Frage an Sahra Wagenknecht von Thoralf T. bezüglich Finanzen
5. In Hessen gibt es einen großen Verdruss bei der Bevölkerung und bei den Gewerkschaften, weil das Land Hessen aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgetreten ist, Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut hat und die Wochenarbeitszeit der Bediensteten ohne Lohnausgleich erhöht hat. Nach mir vorliegenden Informationen hat die rot-rote Koalition in Berlin bis jetzt ca. 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, es gab Lohnkürzungen bei den Angestellten. Das Land Berlin ist 2003 aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgetreten. War Roland Koch also auf dem richtigen Weg in eine gerechtere, sozialistische Gesellschaft?
6. Außerdem wurden in Berlin 65.000 Wohnungen der öffentlichen Hand an den US-Investor Cerberus verkauft, und das Prinzip der Lehrmittelfreiheit wurde durch eine Selbstbeteiligung der Familien von bis zu 100 Euro pro Kind und Schuljahr in Frage gestellt. Müssen also immer mehr öffentliche Dienstleistungen und Immobilien privatisiert werden, damit der “demokratische Sozialismus” in greifbare Nähe rückt? War der Verkauf der Uni-Kliniken Gießen und Marburg ein wegweisender Schritt?
Quellen zu Frage 5 und 6:
http://www.linkezeitung.de/cms/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id=3993
Sehr geehrter Herr Trundilson,
natürlich war Roland Koch nicht auf dem Weg in eine gerechte, sozialistische Gesellschaft. Genauso wenig sind Sozialabbau und Privatisierungen öffentlichen Eigentums ein für die LINKE wegweisender Schritt. Für die von der rot-roten Berliner Koalition zu verantwortenden Fehler hatte die PDS dann auch ihre Quittung von den Wählern bei der Abgeordnetenwahl 2006 erhalten. Die Halbierung der Wählerschaft war die Folge einer Politik, die allzu oft nur links geblinkt hat, aber in Wirklichkeit nicht links gewesen ist. Ich habe mich zur Regierungstätigkeit der PDS in Berlin mehrfach kritisch zu Wort gemeldet, nachzulesen auf meiner Website www.sahrawagenknecht.de sowie in meinem Buch "Kapitalismus im Koma. Eine sozialistische Diagnose", in dem ich einige Notizen zur Unterzeichnung des rot-roten Koalitionsvertrages 2001 niedergeschrieben habe.
Aber die PDS gibt es nunmehr nicht mehr. Mit der LINKEN ist eine neue Partei entstanden, die sich eindeutig von Sozialkahlschlags- und neoliberaler Privatisierungspolitik abgrenzt und sich klar als soziale Kraft profiliert - anders hätte sie auch weder eine Berechtigung noch eine Überlebenschance. So ist es richtig gewesen, dass die Berliner LINKE den Lissabonner Vertrag ablehnt und eine Enthaltung Berlins im Bundesrat gegen den Willen der SPD durchgesetzt hat. Das soll nun keineswegs so verstanden werden, dass die nach wie vor vorhandenen Defizite der Regierungstätigkeit der Berliner LINKEN bagatellisiert und kritiklos hingenommen werden sollen. Im Gegenteil! So ist beispielsweise Kritik an der Rolle der LINKEN in den aktuellen Tarifauseinandersetzungen in Berlin völlig berechtigt, wie auch die Passivität führender Mitgliedern der Berliner LINKEN bei der Problematik der steigenden Wasserpreise nicht verschwiegen werden darf, auch ihr Verhalten bezüglich der Verschärfung des ASOG muss man ihnen vorwerfen.
Gerade weil die frühere PDS in der Vergangenheit auch Entscheidungen mitgetragen hat, die sie als linke Partei nicht hätte mittragen dürfen, ist notwendig, im neuen Grundsatzprogramm Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligung auf Länderebene festzuhalten. Denn die LINKE wird nur eine Chance haben, sich gegen die anderen, neoliberalen Parteien zu behaupten und sich dauerhaft etablieren können, wenn sie eine sozialistische Partei wird, die konsequent und couragiert - ohne wenn und aber - die Interessen der kleinen Leute gegen die Konzernvorstände und Arbeitgeberverbände vertritt.
Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht