie denken Sie darüber?
Gruß Hartmut Bech
Sehr geehrter Herr Bech,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Zu Ihrer ersten Frage "Wann sorgen Sie dafür, dass die Entscheidungen von Rot/Grün aus dem Jahr 2002, Stichwort: Steuerfreie Veräußerung von Unternehmensanteilen, korrigiert wird?":
Die weitgehende Steuerfreiheit von Gewinnen, die Kapitalgesellschaften bei der Veräußerung ihrer Beteiligungen an andere Kapitalgesellschaften erzielen (bis auf 5% nicht abziehbare Betriebsausgaben), war in erster Linie eine rechtspolitische Maßnahme, um die Entflechtung der Unternehmen in Deutschland zu befördern („Auflösung der Deutschland AG“). Ferner gibt es systematische Argumente hierfür, z.B. Vermeidung der Doppelbesteuerung von Gewinnen durch Abgeltungsteuer und Besteuerung der Veräußerungsgewinne.
Da das richtige Ziel der Entflechtung jedoch weitgehend erreicht ist, und die Gefahr einer Nichtbesteuerung stiller Reserven, die mit dem Kaufpreis abgegolten werden, auf Grundlage des gegenwärtigen Systems besteht, prüft die SPD die Wiedereinführung einer Besteuerung von Veräußerungsgewinnen zumindest in gewissen Konstellationen.
Ich stehe diesem Ansinnen aufgeschlossen gegenüber.
Zu Ihrer zweiten Frage "Eine SPD müsste ebenso für eine Steuerreform, wie von Prof. Dr. Paul Kirchhof vorgeschlagen, sein":
Die Vorschläge von Paul Kirchhof sind aus meiner Sicht nicht weiterführend, sie widersprechen im Übrigen auch dem Anliegen Ihrer ersten Frage.
• Die Vorschläge schaffen nur den Schein von Einfachheit. Die Komplexität des Steuerrechts erwächst aus den zahlreichen Verordnungen, Erlassen und Gerichtsurteilen. Die 146 Paragraphen von Kirchhof müssten wieder ausgelegt und erläutert werden, um der Komplexität des Wirtschaftslebens (hybride Rechtsformen, grenzüberschreitende Sachverhalte, geschachtelte Rechtsverhältnisse) gerecht zu werden. Dadurch wächst die Komplexität. Ich finde: Wichtiger und notweniger als eine materielle Vereinfachung ist eine Vereinfachung des Verfahrensrecht. Wir wollen die vorausgefüllte Steuererklärung, die der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin – wenn er/sie keine Änderungen hat – nur noch unterschreiben muss. Die Einführung ist auf gutem Wege.
• Die Kirchhof-Vorschläge sind auch für Arbeitnehmer nur scheinbar einfach: Drei Stufen im Steuertarif, Vereinfachungspauschale, Sozialausgleichsbeträge, die die Bemessungsgrundlage nochmals verändern sind nicht weniger komplex, als der heutige linear-progressive Tarif. Ohne Abgabenrechner/Tabelle ist auch bei Kirchhof der Steuersatz nicht zu ermitteln.
• Die Vorschläge bewirken außerdem eine massive Umverteilung von oben nach unten: Die Senkung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer von 45 % auf 25 % (!) wird durch eine massive Erhöhung der indirekten Steuern (die regressiv wirken) bezahlt: So fällt auch der ermäßigte Umsatzsteuer-Satz für Lebensmittel weg. Mehrbelastung: 20 Mrd. Euro. Ausgleich lediglich 27 Euro für Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose. Auch Verbrauchssteuern auf Heiz- und Kraftstoffe, Strom, Alkohol und Tabak bleiben und werden erhöht - sie wirken ebenso regressiv.
Ein Beispiel: Ein Single mit 20.000 Euro Einkommen muss nach Kirchhof 1750 Euro Einkommensteuer/Jahr bezahlten – heute bezahlt er 1726 Euro, also 24 Euro weniger! Wer 2 Millionen versteuert, zahlt nach Kirchhof 496.750 Euro – heute bezahlt er 880.796 Euro, also fast doppelt so viel!
Kirchhofs Vorschläge würden so zu einem Minus von (mindestens) ca. 55 Mrd. Euro in der Einkommensteuer führen, die durch höhere Verbrauchsteuern und die Umsatzsteuer kompensiert werden müsste!
• Die Besteuerung von Kapitaleinkünften (Dividenden etc.) soll entfallen: Dadurch werden Arbeitnehmer nochmals gegenüber Kapitaleignern benachteiligt.
Ein Grundfreibetrag für jedes Familienmitglied mag aus der Sicht von sehr gut verdienenden Menschen mit Kindern wünschenswert sein, für all jene Familien, die nur mit einem durchschnittlichen oder sogar noch geringerem Einkommen auskommen müssen, gingen die zusätzlichen Grundfreibeträge ins Leere. Wir halten deshalb unseren familienpolitischen Ansatz für weitaus zielsicherer:
Sie finden ihn unter folgendem Link: http://www.spd.de/linkableblob/21840/data/beschluss_familie_lang_fin.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel