Frage an Sahra Wagenknecht von Thoralf T. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Wagenknecht,
leider hatten Sie gestern bei einer Veranstaltung in Gießen keine Zeit mehr für ein Interview. Vielleicht kann auf diesem Wege eins zustande kommen. Das Interview würde dann auf www.wahlkampf-in-hessen.de.vu veröffentlicht werden.
Hier nur die ersten zwei Fragen (von neun):
1. Frau Wagenknecht, Sie werden von den Medien oft als "die bekannteste Kommunistin der Bundesrepublik bezeichnet" - wollen Sie etwa den Kapitalismus abschaffen?
2. DIE LINKE ist eine Partei, die sich den "demokratischen Sozialismus" auf die Fahnen schreibt. Wie genau soll der "demokratische Sozialismus" aussehen, und in wie fern unterscheidet sich dieser vom Kommunismus?
MFG
Thoralf Trundilson
Sehr geehrter Herr Trundilson,
hier meine Antworten auf Ihre Fragen:
1. Ich halte den realen Kapitalismus nicht für das Ende der Geschichte. Das gegenwärtige Profitsystem drängt zunehmend mehr Menschen in den Dumpingwettlauf um immer schlechtere Lebensbedingungen, während die oberen Zehntausend auf unsägliche Weise mittels Steuergeschenken und Privatisierungen öffentlichen Eigentums privilegiert werden. Ist es angesichts der durch den Kapitalismus verursachten Krisen und Kriege, rapide anwachsender Armut, der Ausweitung des Niedriglohnsektors und der zunehmenden Demütigung von Millionen Arbeitslosen nicht legitim, die kapitalistische Form des Wirtschaftens aufzugeben? Ich glaube, dass dies immer mehr Menschen auch so sehen. Zumindest meinen laut einer Allensbachstudie 45 Prozent der Westdeutschen, der Sozialismus sei eine gute Idee, in Ostdeutschland finden dies sogar 57 Prozent. Insofern stehe ich mit meiner Ansicht nicht alleine da. Das gibt mir die Hoffnung, dass der Widerspruch zum gegenwärtigen neoliberalen Zeitgeist stärker wird.
2. Wie der zukünftige Sozialismus im Detail aussehen wird, vermag ich nicht zu sagen. Welche konkrete Gestalt ein künftiger Sozialismus letztlich haben wird, hängt eben wesentlich von den Bedingungen ab, unter denen er geschaffen wird und die kennt momentan noch niemand genau. Ich denke aber, dass er jedem Menschen zumindest ein würdiges, sozial gesichertes Leben ohne Angst und frei von kriegerischen Auseinandersetzungen ermöglichen sollte.
Kommunismus wäre dann noch eine höhere Stufe in der gesellschaftlichen Entwicklung. Aber bis dahin ist es noch sehr weit. Wichtig ist erstmal, dass sich mehr Menschen von der neoliberalen Gehirnwäsche freimachen und sich der sozialen und friedlichen Alternativen zu einem neoliberal entfesselten Kapitalismus bewusst werden und schließlich auch bereit sind, für grundsätzliche progressive Veränderungen zu kämpfen.
Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht