Frage an Sahra Wagenknecht von oliver m. bezüglich Finanzen
Hallo Frau Wagenknecht,
mit Interesse verfolge ich seit einigen Jahren die aktuellen Diskussionen über die Möglichkeiten und Chancen des Umbaus unseres Wirtschaftssystems hin zu einem den Menschen dienenden System.
Besonders Ihre sehr kompetenten Ausführungen sowie die Ihrer Partei sprechen mich dabei ganz besonders an.
Leider vermisse ich in diesen Diskursen ausnahmslos die Kritische Auseinandersetzung mit unserem Geld- und Zins-system. Sogar von Ihnen und ihrer Partei ist zu diesem Thema nur eine bedrückende Stille zu vernehmen.
Nach ausgiebigen Studien der Arbeiten von Marx, Silvio Gesell, Pierre-Joseph Proudhon, Henry George, sowie verschiedenen Arbeiten zum Thema Freiwirtschaft, bin ich zu dem für mich einzig logischen Schluss gekommen, das unser aller Anliegen nur sein kann uns von dieser Zinsknechtschaft zu befreien.
Da ich Ihre Arbeit sehr schätze und mich in Zukunft gerne auch politisch einbringen möchte, interessiert mich Ihre persönliche Meinung zu diesem Thema brennend. Die Linke ist für mich die einzig wählbare Partei in Deutschland, sollte jedoch bei Ihnen und ihren Parteigenossen eine Diskussion über diesen für mich wichtigsten Punkt nicht machbar sein, werde ich wohl oder übel meine Ambitionen in dieser Richtung aussetzen.
Mit lieben Grüssen und in Erwartung einer baldigen Antwort
Oliver Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
haben Sie vielen Dank für Ihre interessante Frage.
Die derzeitige Zinspolitik verdient auch nach meiner Ansicht scharfe Kritik. Die hohen Zinsen, die auf die öffentlichen Schulden zu zahlen sind, verschärfen die Verteilungsungerechtigkeit massiv, da diese Zinsen ganz überwiegend an Vermögende und extrem Reiche ausgezahlt werden. Diese wiederum investieren ihr zusätzlich erwirtschaftetes Kapital immer weniger in wertschöpfende Zwecke, sondern spekulieren vielmehr damit auf den Finanzmärkten.
Ich vertrete daher die Auffassung, dass eine öffentliche Bank den Staaten Kredite zu den gleichen Bedingungen vergeben sollte, zu denen auch die Banken von der Europäischen Zentralbank Kredite erhalten. Dadurch könnte die zerstörerische Zockerrei gegen einzelne Staaten der EU zumindest eingedämmt und die Zinslast für die öffentliche Hand verringert werden.
Darüber hinaus könnte eine europaweite Krisenabgabe für Millionäre dazu beitragen, die riesigen staatlichen Schuldenberge in Europa abzutragen. Eine solche Abgabe von bescheidenen 30 Prozent wäre bereits ausreichend, um die europäische Verschuldung auf das Niveau der Vorkrisenzeit zurückzuführen. Auch dies würde im Ergebnis die Zinslasten verringern helfen. Die dadurch ersparten staatlichen Zinsausgaben könnten für sinnvolle öffentliche Investitionen genutzt werden.
Die Zinspolitik der Banken hat aber auch unmittelbar negative Auswirkungen auf den normalen Verbraucher. Viele Menschen bekommen dies bei den skandalös hohen Zinssätzen bei den Dispokrediten zu spüren. Die Bundestagsfraktion der LINKEN hat die Zinswucherei bereits mehrfach öffentlich kritisiert und einen Gesetzesentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die strikte Begrenzung des Zinssatzes bei Überziehungskrediten und damit de facto ein Verbot von Wucherzinsen vorsah. Der Zinssatz bei Dispokrediten sollte unserer Auffassung nach höchstens fünf Prozentpunkte über dem Basiszins betragen dürfen. Wir erhielten für diese Forderungen allerdings heftigen Widerspruch – vor allem aus FDP-Kreisen. Aber auch die anderen Fraktionen stellen sich regelmäßig quer. So haben bedauerlicherweise auch SPD und Grüne zahlreiche Vorschläge der LINKEN blockiert, die die Regulierung des Finanzsektors vorsahen.
Viele Grüße
Sahra Wagenknecht