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Frage von Dennis F. •

Frage an Sigmar Gabriel von Dennis F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gabriel,

In einem Artikel der "Zeit" vom 15.09.2010 ( http://www.zeit.de/2010/38/SPD-Sigmar-Gabriel ) begründen Sie, warum Thilo Sarrazin aus der Sozialdemokratischen Partei ausgeschlossen werden sollte. Dabei nennen Sie Herrn Sarrazin u.a. "Hobby-Eugeniker".
Vor einigen Tagen wurde jedoch bekannt, dass das Parteiausschlussverfahren zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Thilo Sarrazin weiterhin in der Partei bleiben kann.

Herr Sarrazin hat jedoch keine seiner Äußerungen widerrufen, weshalb ihre damalige Argumentation seine Parteimitgliedschaft betreffend immer noch gültig sein sollte.

Angesichts dessen kann man über die SPD entweder denken, dass Sie Herr Sarrazin aus wahltaktischen Gründen nicht aus der Partei ausschließt oder man kommt - wie Herr Sergey Lagodinsky - zu dem Schluss, dass die SPD nicht länger die "Vielfalt der Gesellschaft stellt"*.

Stehen Sie zu ihrer Argumentation des Zeitungsartikels vom 15.09.2010?

Steht die Partei, die Sie als Vorsitzender vertreten für die Vielfalt der Gesellschaft?

Stimmen Sie mir zu, dass die SPD mit der Mitgliedschaft des "Hobby-Eugenikers" Sarrazin darauf abzielt, Sympathien bei eugenisch-orientierten Teilen der Wählerschaft zu sammeln?

Eugenik und Sozialdarwinismus gehören zum Glück der Vergangenheit an. Willy Brandt soll einmal folgenden Satz gesagt haben:

"Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben."

Ich hoffe Sie kleben nicht an der Vergangenheit.

Mit freundlichen Grüßen,
Dennis Firmansyah

* Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/freude-bei-sarrazin-wut-bei-lagodinsky/4096422.html

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Firmansyah,

ich danke Ihnen für Ihre Nachricht. Ich möchte noch einmal erklären, worum es bei dem Streit zwischen Thilo Sarrazin und der SPD eigentlich ging und geht: Thilo Sarrazin hat bei Millionen von Lesern den Eindruck erweckt, es gehe ihm vor allem um die eine ehrliche Benennung der Probleme der Zuwanderung. Und es stimmt: Darüber hat er auch geschrieben und das allein wäre kein Grund für ein Ausschlussverfahren gewesen. Im Gegenteil: Über diese Probleme muss man offen reden, damit wir sie beseitigen können.

Das Empörende an dem Buch ist: Zum ersten Mal nach 1945 hat hier ein deutscher Politiker eine Debatte über den Zusammenhang zwischen der genetischen Herkunft und dem sozialen Verhalten wieder begonnen. Wer auch nur den Anschein zulässt, es könne sich dabei um eine Wiederbelebung des Sozialdarwinismus handeln, der muss mit dem entschiedenen Widerstand der Sozialdemokratie rechnen. Sarrazin verweist in seinem Buch zum Beispiel völlig unkritisch auf die Bevölkerungspolitik von zwei schwedischen Sozialdemokraten, Alva und Gunnar Myrdal. Leser, die die schwedische Geschichte nicht kennen, können aus Sarrazins Buch nicht erkennen, dass aufgrund dieser Bevölkerungspolitik bis in die 70er Jahre mehr als 60.000 Menschen unter anderem deshalb sterilisiert wurden, weil sie als asozial galten. Niemand darf so fahrlässig und geschichtslos mit den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts umgehen. Und schon gar kein Sozialdemokrat.

Weil Thilo Sarrazin am 21. April 2011 eine sehr weitreichende Erklärung abgegeben hat, zu der er noch vor Wochen nicht bereit war. Er selbst hat gegenüber der Schiedskommission deutlich machen wollen, dass er keineswegs dieser unseligen Verbindung des Genetischen mit dem Sozialen das Wort reden will. Die Schiedskommission hat dieser Erklärung Glauben geschenkt. Aus Sicht dieses Gremiums kam ein Ausschluss damit nicht mehr infrage, auch wenn ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht hätte. Andrea Nahles und die Vertreter der anderen Antragsteller mussten in dieser konkreten Lage dann eine Entscheidung treffen: Entweder endlos weiter prozessieren oder dem Willen der Schiedskommission folgen und die Erklärung als Einigungsgrundlage akzeptieren. Vor diese Wahl gestellt, haben Andrea Nahles und die anderen Antragsteller richtig entschieden, Sie hat dafür meine volle Rückendeckung.

Noch mehr als bereits zuvor muss die Sozialdemokratie zeigen, welches Bild sie vom Zusammenleben in Deutschland hat. Dass es eben nicht so ist, dass sich Deutschland durch die zugewanderten Migrantinnen und Migranten und ihre Familien abschafft. Ja, es gibt auch Probleme. Aber Deutschland ist durch die Einwanderung wohlhabender, vielfältiger und auch schöner geworden. Zuwanderer haben geholfen, unser Land nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufzubauen. Sie haben unserer Kultur etwas hinzugefügt und daraus erwächst jeden Tag etwas Neues und Besseres in Deutschland.

Nach sieben Landtagswahlen des Jahres 2011 muss es mehr Abgeordnete und auch Minister mit Migrationshintergrund geben. Wir müssen das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft wieder auf die Tagesordnung heben, weil Menschen, die in Deutschland leben, gleiche Rechte und Pflichten haben müssen. Und nicht zuletzt muss der SPD-Bundesparteitag im Dezember 2011 endlich Menschen mit dem Wissen und den Lebenserfahrungen eines Migrationshintergrundes in die Führung wählen. Daran wird sich am Ende die Glaubwürdigkeit der SPD messen.

Mit freundlichen Grüßen

Sigmar Gabriel