Frage an Sahra Wagenknecht von Marcus H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Wagenknecht,
In der Debatte um die Ursachen der Euro-Krise stoße ich als volkswirtschaftlicher Laie immer wieder auf ein Thema, zu dem sich die Expertenmeinungen diametral gegenüberstehen: Der Erfolg der deutschen Export-Industrie.
Kritische Stimmen gehen dabei davon aus, dass Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten, insbesondere seit Einführung der Agenda 2010, seine immensen Handelsbilanzüberschüsse durch systematisches Lohndumping erziehlt habe. Dabei seien vor allem die heutigen "Schuldensünder" massiv niederkonkurriert worden, in dem die deutsche Industrie mit Hilfe der Gewerkschaften und ihrer vielgepriesenen "Lohnzurückhaltung" die Lohstückkosten so weit gesenkt habe, dass es den (süd-)europäischen Konkurrenten unmöglich geworden sei, sich am Markt gegen deutsche Billig-Exporte zu behaupten.
Die "Experten" aus dem Wirtschaftsnahen Lager argumentieren allerdings völlig gegensätzlich. So seien die deutschen Exporterfolge keineswegs auf niedrige Preise zurückzuführen (ein BMW z.B. sei ja schliesslich kein Skoda), sondern auf die hohe Qualität der Produkte, bzw. auf die Spezialisierung der hiesigen Produzenten auf High-Tech Investitionsgüter, welche in anderen Ländern, aufgrund des fehlenden Know-Hows, so gar nicht hergestellt werden könnten.
Sicher lässt sich kaum bestreiten, dass die Mehrheit deutschen Arbeiter und Angestellten in den letzten zwanzig Jahren nicht an den stark steigenden Gewinnen der Unternehmen teilhaben durfte. Allerdings haben sich gerade in den Export-orientierten Industriezweigen die Tariflöhne im selben Zeitraum tatsächlich weniger stark nach unten entwickelt als in nahezu allen anderen Branchen.
Leider wird nun genau dieser Umstand als Argument dafür ins Feld geführt, wir hätten "alles richtig gemacht" und der Rest Europas müsse nun eben dem deutschen Beispiel folgen um der Krise Herr zu werden.
Meine Frage lautet daher: Was ist Ihrer Meinung nach dran am deutschen Exporterfolg?
Mit freundlichen Grüßen,
Sehr geehrter Herr Huber,
die Wachstumsraten der Jahre 2010 und 2011 beruhten auf der einseitigen Exportorientierung der deutschen Wirtschaft. Vor allem durch rüdes Lohndumping konnte sich die deutsche Wirtschaft Vorteile bei den Lohnkosten verschaffen. So sind die Nettoeinkommen der Beschäftigten in den letzten zehn Jahren gesunken. Während in der Zeit von 2000 bis 2010 die nominalen Lohnstückkosten in der Bundesrepublik nur um sechs Prozent stiegen, sind diese in den Euroländern im selben Zeitraum um 27 Prozent erhöht worden. Dass massive Lohndumping und die relativ geringe Zunahme der nominalen Lohnstückkosten in Deutschland haben letztlich zu den erheblichen Leistungsbilanzdefiziten der anderen Staaten geführt und die staatliche Verschuldung dort forciert. Die milliardenschweren Bankenrettungen im Zuge der Finanzkrise haben diese Verschuldung weiter vertieft.
Es ist absehbar, dass die Exporte zurückgehen werden. Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wird dann vor allem davon abhängen, ob es gelingt, die Binnennachfrage zu steigern. Dazu wären aber kräftige Lohnsteigerungen nötig, gegen die sich die Bundesregierung bisher vehement stemmt. Wichtig ist jetzt auch, dass weitere Kürzungsdiktate und Bankenrettungspakete in Europa und vor allem der undemokratische Fiskalpakt gestoppt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht