Frage an Sigmar Gabriel von Benjamin C. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Gabriel,
1. Die Bundesbank hat via dem sogenannten Target2 System Forderungen in Höhe von 800 Milliarden € gegen andere Zentralbanken. Die Target-Forderungen steigen jeden Monat dramatisch an und könnten in einem Jahr auf gigantische 1600 Milliarden € anschwellen. Welche Sicherheiten hierfür genau bestehen konnte mir die Bundesbank nicht beantworten. Warum gibt es zu den Risiken keine Anhörung und Aussprache im Bundestag? Das Bundesfinanzministerium schweigt sich hierzu aus.
2. Die Bilanzsumme der EZB ist seit Anfang des Jahres von 2000 Mrd€ auf 3000 Mrd€ angewachsen. Gleichzeitig spricht der ehemalige Chefs-Volkswirt der EZB von "erschreckender" Bilanzqualität. Die EZB hat zudem nach der Schätzung von Openeurope einen drohenden Verlust von 440 Mrd€ im SMP Programm.
3. Die Größe des spanischen Bankensystems ist 4000 Mrd€. Das spanische Bankensystem hat fast kein Eigenkapital mehr und eine Rettung würde ca. 10% davon betragen, also 400 Mrd€. Spanien ist heute schon insolvent, wenn Deutschland für Forderungen Sicherheiten verlangen würde. Wollen Sie für Spanien die gleichen Entwicklungen wie für Griechenland? Diese Länder brauchen endlich einen Schuldenerlass und ihre eigene Währung.
4. Sie haben hier geschrieben: "Deshalb habe ich auch die Kanzlerin aufgefordert, eine neue europäische Grundordnung zu erarbeiten, über die das deutsche Volk abstimmen soll."
Wie wollen Sie bitte eine neue Grundordnung schaffen, wenn momentan gegen jeden denkbaren Vertrag und Grundregel verstoßen wird? Der EFSF/ESM und die Politik der EZB ist glasklar verfassungswidrig, weil sie gegen §125 AEUV verstoßen. Der §125 ist doch die absolute Grundlage des Systems. Wann wird man wieder zum geltenden Recht übergehen, bevor man neues Recht schaffen will? Glauben Sie ernsthaft man kann die Franzosen, Italiener und Spanier dazu zwingend ihre Souveränität in Finanz- und anderen Fragen abzugeben? Ich halte das für mehr als unrealistisch.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Cordes,
besten Dank für Ihre Fragen. Gerne nehme ich dazu Stellung.
Zu Ihrer ersten Frage: Über die Höhe bestehen unterschiedliche Angaben, es sind Summen von 300 bis 900 Mrd. im Umlauf. Das Problem der derzeit sehr hohen Target-Salden ist jedenfalls eine Folge bzw. ein Symptom eines grundlegenderen Problems. Vor der Krise hatten sowohl die USA als auch Europa relativ niedrige Salden. Ein derart dramatisches Auseinanderfallen der Salden, über welches wir heute reden, kam erst mit der Krise und den damit verbundenen Problemen. Somit spiegelt die Entwicklung der Target2-Salden die Probleme im europäischen Banken- und Finanzsystem wider.
Aus diesem Grund spricht viel dafür, dass die Target-Salden mit Beendigung der Krise allein wieder zurückgehen werden. Selbstverständlich wird dies ein sehr zäher und langsamer Prozess sein. Prozyklische Lösungen, wie ein jährlicher Ausgleich der Salden sind in der derzeitigen Krise für kontraproduktiv. Es findet über diese Frage ein sehr lebhafter Austausch statt, Anhörungen erfolgen jedoch nur bei Gesetzgebungsvorhaben, und nicht bei Aktivitäten der Bundesbank.
Zu Frage 2: Diese Zahlen kann man in der Tat in der Presse lesen. Sie sind die Folge der unlauteren Krisenpolitik von Angela Merkel, welche der EZB die Aufgabe zugewiesen hat, mangels rechtzeitiger überzeugender Krisenpolitik einzuschreiten.
Zu Frage 3: Diese Zahlen kann ich nicht bestätigen. Mit dem Hilfspaket für Spanien ist die Grundlage geschaffen worden, das Land wieder auf einen Wachstumskurs zu bringen. Dringend notwendig ist aber eine echte Reform der Finanzmarktregulierung, wie ich sie fordere. Ein Auseinanderbrechen der Währungsunion würde für Deutschland sehr hohe Kosten bedeuten. So haftet Deutschland für 300 Mrd. Euro im Rahmen der Rettungsschirme, ferner ist der deutsche Anteil am EZB-Kapital (knapp 30 %) und auch den Target2-Salden, die dann - zumindest teilweise - ausfallen würden, zu berücksichtigen.
Zu Frage 4: Gerade weil die momentane Grundordnung nicht mehr den Anforderungen entspricht, halte ich es für notwendig, in einem offenen, demokratisch legitimierten Prozess darüber zu beraten, auf welcher Grundlage wir in Zukunft in Europa zusammenleben wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel