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Frage von Tobias K. •

Frage an Sigmar Gabriel von Tobias K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gabriel,

bei Spiegel Online vom 20.09.2010 lese ich Ihren Ausspruch: „Wer auf Dauer alle Integrationsangebote ablehnt, der kann ebenso wenig in Deutschland bleiben wie vom Ausland bezahlte Hassprediger in Moscheen.“

Am 25.09.2010, also gerade einmal fünf Tage später, sagt der stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz im "Tagesspiegel" zu eben diesem Ausspruch: „Sigmar Gabriel fordert keine Gesetzesänderung, da haben Sie ihn missverstanden. Nach geltender Rechtslage können aber nur schwere Straftäter abgeschoben werden.“

Sie fordern also - laut Herrn Scholz -, dass Integrationsunwillige und Hassprediger ohne Gesetzesänderung Deutschland verlassen müssen. Wenn Sie mir bitte kurz erläutern, wie Sie sich das vorstellen?! Oder - sollte Herr Scholz Sie missverstehen - fordern Sie etwa doch Gesetzesänderungen? Wenn ja, welche?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kolmar,

ich danke Ihnen für Ihre Nachricht an mich. Gerne möchte ich Ihnen ausführlich antworten.

Wir haben auf unserem Parteitag am Sonntag in Berlin die Resolution "Herkunft darf kein Schicksal sein! Ohne Angst und Träumereien - gemeinsam in Deutschland leben", beschlossen. Darin zeigen wir auf, wofür wir stehen: für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft. Für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Menschen - unabhängig von Herkunft und Geschlecht, frei von Armut, Ausbeutung und Angst. Nichts anderes ist der Maßstab für sozialdemokratische Integrationspolitik.

Deutschland ist für uns Sozialdemokraten ein Einwanderungsland. Einwanderung verlangt immer auch Integration. Die SPD war es, die mit Übernahme der Regierungsverantwortung 1998 diesen Paradigmenwechsel eingeleitet hat. Wir haben das Signal gesetzt, dass Menschen, die zu uns kommen, auch Teil unserer Gesellschaft sein sollen.

Integration ist ein Prozess, der nie aufhören wird. Wir wollen gemeinsam mit allen Menschen in diesem Land sozialen Zusammenhalt solidarisch gestalten. Besonders für die Lebensleistung der ersten Generation von Zuwanderern und Zuwanderinnen sprechen wir unseren Dank und unseren Respekt aus. Der gesellschaftliche Wohlstand in diesem Land wäre ohne die Arbeit und Leistung von Zuwanderinnen und Zuwanderern nicht möglich gewesen. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft. Wir wollen daher die permanente Unterteilung in "Ihr und "Wir" überwinden. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verläuft die Trennlinie nicht zwischen "Deutschen" und "Migranten" sondern danach, ob Menschen gemeinsam demokratisch und solidarisch die Gesellschaft gestalten wollen.

Doch nicht alles ist gut und nicht alles funktioniert von allein. Wir verschließen nicht die Augen vor Problemen und Konflikten: Wo Integration misslingt, fehlt es an der Achtung demokratischer Grundwerte, an Sprachkenntnissen, an Bildung und an Chancen auf dem Arbeitsmarkt. In diesen Fällen findet oft eine mehrfache Ausgrenzung und Selbstausgrenzung statt. Schlechte Schulleistungen, fehlende Schulabschlüsse und Arbeitslosigkeit gehen einher mit gesteigertem Aggressionspotenzial und mit einem Rückzug in geschlossene Lebenswelten.

Viele Menschen fordern daher zu Recht von der Politik, ihre Probleme und Ängste ernst zu nehmen. Viele drängende Probleme, die wir heute lösen müssen, sind noch immer direkte Folgen der Weigerung, die Zuwanderung nach Deutschland als Einwanderung anzuerkennen. Das gilt besonders für die Regierungszeit von Helmut Kohl. Gezielte Einwanderung in die Bundesrepublik gibt es seit 1955, echte Integrationspolitik seit knapp 10 Jahren.

Herkunft darf aber gerade kein Schicksal sein - das ist Anspruch der SPD seit ihrer Gründung 1863! Von den Konservativen unterscheidet uns, dass wir Integration nicht nur als kulturelle oder religiöse, sondern in erster Linie als soziale Frage begreifen. Von dem ökonomischen Strukturwandel in den letzten Jahrzehnten waren viele Bevölkerungsgruppen betroffen. Es gibt auch in Teilen der deutschen Bevölkerung eine Verfestigung von Perspektivlosigkeit und Frustration und ein hohes Maß an Desintegration.

Nach unserem Verständnis ist es Aufgabe von Politik und Staat, für die Überwindung der sozialen Ungleichheit den entsprechenden fördernden Rahmen zu schaffen, Regeln zu definieren und über ihre Einhaltung zu wachen. Die Schaffung von Anreizen ist dabei ein wichtiger Ansatz bei der Eingliederung von Menschen mit Migrationsgeschichte. Wir wollen diejenigen, die schneller Deutsch lernen, auch schneller zu einem verfestigten Aufenthaltsstatus und zur schnelleren Einbürgerung führen.

Wir erwarten aber auch, dass die geschaffenen Chancen auch tatsächlich ergriffen werden. Wer dauerhaft zu uns kommt, hat auch die Pflicht, einen eigenen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft zu leisten, wie z.B. durch Teilnahme an Integrationskursen. Dazu brauchen wir eine konsequente und schnellere Anwendung der bestehenden Gesetze und keine weiteren Gesetzesverschärfungen. Den unbegründeten Abbruch von Integrationskursen akzeptieren wir ebenso wenig wie Schulschwänzerei. Neben den Schülern stehen hier vor allem die Eltern in der Pflicht. Der Jugendgewalt von Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund muss mit mehr Konsequenz entgegengetreten werden. Straftaten müssen durch frühere Gerichtsverfahren schneller Konsequenzen haben.

Gleichzeitig werden wir mit einer modernen Integrationspolitik weiter dafür Sorge tragen, dass die große Mehrheit derjenigen, die sich integrieren will, die nötige Unterstützung hierfür bekommt. Ihnen bieten wir die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unter Respektierung kultureller Vielfalt in Deutschland an.

Weitere Informationen finden Sie hier: http://spd.de/linkableblob/3848/data/bpt_2010_beschluss_integration.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Sigmar Gabriel