Frage an Sahra Wagenknecht von Henning P. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Wagenknecht,
welche Freiheit kann ein Arbeitsloser genießen, der sich nicht mal eine
Fahrt innerhalb Deutschlands leisten kann?
So sehe ich auch die FREIzügigkeit in Europa und andere Liberalisierungen
sehr kritisch. Da ich krank bin, finde ich kaum mehr einen Job.
Bei Focus heißt es:
"Arbeitsmarktforscher sehen auch für das Jahr 2014 keine Anzeichen für einen neuen Job-Boom in Deutschland.
Die Arbeitslosigkeit werde im kommenden Jahr allenfalls leicht sinken, geht aus der am Freitag veröffentlichten Jahresprognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Konjunkturforschung (IAB) hervor. Für 2014 rechnet die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit durchschnittlich 2,901 Millionen Erwerbslosen. Das wären lediglich 37.000 Jobsucher weniger als im Jahresschnitt 2013. Trotzdem erwarten die Wissenschaftler 2014 eine Rekordbeschäftigung. Arbeitslose würden davon aber kaum aber profitieren. Vielmehr besetzten Unternehmen neu geschaffene Stellen zumeist mit gut ausgebildeten Zuwanderern aus Süd- und Osteuropa".
Quellennachweis für obige Meldung: http://www.focus.de/finanzen/news/wirtschaftsticker/arbeitsmarktforscher-auch-2014-kein-neuer-job-boom_aid_1114347.html
Warum soll ich für diese "Freiheit" sein? Ist das nicht nur ein "Verschiebebahnhof". Die Arbeitgeber suchen sich die Vitalsten, Jüngsten und Gesündesten aus, oder nicht?
Das mit der mangelnden Qualifikation kann bei mir kein Grund sein, denn ich kann eine 1 a-Ausbildung, ein Top-Abschlußzeugnis von 1,4 und sehr ordentliche Arbeitszeugnisse nachweisen. Warum also bekomme ich als Kranker keinen Job, Zuwanderer aber offensichtlich zunehmend? Soll ich ein Leben lang von knapp 400 Euro Hartz IV leben? Ich möchte arbeiten!
Statt die hier lebenden Obdachlosen u. Armen in Wohnungen/ Arbeit zu
bringen, höre ich nur noch von "Armutszuwanderern". Das sind doch keine
Menschen die zuvor in Slums wohnten, oder? Ist Deutschland nicht schon
dicht genug besiedelt?
MfG
Pitz
Sehr geehrter Herr Pitz,
ich kann Ihren Wunsch nach Arbeit und Ihre Wut über Ihre Situation sehr gut nachvollziehen. Gleichzeitig ist es angebracht, Meldungen über einen vermeintlichen Job-Boom kritisch zu hinterfragen.
Noch Anfang diesen Jahres fantasierte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel von einem angeblichen Beschäftigungsboom in Deutschland. Bei genauerer Betrachtung sieht die Situation weniger rosig aus: Die tatsächliche Arbeitslosigkeit ohne statistische Rechentricks lag im Januar 2014 bei 3,9 Millionen Menschen. 25 Prozent der Beschäftigten arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen, jeder zweite neu geschaffene Arbeitsplatz ist befristet. Die Reallöhne liegen heute im Durchschnitt um 0,7 Prozent unter denen des Jahres 2000, wobei sich besonders die Löhne negativ entwickelt haben, die nicht durch Tarifverträge abgesichert sind. SPD und Grüne haben einen Niedriglohnsektor geschaffen und mit den Hartz-Gesetzen ein Druckmittel eingeführt, die Menschen zur Aufnahme von schlecht bezahlter Arbeit zu zwingen.
Von all dem haben lediglich die Oberschicht und insbesondere die oberen Zehntausend profitiert. So ist Deutschland das Land mit der größten sozialen Ungleichheit in der Eurozone - und das trotz der Eurokrise und des brutalen Kahlschlags in Ländern wie Griechenland oder Portugal. Die von Ihnen angesprochenen Liberalisierungen der EU haben diese Entwicklung weiter beschleunigt, etwa durch europaweites Steuerdumping für Reiche und Konzerne oder durch Liberalisierung auf den Arbeitsmärkten.
Hier liegen die tatsächlichen Probleme in Deutschland, die Zuwanderung aus Süd- und Osteuropa ändert daran nichts. Im Gegenteil lenken Debatten über die Zuwanderung aus Süd- und Osteuropa, die teils mit rassistischen Untertönen geführt werden, von den wirklichen Problemen ab. Statt die sozialen Probleme zu thematisieren und Lösungen für die riesige Ungleichheit zwischen der Bevölkerungsmehrheit und der Oberschicht zu suchen, werden Arbeitnehmer aus Südeuropa gegen Arbeitnehmer und Langzeitarbeitslose aus Deutschland ausgespielt.
DIE LINKE fordert daher einen echten Mindestlohn ohne Schlupflöcher in Höhe von mindestens zehn Euro, ein Verbot der Leiharbeit und die Ersetzung von Hartz IV durch eine wirklich bedarfsgerechte, sanktionsfreie Mindestsicherung. Die Oberschicht will DIE LINKE wieder an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen, etwa durch die Einführung einer Millionärssteuer oder die Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer. So würde die öffentliche Hand Geld etwa für öffentliche Investitionsprogramme zur Verfügung haben, von denen auch Langzeitarbeitslose profitieren würden.
Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht