Frage an Sahra Wagenknecht von Erich H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Werte Frau Wagenknecht,
Warum engagieren Sie sich gegen den Kapitalismus? Selbst leben Sie doch herrlich davon, oder?
Ihre ehemalige Partei, die SED, hat die DDR verrotten lassen; sie war finanziell am Ende und musste an den Klassenfeind verkauft werden. Nach dem 2. Weltkrieg war die Sterblichkeitsrate in den KZ ähnlich hoch wie bei den Nationalsozialisten. Den Kapitalisten wurde die Kriegsschuld zugeschoben und alle enteignet, wenn möglich sogar eingesperrt. Der Aufstand der Bauarbeiter wurde blutig niedergeschlagen, die Menschen liefen zu Millionen davon, Andersdenkende wurden eingesperrt ein wirklicher Rechtsbeistand nicht gewährt, studieren durften hauptsächlich die Linientreuen. Die Großbetriebe wurden ausschließlich von Genossen geführt, der bessere Schulabschluss spielte keine Rolle - wie edel!
Haben Sie vor, eine EDEL - DDR einzuführen?
Warum haben Sie (Ihre Partei) es damals nicht besser gemacht - damals lebte man wirklich in Armut und Angst. Damals hätten Sie Ihre Ideen verwirklichen können. Warum haben Sie es nicht getan??
Mit sozialistischem Gruß
E. Humplik
Sehr geehrter Herr Humplik,
erst einmal möchte ich Sie freundlichst darauf hinweisen, dass ich erst 1989 Parteimitglied wurde - aber nicht etwa, weil ich wollte, dass die SED so blieb wie sie war, sondern weil ich sie mit verändern helfen wollte, weil ich der Ansicht war, dass eine starke sozialistische Partei in Deutschland weiterhin gebraucht wird, nur eben viel demokratischer organisiert als es die SED gewesen ist.
Es geht auch nicht darum, die DDR wieder einzuführen, wie Sie das suggerieren. Das spezifische Modell des untergegangenen Sozialismus ist aus bestimmten Gründen gescheitert, die es für Linke zu analysieren gilt und daraus sind Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen, damit sich begangene Fehler nicht wiederholen.
Ich weiß um soziale und kulturelle Errungenschaften wie auch um gravierende Demokratiedefizite und Deformationen im Sozialismus, aber die DDR auch nur irgendwie in die Nähe zur Nazi-Zeit zu bringen, ist eine unzulässige Relativierung faschistischer Verbrechen. So kann man die Nazis von heute ganz sicher nicht bekämpfen, wenn man die massenhaften und in ihrer Brutalität einzigartigen faschistischen Gräueltaten auch noch verharmlost. Eine differenzierende und sachliche Betrachtung der Geschichte wäre da vielmehr angebracht. Und in diesem Zusammenhang finde ich es beispielsweise ganz besonders schlimm, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Nazi-Verbrecher hochrangige und einflussreiche Posten in Politik, Wirtschaft und im Staatswesen der Bundesrepublik besetzt hatten. Das ist sicher ein überaus dunkles Kapitel westdeutscher Nachkriegsgeschichte und eine Ohrfeige für alle Überlebenden der faschistischen Diktatur gewesen. Mit dieser unrühmlichen Vergangenheitsbewältigung müsste man sich auch mal endlich kritisch auseinandersetzen.
Im Hinblick auf die Frage, warum ich gegen den Kapitalismus bin, verweise ich auf vorangegangene Antworten wie auch auf meine bisher erschienenden Bücher. Daher nur ganz kurz zu dieser Frage: Bei allen neoliberalen Prozessen gab es in der Vergangenheit und wird es natürlich auch künftig immer eine Handvoll von Menschen geben, die zu den Profiteuren gehören. Aber für die ganz große Mehrheit bedeutet Kapitalismus einen erheblichen Rückschritt in Bezug auf ihre Lebenssituation. Hartz IV, Agenda 2010, Rentenkürzungen, Lohndumping, Privatisierungen, imperiale Kriegszüge, Überwachung und Repression von Andersdenkenden sind nur ein sehr kleiner Auszug der Negativseite dieses auf Profit orientierten Gesellschaftssystems. Warum es heutzutage weltweit wachsenden Widerstand gegen Neoliberalismus und Kapitalismus gibt, hat also eben damit zu tun, dass immer Menschen aufgrund eigener Lebenserfahrungen bestätigt sehen, dass der Kapitalismus eben keine menschenfreundliche Systemalternative für sie darstellt.
Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht