Frage an Sahra Wagenknecht von Kutluay T. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Wagenknecht,
als junger, parteiloser, allerdings interessierter, Mensch verfolge ich interessiert Vorträge und Aufritte verschiedener Wissenschaftler und Politiker.
Was mir persönlich schon von klein auf klar wurde, war dass das System Kapitalismus nicht korrekt sein kann. Wäre dieses System auch nur annähernd gut, perfekt oder korrekt, müssten wir uns nicht mit den alltäglichen sozialen Problemen auseinandersetzen die wir einfach haben (die berühmte Vermögensschere oder auch Einkommensschere).
Ich denke bis zu diesem Punkt stimmen Sie mit mir überein.
Was ich persönlich allerdings nicht verstehe ist, dass Sie in der "Phoenix-Runde" ( http://www.youtube.com/watch?v=Ys-AW4Wukgc ) die höhere Besteuerung der Vermögenden und ähnliches als Lösungsansätze sehen. Meiner Meinung nach ist dies doch nur der Versuch, ein nicht funktionierendes System ein wenig weniger schlecht zu gestalten. Eine höhere Besteuerung ändert nichts an der Eigentumsverteilung bzw Eigentumskonzentration, die über kurz oder lang wieder zu einer "ungerechten" Geldverteilung führt. Diese Eigentumsverteilung führt meines Erachtens nach doch auch erst dazu, dass Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten müssen. Schließlich haben diese Menschen doch nicht anderes zu bieten, ausser der eigenen, simplen Arbeitskraft.
Ferner würde mich interessieren, in welche Richtung Sie konkret tendieren in Bezug auf ein besseres Wirtschaftssystem.
Sehr geehrter Herr Turan,
massive Steuersenkungen zugunsten Vermögender, Einkommensmillionäre und Konzerne haben den Staatshaushalt immer weiter ausgetrocknet. Das Geld, welches den Reichen von wirtschaftshörigen Politikern geschenkt wurde, fehlt nun für die Ärmeren. Viele soziale Leistungen wurden infolgedessen gestrichen, Ausgaben für Kultur und Bildung gekürzt. Immer mehr Menschen haben viel weniger Geld als sie bräuchten, um ein menschenwürdiges und sozial abgesichertes Leben führen und ihre grundlegenden Bedürfnisse befriedigen zu können. Viele Menschen werden dazu genötigt, ihren Konsum erheblich einzuschränken. Sinkende Binnennachfrage und nicht zuletzt Stellenabbau sind die Folgen. Das ist das eine Problem.
Das andere ergibt sich aus der extremen Geldkonzentration: Eine kleine Schicht hat sich ein enormes Vermögen angehäuft. Rund 800.000 Multimillionäre besitzen in Deutschland etwa die Hälfte des gesamten Finanzvermögens. Diese verfügen damit über so viel Geld, dass sie de facto keine unerfüllten Bedürfnisse mehr haben und einen Großteil ihres Geldes auf die Finanzmärkte schieben. Dort wird gezockt und spekuliert, um noch mehr Reichtum für wenige anzuhäufen. Dort wird aber zugleich über das Lebensschicksal von Millionen Menschen entschieden. Wenn beispielsweise die Lebensmittelpreise auf den Rohstoffmärkten gezielt in die Höhe getrieben werden und dadurch Millionen Menschen in Afrika, Asien und Südamerika hungern müssen, verdienen Banken und Spekulanten daran. Für diese ist das Geschäft mit dem Hunger außerordentlich lukrativ. Mit dem durch die neoliberale Umverteilung erworbenen Geld schaffen sie also keine Werte, sondern zerstören zahlreiche Existenzen und machen Geschäfte mit dem Leid anderer Menschen.
Wer also soziale Standards ausbauen, Ausgaben für Kultur, Bildung und Armutsbekämpfung erhöhen, die Binnennachfrage stärken und die maßlose Zockerei auf den Finanzmärkten endlich beenden will, muss die Forderung nach Umverteilung von oben nach unten stellen. Dies könnte zudem zum Abbau der riesigen öffentlichen Schuldenberge beitragen.
Die Forderung nach sozial gerechter Umverteilung bedeutet allerdings keinesfalls, es dabei zu belassen. Perspektivisch ist eine Wirtschaftsordnung notwendig, in der nicht Profitmaximierung, sondern demokratisch gesetzte Maßstäbe über Investitionen, Arbeitsplätze, Forschung und Wachstum entscheiden. Mit den gegenwärtigen kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnissen ist dies nicht zu machen. Näheres hierzu habe ich in meinem Buch "Wahnsinn mit Methode - Finanzcrash und Weltwirtschaft" erläutert.
Beste Grüße
Sahra Wagenknecht