Frage an Sahra Wagenknecht von Mark J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Wagenknecht,
ich beziehe mich auf eine Antwort einer Anfrage von Herrn Brenig vom 14.05.2008 sie schreiben sinngemäß darin, dass es die entscheidende Frage für eine (ich nehme mal an anzustrebende) “Überwindung des Kapitalismus” wäre, wer über das Eigentum an der Daseinsvorsorge und in Schlüsselbereichen der Wirtschaft verfügt, also ob es nun wenige Privatpersonen sind oder die gesamte Bevölkerung.
Andererseits schreiben sie, dass die Verantwortung dafür, dass Arbeit Existenz sichernd ist und eine gute Lebensqualität gewährleistet, dem Arbeitgeber durch ein bedingungsloses Grundeinkommen (nur) entzogen würde, und dafür dem Staat, also damit doch der gesamten Bevölkerung auferlegt würde, was für sie somit ein Argument gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ist.
Was ist denn aber so schlimm daran, wenn die Verantwortung über das Einkommen der Menschen nicht mehr so stark bei den Arbeitgebern wäre und statt dessen mehr bei der Bevölkerung im Ganzen? Die Menschen könnten sich doch so gegenseitig unterstützen, wenn es um die Menschenrechte geht und zwar auch und vielleicht vor allem gegen die Interessen einiger weniger Privatpersonen mit Kapital.
Ist es nicht gerade das, was sie anstreben, wenn sie den Kapitalismus zu überwinden suchen, indem die Geschicke und das Glück der Menschen eben nicht mehr allein in der Hand der wenigen Privatpersonen liegen sollen, sondern in der des Staates, also der gesamten Bevölkerung, die ihre Regierung selbst gewählt hat.
Oder sind es nicht die wenigen Privatpersonen mit dem ganzen Kapital, welche ihrer Meinung nach die Arbeit geben sollen, also Arbeitgeber sein sollen? Andernfalls wüsste ich ja wirklich nicht wo das ganze Geld herkommen sollte.
Mit freundlichen Grüßen
Mark Jordan
Sehr geehrter Herr Jordan,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte.
Sie schreiben: "Was ist denn aber so schlimm daran, wenn die Verantwortung über das Einkommen der Menschen nicht mehr so stark bei den Arbeitgebern wäre und statt dessen mehr bei der Bevölkerung im Ganzen?" Wer aber würde in diesem Fall das Einkommen für die Nichtarbeitenden im Wesentlichen erwirtschaften? In Frage käme dann vor allem die arbeitende Bevölkerung, es würde eine Umverteilung zwischen Arbeitenden und Nichtarbeitenden drohen. Die Armut aber würde dadurch nicht beseitigt werden. Wer soziale Gerechtigkeit verwirklichen will, der muss eben den von den Vermögenden eingesammelten Reichtum zugunsten der Ärmeren umverteilen und der muss eben auch den Mut haben, den Einfluss der die neoliberale Entwicklung vorantreibenden Kräfte erheblich einzuschränken. Deshalb fordert die LINKE z.B. völlig zu Recht das Verbot von Hedge Fonds.
Das Entscheidende ist sicherlich, zu sehen, dass Armut und Reichtum zwei Seiten derselben Medaille sind. Im Kapitalismus kommt es den Konzernen bekanntlich auf die Maximierung ihrer Profite an, dem hat sich alles andere unterzuordnen. Ein Teil der Profitsteigerung wird durch die Senkung der Produktionskosten erreicht, unter anderem dadurch, dass die Lohnkosten gesenkt werden. Genau das erleben wir ja seit mehreren Jahren in Deutschland und in vielen anderen Ländern der Welt: Den anhängig Beschäftigten wird ein gerechter Anteil am Produktivitätswachstum verwehrt. Arbeitslose werden mit einem niedrigen ALG II abgespeist und permanent drangsaliert. Die Situation ist also, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung immer ärmer wird und unter ständig wachsendem psychischen und physischen Druck leben muss, während andererseits eine kleine vermögende Schicht ihren Reichtum in bisher unbekannte Größenordnungen steigert. Diese tief greifende soziale Polarisierung hat wesentlich mit dem Macht- und Kapitalzuwachs großer Konzerne zu tun. Die Privatisierungen der letzten Jahre haben diesen Trend nachweisbar verstärkt.
Wer also den realen Kapitalismus tatsächlich überwinden will, der muss eben auch den Einfluss dieser Konzerne auf den Staat und auf die politischen Entscheidungen massiv zurückdrängen, der muss auch die Eigentumsfrage wieder stellen und wesentliche Bereiche der Wirtschaft, das Bankenwesen und die Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand bringen. Ich sehe allerdings nicht, dass das bedingungslose Grundeinkommen genau diese Machtfrage aufwirft, es bleibt mir zu sehr an der Oberfläche der gesamten sich im Kapitalismus ablaufenden Auseinandersetzungen.
Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht