Frage an Sahra Wagenknecht von Fabian S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Wagenknecht,
in der Sendung von Maybritt Illner am 04.04.2013 waren zwei sehr widersprüchliche Aussagen von Ihnen zu hören.
Zum Thema Realzins sagten Sie sinngemäß, dass davon überwiegend der „kleine Mann“ betroffen ist, da mit anderen Anlageklassen wie Aktien weiterhin hohe Renditen zu erzielen sind und Vermögende mit mindestens 5% Rendite bei konservativer Anlage rechnen können.
Als Sie im weiteren Verlauf der Sendung gefragt wurden, ob Sie dem „kleinen Mann“ empfehlen würden in Lebensversicherungen zu investieren, obwohl diese aktuell mit sehr geringen Renditen verbunden sind, antworteten Sie jedoch sehr gegensätzlich zu dieser Aussage. Sie sagten sinngemäß, dass Lebensversicherungen noch die beste Option für den „kleinen Mann“ seien, da andere Anlageklassen für die Altersvorsorge und somit langfristige Anlage keine besseren Renditechancen bieten würden.
Daraus ergeben sich für mich 3 Fragen:
1. Hätten Sie dem „kleinen Mann“ hier nicht empfehlen müssen, in die in der ersten Aussage erwähnten Anlageklassen zu investieren? Trotz konservativer Anlage müssten hier doch nach Ihrer Aussage deutlich höhere Renditen möglich sein.
2. In finanzwissenschaftlichen Modellen ist mit höheren Renditeerwartungen ein höheres Risiko verbunden. Stimmen Sie diesen Theorien weitestgehend zu oder ist die wissenschaftliche erwiesene Verbindung von Risiko und Renditeerwartung für größere Vermögen nicht existent?
3. Die von Ihnen als negativ bezeichneten Finanzderivate werden auch dazu genutzt, komplexe und diversifizierte Portfolios nachzubilden und bieten damit auch kleineren Vermögen die Möglichkeit, in diversifizierten Portfolios zu investieren. Hierdurch nähern sich die Möglichkeiten von großen und kleinen Vermögen immer stärker aneinander an. Könnte dadurch nicht insbesondere auch der „kleine Mann“ von Finanzderivaten profitieren, da er so mit seinem begrenzten Vermögen Investitionsmöglichkeiten hat, die ihm ohne Derivate so nicht zu Verfügung stehen würden?
1. Hätten Sie dem "kleinen Mann" hier nicht empfehlen müssen, in die in der ersten Aussage erwähnten Anlageklassen zu investieren? Trotz konservativer Anlage müssten hier doch nach Ihrer Aussage deutlich höhere Renditen möglich sein?
Der "kleine Mann" hat meiner Meinung nach dazu keine Möglichkeit. Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen sind zum Beispiel für einige lukrative Anlagemöglichkeiten Mindestbeträge erforderlich. Zum anderen hat ein Kleinanleger nicht den gleichen Zugang zu Informationen über verschiedene Finanzanlagen, wie der Vermögensverwalter eines Multimillionärs. Ich bin außerdem der Meinung, dass je nach persönlichen Umständen das gleiche eingegangene Risiko unterschiedlich bewertet werden muss. Wenn jemand das Ersparte komplett für die spätere Altersvorsorge benötigt, ist es etwas anderes, als wenn das Vermögen so groß ist, dass nur ein kleiner Teil davon für den späteren Ruhestand benötigt wird.
2. In finanzwissenschaftlichen Modellen ist mit höheren Renditeerwartungen ein höheres Risiko verbunden. Stimmen Sie diesen Theorien weitestgehend zu oder ist die wissenschaftliche erwiesene Verbindung von Risiko und Renditeerwartung für größere Vermögen nicht existent?
Die Märkte spiegeln die Renditeerwartungen im Verhältnis zu den erwarteten Risiken wieder. Ob sich die Erwartungen im Nachhinein als richtig erweisen ist eine zweite Frage. Das trifft grundsätzlich auch für die Anlage großer Vermögen zu. Die Erwartungen können aber auch dadurch verzerrt sein, dass Anleger davon ausgehen, dass Ihnen das Risiko einer Anlage im Notfall vom Steuerzahler abgenommen wird. So wie es bisher bei den Gläubigern irischer, spanischer und griechischer Banken war. Davon haben in der Regel bisher wohlhabende Anleger profitiert. Wer aufgrund der niedrigeren Leistungen aus der gesetzlichen Rente sich zusätzlich einen kleinen monatlichen Betrag für den späteren Ruhestand vom Mund absparen muss, sollte sich aus eigenem Interesse an einer solchen Zockerei nicht beteiligen.
3. Die von Ihnen als negativ bezeichneten Finanzderivate werden auch dazu genutzt, komplexe und diversifizierte Portfolios nachzubilden und bieten damit auch kleineren Vermögen die Möglichkeit, in diversifizierten Portfolios zu investieren. Hierdurch nähern sich die Möglichkeiten von großen und kleinen Vermögen immer stärker aneinander an. Könnte dadurch nicht insbesondere auch der "kleine Mann" von Finanzderivaten profitieren, da er so mit seinem begrenzten Vermögen Investitionsmöglichkeiten hat, die ihm ohne Derivate so nicht zu Verfügung stehen würden?
Finanzderivate sind kein alchemistisches Instrument. Gesamtwirtschaftliche Risiken verschwinden durch kein Derivat. Die Risiken werden durch ein Derivat lediglich umverteilt. Derjenige, der sich sein Risiko abnehmen lassen möchte, muss dafür an jemand anderen Geld bezahlen. Ein Investmentfond könnte zum Beispiel eine höher verzinste spanische Anleihe kaufen und sich gegen einen Forderungsausfall versichern. Da die Versicherung aber Geld kostet, ist die Rendite insgesamt niedriger - so als wenn der Investmentfond von vornherein eine Anlage mit einem niedriger erwartetem Risiko gekauft hätte. Einen Vorteil kann ich für einen Kleinanleger dadurch nicht erkennen. Im Gegenteil: Durch die Existenz von Derivaten können sich ungeheure Risiken in wenigen Händen konzentrieren und eine Finanzkrise auslösen - so wie wir es im Fall von Leman Brothers gesehen haben. Die Folgen treffen aber alle, auch denjenigen, der nicht gezockt hat.
Mit den besten Grüßen,
Sahra Wagenknecht