Frage an Sigmar Gabriel von Tobias M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Gabriel,
ich freue mich für Ihr Votum für einen Volksentscheid zu Stuttgart 21.
Schon hat der DGB das Thema Volksabstimmung aufgenommen, und fordert eine Volksabstimmung zur Rente mit 67.
Ich wäre für eine Volksabstimmung zum Thema Einkommenssteuer.
Volksabstimmungen zum Thema Islam und Moscheen dürften derzeit in der Bevölkerung ebenfalls recht populär sein.
In Bezug auf Stuttgart 21 ist aber eine Volksabstimmung grundsätzlich nicht mehr Teil des gesetzlichen Verfahrens.
Wie grenzen Sie die Forderung nach einer Volksabstimmung zu Stuttgart 21 von einer Vielzahl anderer möglichen Themen ab? Wann darf das Volk abstimmen und wann nicht?
Darüber hinaus ist das Ergebnis einer Volksabstimmung nicht zwangsläufig der Wille des Volkes, sondern vielmehr der Wille derer, die die Ängste des Volkes am besten für Ihre Interessen instrumentalisieren. Mit der plumpen Stimmungsmache im Stile einer populären Boulevard-Zeitung lassen sich Volksabstimmungen mit einfachsten Mitteln beeinflussen.
Das hat man sehr schön bei den Volksabstimmungen zur EU-Verfassung bzw. zum Euro oder zum Thema Minarettverbott gesehen.
Wie beurteilen Sie die Gefahr des Missbrauchs von Volksabstimmungen?
Mit freundlichen Grüßen,
Tobias Manthey
Sehr geehrter Herr Manthey,
ich danke Ihnen, dass Sie dieses Portal so rege nutzen und mir Fragen stellen. Wie immer möchte ich Ihnen gerne antworten.
Ich sehe die Gefahr des Missbrauchs nicht. Wir wollen die demokratischen Kräfte in unserer Gesellschaft stärken und dazu gehören auch die Volksabstimmungen im Bund. Auf Landes- und Kommunalebene haben sich diese Mittel bereits etabliert.
Seit 1993 kämpft die SPD dafür, dass ein Volksentscheid auf Bundesebene ermöglicht wird. Im Jahr 2002 hatten wir zusammen mit dem damaligen Koalitionspartner erneut einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid eingebracht. Da es sich um eine Verfassungsänderung handeln würde, brauen wir eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat, die nicht zustande kommt, solange sich die Union dagegen sperrt.
Im Jahr 2004 haben wir deshalb nochmals versucht, die CDU/CSU-Fraktion umzustimmen, was leider nicht gelungen ist. Wir haben das Vorhaben trotzdem nicht aufgegeben. Daher stand im Wahlmanifest der SPD zur Bundestagswahl 2005: "Wir brauchen mehr direkte Demokratie und damit den Volksentscheid." Im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU konnte 2005 leider nur vereinbart werden: "Die Einführung von Elementen der direkten Demokratie werden wir prüfen." Die CDU/CSU-Fraktion hielt aber bis zuletzt an ihrer Auffassung fest. Deshalb ist das Vorhaben in der vergangenen Wahlperiode erneut gescheitert.
Den Standpunkt der SPD haben wir nochmals im Hamburger Parteiprogramm von 2007 mit den Worten bekräftigt: "Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund."
Das Regierungsprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2009 enthielt die Aussage: "Direkte Demokratie. Wir wollen Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene ermöglichen und dabei die Erfahrungen in den Ländern berücksichtigen."
Wir werden dieses Ziel auch als Opposition weiter verfolgen. Ich hoffe, auch mit Ihrer Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel