Frage an Sascha Wagener von Manja J. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Lieber Sascha Wegener,
wie stehen Sie dazu, dass sich ein Großteil der Linken (nicht nur auf Landes- und Bundes-, aber eben auch auf Europaebene) als sehr EU-kritisch darstellt? Vor allem der Fakt, dass die Linke den Lissaboner Vertrag ablehnt - bzw. jene, die ihm zustimmen, nicht mehr aufgestellt werden oder die Partei wechseln - lässt mich an dem Wohlwollen der Linken an einem geeinten und starken Europa zweifeln.
Beste Grüße,
Manja
Liebe Manja Jacob,
die Europäische Einigung birgt Chancen und Risiken - entsprechend wichtig und schwierig ist die genaue Untersuchung ihrer Prozesse durch die politischen Parteien. In der Linken standen sich, seit Beginn dieser Einigung und damit seit den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts, immer zwei Positionen gegenüber. Die, die in der Tradition des Namensgebers des Europäischen Parlaments und des Verfassers des Manifestes von Ventotene, Altiero Spinelli, auf supranationale Organisationen und ein föderalistisches Europa setzen. Und die, die den Nationalstaat als bewährten Rahmen für soziale Errungenschaften einschätzen und Angst vor einem Verlust an Demokratie in einem zu großen Staatenkonstrukt haben. Beide Positionen durchziehen die Geschichte der europäischen demokratischen Linken. Und beide Positionen gehen von derselben Grundfrage aus: Wie soll die Politik auf die Expansion der Wirtschaft reagieren?
Meine Partei hat innerhalb dieses Grundkonfliktes seit ihrer Gründung als DIE LINKE immer sehr deutlich Position bezogen: Das politische Europa und die Entstehung supranationaler Institutionen sind unbedingt nötig, um die großen Krisen des 21. Jahrhunderts angehen zu können. Klimakrise, Welthungerkrise, Wirtschaftskrise... Man muss das Wort Krise nicht mögen. Aber die Probleme sind eindeutig und es bedarf mehr als nur einer koordinierten, es bedarf einer gemeinsamen Politik. Entsprechend sind sowohl unser deutsches Wahlprogramm (beschlossen von der LINKEN am 1. März 2009 in Essen), als auch unser europäisches Wahlprogramm (beschlossen von der Europäischen Linkspartei im November 2008 in Berlin) sehr eindeutig: Ja zu einem supranationalen Europa, Ja zu den gemeinsamen Institutionen..
Aber dieses Ja bedeutet auch die Verantwortung, auf die Mehrheit der Bevölkerungen in Frankreich, den Niederlanden, Irland und wahrscheinlich in sehr viel mehr Ländern, zu hören. Wir sind überzeugt, dass eine Mehrheit der Menschen einen sozialen und ökologischen Wandel der europäischen Politik will. Die Auseinandersetzungen um den Verfassungsvertrag und um den Vertrag von Lissabon bedeuten die Chance, in einem begrenzten historischen Zeitfenster Weichenstellungen für einen solchen Wandel zumindest ansatzweise in die Europäischen Verträge aufzunehmen. Im Gegensatz zu den anderen Parteien, aber im Einklang mit der Mehrheit der Bevölkerung in immerhin zwei Gründungsstaaten der EU, sind wir der Meinung, dass die bisherigen Entwürfe dies nicht tun. Im Gegenteil: Es wird weiter keine freie Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament und damit keine Politisierung der Institutionen geben. Die Entwürfe gaukeln eine solche Entscheidungsmacht vor, in Wirklichkeit aber belassen sie es bei einer Abstimmung über den Vorschlag des Rates.
Das reine Machtverhältnis zwischen den Staaten braucht keine neue vertragliche Grundlage. Der Vertrag von Nizza garantiert das Funktionieren der EU, wenn auch zu gunsten der kleinen Staaten.Für uns ist das Minimum, einer neuen vertraglichen Grundlage zuzustimmen, eine weitere Demokratisierung im Sinne einer Politisierung, im Sinne der Schaffung eines politischen Europa. Es muss Verbesserungen in den Beziehungen zwischen den Bevölkerungen und den Institutionen geben. Sonst sagen die Menschen zu recht mehrheitlich Nein.
Selbstverständlich ist uns bewusst, dass sich die strukturelle Mehrheit für ein anderes, ein soziales und ökologisches Europa bei den Referenden zum Europäischen Verfassungsvertrag auf das Ja- und auf das Nein-Lager verteilt hat. Man kann für ein soziales Europa sein und dem Verfassungsvertrag zustimmen, auch dem Lissabonvertrag. Nur, um zu Ihrer letzten Frage zu kommen: In einer Partei und in jeder Organisation gibt es bestimmte Spielregeln. Wer in einem Parlament sitzt, sitzt dort nicht aufgrund seiner ganz individuellen Leistung, sondern getragen vom Vertrauen der Mitglieder und von den Stimmen der Wählerinnen und Wähler, um auf der Basis eines gemeinsam bestimmten Wahlprogrammes Politik zu machen. Eine einzelne Abgeordnete meiner Partrei, Frau Kaufmannn, hat sehr gewissenhaft für einzelne soziale Artikel im Verfassungs- und im Lissabonvertrag gekämpft. Als die Partei sich mit einer übergroßen Mehrheit dann doch für das Nein zu diesen Verträgen ausgesprochen hat, war sie gekränkt. Sie blieb in der Partei, weil sie Abgeordnete war. Sie verließ die Partei, als sie es nicht mehr sein sollte. Der SPD kam dies gelegen. Ich möchte dazu noch persönlich sagen: Als ich als ehemaliger Juso Vorsitzender Luxemburgs der Sozialdemokratie den Rücken gekehrt habe und aus Protest gegen den Kosovo-Krieg in die PDS eingetreten bin, habe ich Presseanfragen abgelehnt. Alles andere wäre mir unfair vorgekommen, gegenüber den politischen Freunden von gestern. Wir versuchen alle unser Bestes zu tun und niemand ist so unfehlbar, dass er denken könne er habe jetzt der Weisheit letzten Schluss erfasst.
Ich hoffe, meine Antwort ist Ihnen nicht zu lang ausgefallen und verbleibe mit freundlichen Grüßen,
Sascha Wagener