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Sahra Wagenknecht
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Frage von Uwe M. •

Frage an Sahra Wagenknecht von Uwe M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Hallo Frau Wagenknecht,

die folgenden Fragen stellen sich, weil in Deutschland nach wie vor die Meinung vorherrscht, die Wirtschaft sei dazu da, u.a. auch Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei gerät der Staat in die Position eines Arbeitsvermittlers, der die Wirtschaft in die Lage versetzen soll, Sozialaufgaben mitzuerledigen, und zB. eine Reihe von „unwirtschaftlichen“ Strukturen zu unterhalten, damit der soziale Friede gewahrt wird. Der angebliche Sozialstaat delegiert also einen Teil seiner Aufgabe an Unternehmen, verpflichtet sich aber gleichzeitig die Unternehmen in eine Lage zu bringen, die ihnen nachwievor eine ausreichende Gewinnsituation garantiert.

Ein Beispiel ist das Lobbyprojekt Stuttgart21. Dieses steht exemplarisch für die Hypothese, dass die Rollenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft, solche Fehlentwicklungen begünstigt.

Nun ist inzwischen 1 Jahr seit der gewaltsamen Parkräumung in Stuttgart am 30.9.2010 wieder die Frage nach der Durchsetzbarkeit solcher Projekte offen. Es kann vermutet werden, dass Schmerz zufügende Aktionen von Polizisten gegenüber friedlichen Demonstranten ausgeschlossen werden, solange Polizisten selbst nicht gefährdet sind.

Nun meine Fragen:
1. Sehen Sie grundsätzlich die Notwenigkeit, dass Wirtschaften vorrangig dem Menschen dienende Dienstleistungen und Güter hervorbringen muss und erst nachrangig der Beschäftigungspolitik dient.
2. Sehen Sie daher den Staat in der Pflicht, den Sozialtransfer für eine Grundlebensqualität aller Bürger selbst in die Hand zu nehmen (und dies über Konsumsteuern zu finanzieren.)
3. Sehen Sie innenpolitisch die Notwendigkeit, die politischen Rechte der Bürger so zu stärken/sichern, dass ihre Emanzipation stark genug ist, schädliche Projekte notfalls auch über friedliche Demonstrationen stoppen zu können. Dabei ist immer noch die Schwierigkeit gegeben, dass Nötigung immer noch strafbar sein kann/muß und die Demonstranten das Risiko eingehen gerichtliche Strafen hinnehmen zu müssen.

mfG Uwe Mannke

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Hallo Herr Mannke,

vielen Dank für Ihre Frage.

Ich sehe das Bereitstellen von Dienstleistungen und die Produktion von Gütern sowie eine auf Vollbeschäftigung orientierte Beschäftigungspolitik, welche hohe soziale Standards und gute Arbeitsbedingungen garantiert, nicht als zu hierarchisierende oder gar sich ausschließende Zielsetzungen, sondern vielmehr als miteinander vereinbar und auch realisierbar an. Sinn und Zweck einer Volkswirtschaft sollte es meiner Auffassung nach unter anderem sein, den allgemeinen Wohlstand anzuheben und jedem Menschen, unabhängig von seinen Fähigkeiten, ein menschenwürdiges Leben sicher zu stellen, das Armut ausschließt und Grundbedürfnisse befriedigt, wozu auch das Recht auf Arbeit gehört. Natürlich wird zunehmend deutlich, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Ordnung hierzu nicht mehr in der Lage ist. Aber unter veränderten Eigentumsverhältnissen und anderen wirtschaftlichen Prioritäten, nach denen die Wirtschaft dem Menschen zu dienen hat und nicht umgekehrt, lassen sich die oben genannten Ziele verwirklichen. Näheres dazu habe ich in meinem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ ausgeführt.

Heute beherrschen weniger als 150 Superkonzerne große Teile der Weltwirtschaft. Sie bestimmen im Wesentlichen Preise und Marktbedingungen, ruinieren Volkswirtschaften und diktieren der Politik die nächsten unsozialen Kürzungsprogramme. Staatliche Sozialtransfers, um eine Mindestsicherung zu gewährleisten und den Einzelnen vor dem sozialen Abrutsch zu bewahren, bleiben auch in den nächsten Jahren nötig, sie allein aber werden keine Lösung der Probleme bringen. Diese über höhere allgemeine Konsumsteuern lösen zu wollen, würde die soziale Schieflage sogar noch verstärken, da solche die Allgemeinheit treffen würden. Wirtschafts- und sozialpolitisch betrachtet wäre eine kräftige Besteuerung von Spitzeneinkommen, großen Vermögen und Millionenerbschaften viel ergiebiger.

Zu Ihrer letzten Frage: Für eine Stärkung der politischen wie auch sozialen Grund- und Bürgerrechte bin ich auf jeden Fall. Leider hat es in den vergangenen Jahren zahlreiche Angriffe auf die Grundrechte gegeben. Insbesondere die Einführung der Hartz-IV-Gesetze unter Rot-Grün hat die zunehmende Ignoranz gegenüber den bürgerlichen Abwehr- und Leistungsgrundrechten deutlich gemacht. DIE LINKE setzt sich gegen eine weitere Aushöhlung der Grundrechte ein.

Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht

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