Frage an Sevim Dağdelen von Berkan G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Schönen Guten Abend Frau Sevim Dagdelen!
ja meine frage an sie als bundestagsabgeordnete
was sagen sie zur Jugendgewalt in deutschland das seid einer zeit mehr und mehr in denn Medien ist und in die erste Wortwahl der Politiker kommen und das Hauptziel vone inen Bestimmten Ministerpräsidenten ist die Ausweisung von Ausländern....Oder Härtere vorgehensweise gegen kriminelle ausländer..ich als Kurde bin voll und ganz dagegen das ist eine diskriminierung gegen uns ausländer.....in Deutschland gibt es seid Kurzen auch sehr viele erbamungslose mütter Die ihre Wunderschönen Kinder Verhungern oder auch töten warum wird für die keine Harte Vorgangsweise gefordert?Also ich bitte sie darum Nehmen sie mein abschnitt mit in den Bundestag und schützen sie uns aüsländer oder auch deusche mit ausländischer herkunft und dieser Ministerpräsident soll seine meinigungen nicht direkt gegen AÜSLÄNDER aüssern....
MFG BERKAN G.......Viel Erfolg im weiterm Leben Sevim Dagdelen wünsche ich dir
Sehr geehrter Herr Gönülay,
der Auslöser der Debatte um Jugendkriminalität war der Fall zweier junger Männer im Alter von 20 und 17 Jahren, die am 20. Dezember 2007 einen 76jährigen Rentner an einer U-Bahnstation in München angegriffen und dann mehrfach auf den am Boden liegenden Mann eingetreten hatten. Dieser hatte beide zuvor aufgefordert, in der U-Bahn nicht zu rauchen. Der Mann erlitt dabei Schädelfrakturen mit Einblutungen in das Gehirn, hat den Überfall jedoch glücklicherweise überlebt.
Anlass der Debatte waren aber die Landtagswahlen in Hessen. Bereits 1999 hatte der Spitzenkandidat der CDU, Roland Koch, mit einer rassistischen Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft überraschend die hessische Landtagswahl gewonnen. Koch nahm den Überfall daher zum Anlass, via BILD über "zu viele kriminelle junge Ausländer" in Deutschland zu klagen und die bisherige Integrationspolitik als falsch zu kritisieren. Andere CDU- und CSU-KollegInnen wie Bayerns Innenminister /Joachim /Herrmann (CSU), der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Volker Kauder, Bundeskanzlerin Angela Merkel und zuletzt auch die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer sprangen Koch bei. Von der CDU/CSU wurden populistische und gefährliche Forderungen nach einer Verschärfung des Jugend“strafrechts“ und nach einer Verschärfung des Ausländerrechts erhoben.
Dabei wird die Debatte zumeist auf Grundlage der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) geführt. Diese und die darauf basierenden Befunde sind allerdings nur mit Vorbehalt nutzbar. Daten zur Kriminalitätsentwicklung bei „Deutschen“ und „Ausländern“ können kaum direkt miteinander verglichen werden. Zu den Gründen hierfür gehören z.B. der etwas höhere Anteil der männlichen Jugendlichen bei MigrantInnen. Bekanntlich ist der Anteil der Männer unabhängig von der Herkunft bezogen auf Straftaten wesentlich höher als bei Frauen. Hinzu kommt, die offenbar erhebliche Zahl von AusländerInnern, die nur bei den Tatverdächtigen, nicht aber bei der Wohnbevölkerung gezählt werden. D.h. hier zählen auch Delikte von TouristInnen. Und: Jugendliche mit Migrationshintergrund gehören u.a. wegen der diskriminierenden Politik zu einem weit höheren Anteil als andere Jugendliche den sozial benachteiligten Schichten an und verfügen eben deshalb über deutlich geringere Bildungsabschlüsse - mit den bekannten Folgen. Ohnehin gleichen sich die Zahlen bei „Deutschen“ und „Ausländern“ an, sofern soziale Verhältnisse berücksichtigt werden. Wenn dies nicht dazu gesagt wird, taugt der Anteil der "Ausländer" in Kriminalitätsstatistiken zu nichts, außer zu rassistischer Polemik.
Gleiches gilt für das Argument, es bedürfe einer Änderung des Aufenthaltsrechtes. Ausländer sollen bei einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zwingend ausgewiesen werden, und nicht erst wie bislang unter bestimmten Bedingungen nach drei Jahren. Gleichzeitig soll auch der Ausweisungsschutz im Aufenthaltsrecht für schwer kriminelle Jugendliche zurückgefahren werden. Vergessen wird dabei allerdings zumeist: Wer in Deutschland ohne die deutsche Staatsangehörigkeit lebt, ist bereits jetzt stets davon bedroht, ausgewiesen zu werden. Selbst wer bereits lange hier lebt oder sogar hier geboren ist, kann dem Grunde nach insbesondere bei Begehung von Straftaten ausgewiesen und abgeschoben werden. Dadurch wird die Ausweisung praktisch zu einer zweiten Bestrafung: zunächst verbüßen diese Menschen eine Haftstrafe, dann wird ihre Lebensperspektive in Deutschland zerstört. Für sie gelten andere Kriterien als für StraftäterInnen mit deutschem Pass.
Die Personen sind in Deutschland geboren, aufgewachsen, sozialisiert worden und/oder haben einen großen Teil ihres Lebens hier verbracht. Deutschland trägt daher die Verantwortung. Diese Jugendlichen haben ihre vermeintlichen Herkunftsländer höchstens im Urlaub gesehen, viele nicht mal das, d.h. sie haben vielfach keine sozialen Bezüge dorthin. Ihre Familie ist hier, und die Konsequenz ist, dass es zur Existenzvernichtung, in diesem Sinne, zum Zerfall oder zum Auseinanderbrechen des sozialen Umfeldes führen kann.
Dass es sich „nur“ um rassistische Wahlpropaganda handelte, zeigt sich allein darin, dass die geforderte Änderung der Voraussetzungen der zwingenden Ausweisung (von 3 Jahre auf 1 Jahr Freiheitsstrafe) gegenüber türkischen Migrant/innen gar keine Auswirkung hätte. Denn für jugendliche oder heranwachsende Personen, die hier geboren und/oder aufgewachsen sind, gilt unter bestimmten Voraussetzungen ein besonderer Ausweisungsschutz bereits nach dem deutschen Gesetz. Hinzu kommt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und daraufhin der deutschen Gerichte für EU-Bürger/innen und Bürger/innen der Türkei. Danach lässt das Gemeinschaftsrecht eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem/der einzelnen Ausländer/in persönlich ausgehen, nicht aber zur – auch nur „ergänzend“ oder sekundär als Nebenzweck verfolgten – (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer/innen (vgl. die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 6.10.2005 – 1 C 5.04). Die meisten türkischen Migrant/innen fallen u.a. wegen des Assoziierungsabkommens unter besonderen Ausweisungsschutz. Bei den dem Assoziierungsabkommen unterliegenden türkischen Staatsangehörigen kann nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nur unter den gleichen Voraussetzungen wie bei Unionsbürger/innen eine Ausweisung erfolgen.
Sehr geehrter Herr Gönülay,
Kriminalität im Allgemeinen und Jugendkriminalität im Konkreten muss der gesellschaftliche „Nährboden“ entzogen werden. Doch können bestimmte Rollen- und Verhaltensmuster nicht strafrechtlich-repressiv bekämpft werden. Das Strafrecht kann nur die Notlösung sein, wenn die gesellschaftlichen Regulierungsmechanismen versagt haben. Leider ist auch diese Debatte symptomatisch dafür, wie zumeist weitgehend losgelöst von gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen an Probleme herangegangen wird. Das gilt im Übrigen auch für die von Ihnen angesprochenen Kindstötungen von Müttern. Das Problem besteht in dem Zustand der Gesellschaft, in den sozial ungerechten Verhältnissen, die solche Handlungen hervorrufen und befördern. Die Forschung zeigt außerdem ganz deutlich, dass nicht die Staatsangehörigkeit bzw. der Migrationshintergrund ursächlich sind, sondern die sozialen Umstände als kriminaltiätsverursachend wirken.
Vorrangiges Problem sind für uns die verfehlte Schul- und Bildungspolitik, die völlig unzureichende personelle und materielle Ausstattung der Justiz und der Bewährungshilfe, der Jugendämter und die fehlenden sozialen Betreuungsangebote für Jugendliche und Heranwachsende in den Kommunen. Grund ist die Streichung von finanziellen Mitteln in allen öffentlichen Bereichen. Es gilt vorrangig, die bestehenden Defizite im Bereich Bildung und Kultur, Jugendpolitik und Kommunalpolitik zu beheben. Klammer zwischen diesen Problemen, die Ursache der Kriminalität sind, ist die Sozialpolitik.
Die Mittel für Jugend- und Familienhilfen müssen erhöht werden. Die Angebote in der Kinder- und Jugendsozialarbeit müssen ausgebaut und für jeden zugänglich gemacht werden. Wir brauchen eine Kinder- Grundsicherung gegen Kinderarmut. Auch ein Rechtsanspruch auf gebührenfreie Ganztagsbetreuung und Ganztagsschulen mit gleichen Bildungschancen soll eingeführt werden. Bezogen auf Menschen mit Migrationshintergrund haben wir in dem Integrationskonzept der Fraktion DIE LINKE. klare Forderungen aufgestellt, die zur Schaffung der Voraussetzungen gleichberechtigter politischer, sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Lebensverhältnisse führen sollen.
Im Bereich der Straftatprävention muss man ansetzen, bevor Kinder zu jugendlichen GewalttäterInnen werden. Das bedeutet, Beratungsstellen für Eltern zu schaffen, ein Aufwachsen in Kinderarmut und ohne Bildungschancen etc. zu verhindern, gute Betreuungsangebote zu schaffen für Kinder und Jugendliche und generell alle mit Kindern und Jugendlichen befassten Stellen miteinander zu vernetzen.
Förderlich ist ein schnelles Strafverfahren, was es nach Aussage der Praxis bereits jetzt vielfach gibt, aber mehr geben könnte. Die schnelleren Verfahren können jedoch nur durch bessere personelle (also finanzielle) Ausstattung von Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Jugendgerichtshilfe gesichert werden. Und hier tragen sowohl CDU/CSU als auch die SPD langjährige Landes- Verantwortung. Es müssen jeweils spezialisierte Staatsanwälte und Richter/innen im gesamten Verfahren auftreten. Aber auch der Vollzug muss gestärkt, also finanziell gefördert werden.
Entscheidend ist, dass die Richter/innen das gute und ausdifferenzierte Instrumentarium des Jugendgerichtsgesetzes auch entsprechend anwenden können- also dass die Projekte überhaupt vorhanden sind. Die Richter/innen brauchen die tatsächlichen Möglichkeiten, die besten Maßnahmen für die Jugendlichen zu ergreifen. Wesentlicher Mangel in diesem Bereich ist derzeit die mangelnde finanzielle Förderung von aussichtsreichen sozialen Projekten für Jugendliche. Erfolgreiche Projekte gegen Jugendkriminalität, die im Bereich der Sozialpädagogik liegen, müssen also unterstützt werden, anstatt sie finanziell auszutrocknen, wie die Regierung unter Herrn Koch das macht. Positive Effekte können auch dadurch erzielt werden, dass die betroffenen Stellen, allen voran Eltern und Schulen etc. enger miteinander kooperieren. Wichtig sind auch Ursachenforschung und die Ausarbeitung neuer Konzepte für eine verbesserte Zusammenarbeit aller Stellen und für neue pädagogische Projekte.
Sehr geehrter Herr Gönülay,
der Kriminalität den „Nährboden“ zu entziehen, dürfte sich allerdings auch in Deutschland als schwierig erweisen. Bereits bei Forderungen im Sozial- bzw. Jugendbereich sehe ich kaum Aussicht auf Erfolg. Denn dafür müssten entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden und in Zeiten, in denen aber eingespart wird, was nicht für die Verwertung taugt, werden diese aber eher gekürzt. Der deutsche Staat lässt sich lieber Repression als Prävention viel Geld kosten. Deshalb sparen sie so und nicht anders (bspw. bei Bildung) und erhöhen sogar offensiv die Ausgaben in anderen Bereichen (bspw. Überwachung).
Worum es mir deshalb auch und nicht zuletzt geht, ist die gesellschaftstheoretische Analyse der Rolle von Verbrechen im Prozess der Ausübung von Macht, Herrschaft und Kontrolle. Dabei ist die zentrale die Frage, was in dieser Gesellschaft die Voraussetzungen sind, die immer wieder zu Kriminalität führen. In einer Gesellschaft, in der das Überleben an Eigentum und Geld hängt, ist es keine Überraschung, dass Diebstahl und Raub an der Tagesordnung sind. In einer Gesellschaft, in der Korruption, Betrug und kriminelle Machenschaften alltägliche, fest institutionalisierte und standardisierte Geschäftspraktiken sind, wird durch die staatlichen (strafrechtlichen) Maßnahmen lediglich der Preis für kriminalisierte Handlungsweisen bzw. „kriminelle“ Delikte bestimmt, mit dem gerechnet werden muss. Während ManagerInnen und UnternehmerInnen überlegen, wie viel Geld an der Steuer vorbei gebracht werden muss, um im Falle des Erwischtwerdens noch Gewinn gemacht zu haben, PolitikerInnen abwägen, zu welchem Preis es sich lohnt, Lobbyarbeit für wen auch immer zu betreiben, überlegen sich andere, wie oft man Bahn und/oder Bus fahren muss, ohne ertappt zu werden, bis es sich rechnet.
Es geht also nicht darum, für ein „besseres“ Strafsystem einzutreten, sondern gesellschaftliche (soziale) Verhältnisse zu kritisieren, die das vorhandene Strafrecht nötig machen.
Mit freundlichen Grüßen
Sevim Dagdelen