Frage an Sigmar Gabriel von Ingrid W. bezüglich Finanzen
Warum will die SPD dem ESM und (dem Fiskalpakt evtl.)zustimmen?
Warum glauben Sie, dass die SPD einer Aufgabe der Souveränität zustimmen darf ohne dass die Bevölkerung darüber befragt wurde?
Art. 20 GG Abs 2 besagt:
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
Mit seinen weitreichenden Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten greift der ESM direkt in die staatliche Souveränität Deutschlands ein, beschränkt die Rechte des Parlaments entgegen der jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und legt die Entscheidungskompetenz in die Hände des sog. Gouverneursrats (= die Finanzminister der Euro-Gruppe oder andere für Finanzen zuständige Mitglieder der nationalen Regierungen, also die Exekutivgewalt).
Zudem ist die Organisation des ESM weder demokratisch legitimiert noch findet eine parlamentarische Kontrolle statt – im Gegenteil: Der ESM selbst und die verantwortlichen Akteure genießen eine umfassende und weitreichende Immunität vor jeglicher juristischer Verfolgung oder demokratischer Kontrolle. Die nach deutschem Demokratieverständnis unentbehrliche Gewaltenteilung wird damit aufgehoben.
Mit dem Fiskalpakt, dem zweiten Pfeiler der geplanten Maßnahmen, erhalten zudem EU-Institutionen weitgehende Kontrollmöglichkeiten auf die Haushalte der souveränen Mitgliedsstaaten, ohne dass deren Parlamente oder auch das EU-Parlament darauf Einfluss nehmen könnten. Die so genannte Budgethoheit des Parlaments (Legislative) – die oft als die ureigenste Macht demokratisch gewählter Volksvertreter bezeichnet wird – würde so an Institutionen der Regierungsgewalt (Exekutive) abgetreten.
All dies will die SPD wirklich mit beschließen? Glauben Sie wirklich, das die Finanzmarktsteuer im Euro-Raum wirklich eingeführt nur weil Deutschland das will? Nein, denn wenn die ESM-Akteure einmal die Vollmacht hat, können Sie nichts mehr tun!
Sehr geehrte Frau Wilczek,
besten Dank für Ihre Fragen, auf die ich gerne antworten möchte.
Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie. Gemäß Art. 20 Abs. 2 GG geht die Staatsgewalt vom Volke aus; das Volk übt sie "in Wahlen und Abstimmungen" aus. Bislang ist in der Rechtspraxis die Mitwirkung auf Wahlen beschränkt. Die SPD setzt sich bereits seit langem dafür ein, auch Volksabstimmungen einzuführen. Union und FDP lehnen das bislang ab. Sie sehen hoffentlich: Wir haben großes Interesse daran, dass alle Bürgerinnen und Bürger direkt an der Demokratie mitwirken; und wollen sie wahrlich nicht beschneiden.
Beim ESM handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der eine internationale (Finanz-)Institutionen gründet. Auch UNO, IWF etc. sind solche Institutionen mit weitreichenden Rechten. Nach dem Grundgesetz bedarf es dazu der Ratifikation durch den Bundestag.
Der ESM wird auch demokratisch kontrolliert - eben durch die nationalen Parlamente, welche die Ministerinnen und Minister im Gouverneursrat kontrollieren. Der Gouverneursrat besteht aus den Finanzministerinnen und Finanzministern der Unterzeichnerstaaten. Als internationale Finanzinstitution, die der ESM also sein wird, werden deren Mitglieder genau wie die Mitglieder aller internationaler Institutionen Immunität genießen.
Das ESM-Ratifizierungsgesetz in der Form, in der es die Bundesregierung dem Bundestag vorgelegt hat, sieht unter anderem folgende Regelungen vor:
• Eine Erhöhung des Stammkapitals erfordert ein durch den Bundestag verabschiedetes Gesetz (Artikel 2(1)).
• Auch eine Erweiterung der schon im Vertrag benannten Summe braucht eine gesetzliche Grundlage (Artikel 2(2)).
Hier wird also klar: Der Bundestag hat ein Vetorecht.
Der ESM-Vertrag regelt außerdem in Artikel 5 sehr detailliert, wie welche Entscheidungen innerhalb der Institution getroffen werden. Entscheidungen, die einstimmig getroffen werden müssen, zu denen Deutschlands Zustimmung also zwingend nötig ist, sind z.B.:
• Änderungen des genehmigten Stammkapitals und Anpassungen des maximalen Darlehensvolumens
• Entscheidungen über die Gewährung von Finanzhilfen einschließlich der wirtschaftspolitischen Auflagen und der Wahl der Instrumente
• Änderungen der Zinsstruktur und der Zinsfestsetzungspolitik
• Änderungen der Finanzhilfeinstrumente
• Übertragung von Aufgaben an das Direktorium
Des Weiteren gibt es Regelungen, die mit qualifizierter Mehrheit (laut Art.4 Abs.5 sind dies 80 Prozent der Stimmen), angenommen werden können. Auch diese Entscheidungen (wenn es Sie interessiert: Eine Liste findet sich in Art.5 Abs.7 des Vertragswerks) können nicht ohne die Zustimmung der Bundesrepublik getroffen werden, da sie entsprechend ihrem Anteil am Kapital des ESM 27 Prozent der Stimmanteile besitzt. Dies trifft ebenso auf sogenannte „Eilentscheidungen“ zu, die eine 85 Prozent Mehrheit erfordern (Artikel Abs. 4). Fakt ist also, dass sämtliche relevanten Entscheidungen nicht ohne die Zustimmung der Bundesregierung bzw. ihres Vertreters getroffen werden können.
Grundsätzlich befürworte ich die Einrichtung des ESM. Es ist notwendig, Mitgliedstaaten in Notlagen mit Krediten, deren Konditionen besser sind als diejenigen am teils überreagierenden Kapitalmarkt, unterstützen zu können. Eine stabile Europäische Währungsunion ist für Deutschland essentiell. Wir hier in Deutschland profitieren am meisten davon, denn wir setzen die Hälfte unserer Waren und Dienstleistungen innerhalb der Währungsunion ab.
Allerdings haben wir unsere Zustimmung an die strikte Durchsetzung des Konditionalitätsprinizips sowie die Gewährleistung der Mitwirkungsrechte des Bundestages geknüpft. Ersteres bedeutet, dass der ESM an die Mittelvergabe strenge Auflagen knüpfen kann. Dies hat zum Ziel, dass nicht unbegrenzt Rettungskredite vergeben werden, ohne dass die Staaten selbst Anreize haben, eine effiziente Verwaltung aufzubauen, Strukturreformen durchzuführen und ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Somit würde das Haftungsrisiko Deutschlands begrenzt, wenn die betreffenden Staaten durch Reformen wieder auf eigenen Beinen stehen können.
Ohne eine Garantie der beiden aufgeführten Punkte hätten wir dem ESM – im welchem Rahmen auch immer – nicht zustimmen können, denn das wäre unverantwortlich.
Langfristig jedoch sind diese Beschlüsse nicht ausreichend. Dies habe ich immer wieder deutlich gemacht, zum Beispiel, als ich in der Debatte im Bundestag die Kanzlerin aufgefordert habe, eine neue europäische Grundordnung zu erarbeiten, über die das deutsche Volk abstimmen soll. Denn es wird Zeit, aus dem Elitenprojekt EU wieder ein gemeinsames Projekt zu machen, bei dem wir die Bürger für Europa begeistern. Gerne empfehle ich Ihnen dazu einen Artikel auf SPD.de: http://www.spd.de/aktuelles/News/73920/20120629_fuer_ein_buerger_statt_elitenprojekt_europa.html
Wir sind nun gespannt, welche Entscheidung das Verfassungsgericht am 12. September bezüglich der eingelegten Verfassungsbeschwerden den ESM betreffend treffen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel