Frage an Sigmar Gabriel von Ulrich O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Oberender,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage. Ich bin auch auf meinem facebook-account https://www.facebook.com/sigmar.gabriel dazu befragt worden, warum so wenige Abgeordnete an der Abstimmung über das neue Melderecht teilgenommen haben, und habe dort schon geantwortet. Gerne will ich Ihnen mein Antwort auch hier geben.

Die einfache Wahrheit ist: Bei den allermeisten Abstimmungen des Bundestages ist der Plenarsaal nicht voll. Das ist kein Geheimnis. Jeder kann das in den Mitschnitten der Plenardebatten auf http://www.bundestag.de sehen.

Dies liegt schlicht daran, dass ein wichtiger Teil der Arbeit der Abgeordneten nicht im Plenarsaal stattfindet, sondern in den zuständigen Fachausschüssen. Diese beraten zwischen der so genannten Einbringung eines Gesetzes (also der ersten Lesung) und der Schlussabstimmung (2./3. Lesung) im Plenum jedes Gesetz ausführlich. Bei der Schlussabstimmung sind die inhaltlichen Argumente ausgetauscht, die Fraktionen haben festgelegt, wie sie abstimmen wollen. Natürlich gibt es auch Gesetze, bei denen einzelne Abgeordnete erklären, gegen die "Fraktionslinie" stimmen zu wollen - aber das war hier nicht der Fall. Ich habe an der Abstimmung nicht teilgenommen. Das ist auf dem entsprechenden Video unschwer zu erkennen.

Manche Menschen behaupten nun, es sei unanständig, ein Gesetz zu kritisieren, bei dessen Abstimmung man nicht im Plenum gewesen sei. Dazu kann ich nur sagen: Ich werde sehr häufig für Gesetze kritisiert, an denen ich formal gar nicht beteiligt war. Z.B. war ich noch gar nicht Bundestagsabgeordneter, als über die Hartz-IV-Gesetze abgestimmt wurde.

Dass ich dafür kritisiert werde, ist auch völlig in Ordnung. Denn wir sind als Partei mitverantwortlich für das, was im Bundestag mit den Stimmen von SPD-Abgeordneten beschlossen wird. Aber dann muss auch der Umkehrschluss gelten: Ich muss nicht "eigenhändig" jedes Gesetz abgelehnt haben, das ich kritisiere.

Inhaltlich wissen Sie ja bereits: Ich teile die Kritik an der datenschutzfeindlichen Regelung, die CDU/CSU und FDP durchgesetzt haben. Und auch ich finde es peinlich, dass diejenigen in der schwarz-gelben Bundesregierung, die diese Regelung durchgesetzt haben, auf einmal den Eindruck zu erwecken versuchen, als hätten sie damit nichts zu tun. Wichtig ist, dass das Gesetz nicht durch den Bundesrat kommt. Wir haben ja bereits gemeinsam mit den Grünen angekündigt, dass wir im September im Bundesrat das Gesetz stoppen wollen. Kurios ist: Sogar Horst Seehofer hat sich uns mittlerweile angeschlossen.

Mich ärgert aber, wenn nun in manchen Diskussionen und Beiträgen so getan wird, als habe die SPD das Thema Melderecht verschlafen und habe erst nach Protesten aus dem Netz Kritik geübt. Dieser Vorwurf ist schlicht falsch.. Erstens: Unsere Fraktion hat im zuständigen Innenausschuss am 27. Juni 2012, einen Tag vor der spätabendlichen Abstimmung im Plenum, unmissverständlich gegen das Einknicken der schwarz-gelben Koalition vor der Adresshandelslobby Stellung bezogen, wurden aber von der Regierungsmehrheit überstimmt. Zweitens: Natürlich haben die anwesenden SPD-Abgeordneten dann auch in der Plenumsabstimmung mit "Nein" gestimmt! Drittens: Die SPD-Fraktion hat unmittelbar nach der Verabschiedung des Gesetzes eine Pressemitteilung veröffentlicht, die aber leider von allen Medien ignoriert wurde. Hier der Link für Sie: http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/regierungskoalition-schw%C3%A4cht-datenschutz-im-meldewesen

Mit freundlichen Grüßen,

Sigmar Gabriel