Frage an Sigmar Gabriel von Andreas Harald W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gabriel,
ich habe die letzten Tage die Berichte über den Luftschlag von Kunduz und Ihre Angriffe gegen Herrn zu Gutenberg verfolgt. Dazu habe ich einige Fragen:
1. Unter der Regierung Schröder, der auch Ihre Partei angehörte, wurde der Einsatz in Afgahnistan beschlossen. Wäre es da nicht schon die Pflicht der SPD gewesen, sich gegen diesen Einsatz auszusprechen, ihn also rundweg abzulehnen (wie Herr Schröder dies übrigens ja schon im Fall des Irak getan hatte)?
2. Dem Bundeskabinet ist sicherlich bekannt, daß sich die Deutsche Justiz auch für Taten deutscher Bürger im Ausland zuständig fühlt. Damit war Ihnen sicherlich bekannt, daß gegen einen deutschen Soldaten, der einen Menschen im Kriegseinsatz erschießt, in Deutschland ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird - solange der Kriegseinsatz nicht als solcher deklariert wird, sondern als Polizeieinsatz verharmlost wird. Finden sie das nicht reichlich unfair? Einerseits wird verlangt, daß der Soldat seinen Kopf riskiert - doch wenn er ein auf ihn gerichtetes Feuer erwiedert, wird er erst einmal als Beschuldigter vernommen und sieht sich einer Ermittlung ausgesetzt!
3. Wollen Sie mir (bzw. dem Volk) tatsächlich sagen, Sie und Ihre Kollegen im Kabinett hätten nicht gewußt, daß dieser Einsatz, auf den Sie unsere Jungs schicken, nicht so harmlos ist, wie sie immer getan haben? War Ihnen denn nicht von Anfang an klar, daß es sich dabei um einen Kriegseinsatz handelt?=
4. Was ist mit dem Grundgesetzparagraphen, nach dem sich Deutschland nie wieder an einem Angriffskrieg beteiligen darf? Afganistan wurde angegriffen - einen Hilferuf der aktuellen Regierung gab es nicht! Verletzt also nicht der Einsatz in Afganistan das Grundgesetz und ist damit Verfassungswiedrig? Müßte er unter diesen Vorzeichen nicht umgehend beendet werden?
Gruß
Andreas Wild
Sehr geehrter Herr Wild,
ich danke Ihnen für Ihre Nachricht und freue mich, dass Sie mir hier schreiben.
Die Zukunft des deutschen Engagements in Afghanistan bewegt uns alle. Leider müssen wir zu oft wegen schrecklicher Nachrichten über Afghanistan diskutieren. So haben die Meldungen über die Bombardements auf die gestohlenen Tanklastwagen der Bundeswehr, bei dem am 4. September bis zu 142 Menschen, Taliban und Zivilisten, gestorben sind, uns alle tief erschüttert.
All jene, die mit viel Engagement bei der Unterstützung des Wiederaufbaus im Land tätig sind, wissen, dass die Hilfe aufgrund der schwierigen Sicherheitslage in Afghanistan militärisch abgesichert werden muss.
Niemand in meiner Partei macht sich die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr leicht. Wir haben in unserem Hamburger Programm festgehalten, dass internationale Einsätze der Bundeswehr für uns nur das äußerste Mittel sein können, wenn andere Instrumente zur Sicherung des Friedens und zum Schutz der Menschen keine Lösung bringen. Nach unserer festen Überzeugung müssen die Einsätze der Bundeswehr durch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates sowie einen konstitutiven Beschluss des Deutschen Bundestages legitimiert und in ein politisches Gesamtkonzept integriert sein.
Es ist wichtig und richtig, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten militärische Einsätze immer einer sehr genauen und auch kritischen Prüfung unterziehen. Nur dadurch entsteht ein klares politisches Mandat, das unsere Soldaten vor Ort brauchen.
Gerade deshalb hat die Öffentlichkeit Anspruch darauf zu erfahren, was tatsächlich am 4. September 2009 vor Ort entschieden wurde und was tatsächlich passiert ist. Der Umgang mit diesem Vorfall wird nicht nur in Afghanistan wahrgenommen und kann das gute Ansehen der deutschen Soldatinnen und Soldaten weiter stärken, wenn er transparent und sorgsam durchgeführt wird. Dies gilt insbesondere für den Fragenkomplex, wer in der politischen Führung der Bundeswehr wann und über was informiert wurde. Mittlerweile ist dazu auch ein Untersuchungsausschuss gebildet worden.
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel